Die Liste der Villinger Traditions-Geschäfte wird kleiner und kleiner. 2017 schloss beispielsweise das Strumpf- und Kindermodengeschäft Rohrer in der Niederen Straße, 2018 endete die Ära Hauck am Oberen Tor, 2019 machte nach 59 Jahren das Hosen-Eck in der Oberen Straße zu. Erst vor wenigen Tagen gab Klaus Sigwart nach 34 Jahren die Schließung seines Reisebüros in der Rietstraße bekannt (wir berichteten).

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Betreiberwechsel: Jetzt zeichnet sich nur eine Hausnummer weiter in Richtung Riettor die nächste markante Veränderung im Villinger Einzelhandel und in bester Lage der Fußgängerzone ab. Michael Ruck, Geschäftsführer im Schuhhaus Kammerer, und seine Frau Mechthild Ruck, geborene Kammerer, gehen in den Ruhestand und geben ihr Ladengeschäft nach über 30 Jahren altersbedingt auf. „Irgendwann ist es Zeit, sich zurückzuziehen“, erzählen die beiden mit ein wenig Wehmut, aber noch mehr Vorfreude auf die Zeit, die sie künftig für ihre drei Kinder, Enkelkinder, Sport und Hobbys haben werden. Corona habe nichts damit zu tun, die Entscheidung sei schon davor gefallen. Am 15. September ist es so weit.

Bild 1: Ende einer Ära in Villinger Traditions-Schuhhaus Kammerer nach 75 Jahren
Bild: Fröhlich, Jens

Die gute Nachricht: Die Rucks haben einen Nachfolger gefunden. Nicht einfach in der heutigen Zeit, gerade jetzt, während Corona, erzählt der 67-Jährige. Umso positiver stimmt das Ehepaar, dass ihre Suche am Ende doch erfolgreich war und das Schuhhaus sogar unter bestehendem Namen weitergeführt werden wird. Das war ihnen wichtig, so wichtig, dass sie ihren Nachfolgern beim mehrjährigen Pachtvertag entgegen kamen. Der Vertrag ist bereits unter Dach und Fach. Als Nachfolger tritt das Schuhhaus Wöhrle aus Singen in die Fußstapfen der Rucks, ebenfalls ein Familienunternehmen, das seit 90 Jahren in Singen zuhause ist. „Wir sind froh über diese Lösung“, erzählen die Rucks, zumal die neuen Betreiber Falk und Fanny Wöhrle die zwei Vollzeitkräfte sowie zwei Teilzeit-Mitarbeiterinnen übernehmen werden. Das freut auch Verkäuferin Mitarbeiterin Cornelia Immler, die seit 20 Jahren für den Familienbetrieb tätig ist: „Wir sind glücklich, dass es weitergeht.“

Übergabe: Am 15. September übernehmen Falk und Fanny Wöhrle (rechts) aus Singen das Ruder im Villinger Traditions-Schuhhaus Kammerer von ...
Übergabe: Am 15. September übernehmen Falk und Fanny Wöhrle (rechts) aus Singen das Ruder im Villinger Traditions-Schuhhaus Kammerer von Michael und Mechthild Ruck (links). | Bild: Schuhhaus Kammerer

Lange Geschichte: Bereits seit den 20er-Jahren ist die Immobilie in der Rietstraße 18 im Familienbesitz. Bernhard Kammerer, der Opa von Mechthild Ruck, hatte es damals gekauft und sich mit einer Schuhmacherei selbstständig gemacht.

Eine Werbeanzeige aus dem Jahr 1924.
Eine Werbeanzeige aus dem Jahr 1924. | Bild: Fröhlich, Jens

Ihr Vater August Kammerer war schon als kleiner Bub regelmäßig im Geschäft dabei.

Dies alte Aufnahme zeigt den jungen August Kammerer (links) im Jahr 1924 vor der Schuhmacherei seines Vaters Bernhard Kammerer. Bild: ...
Dies alte Aufnahme zeigt den jungen August Kammerer (links) im Jahr 1924 vor der Schuhmacherei seines Vaters Bernhard Kammerer. Bild: Familie Kammerer | Bild: Fröhlich, Jens

Er war es auch, der nach dem Krieg im Jahre 1946 die Schuhmacherei wiedereröffnete und nach und nach den Schuhhandel vorantrieb und ausbaute. „Die Blütezeit war dann in den 60er und Anfang 70er Jahre“, erinnert sich die Tochter. Damals seien ganze Familien gekommen, um auf einer Stuhlreihe im Geschäft Platz zu nehmen und sich in einem Rutsch mit passendem Schuhwerk auszustatten. „Die Auswahl war damals noch viel kleiner“, so die 66-Jährige. Einen großen Anteil am Erfolg des Schuhgeschäftes hatte ihre Mutter Elisabeth Kammerer. Die Mutter von fünf Kindern war weithin bekannt, brachte das Geschäft voran. Eine Powerfrau, wie Ruck sie beschreibt. Sie half sogar noch bis ins stolze Alter von 80 Jahren im Laden mit, nachdem Diplomkaufmann Michael Ruck 1983 das Geschäft übernommen hatte.

Bild 5: Ende einer Ära in Villinger Traditions-Schuhhaus Kammerer nach 75 Jahren
Bild: Fröhlich, Jens

Erinnerungen: Wie viele Einzelhändler hat auch das Schuhhaus die Konkurrenz aus dem Internet zu spüren bekommen. Dank viele treuer Kunden und einem entsprechenden Angebot konnte Ruck diesem Druck bis heute gut trotzen. Für die Zukunft wären jedoch Investitionen nötig gewesen und weitere Standorte, ist er sich sicher. Risiken, die die Familie nicht mehr eingehen wollte, zumal sich auch ihre Kinder bereits anderweitig beruflich orientiert hatten. Negativ in Erinnerung geblieben ist den beiden das Hagelunwetter am 28. Juni 2006. Damals zerschlug der Hagel ein Flachdach im Hinterhof und der gesamte Laden stand unter Wasser. Besonders positiv blicken sie auf ihre langjährigen Mitarbeiter zurück, die häufig jahrzehntelang mit an Bord waren. „Eine Mitarbeiterin war über 50 Jahre bei uns“, erinnern sie sich.