Es war ein Verfahren, dass die Beteiligten nicht so schnell vergessen werden. Die Protagonisten: Ein 59-jähriger Angeklagter in einem Kaftan mit Löwen-Aufdruck, Krone und goldenem Stock, ein sichtlich genervter Staatsanwalt und ein Richter, der vor der Verhandlung mehrere Zuschauer des Raumes verweisen musste, weil nur drei nicht am Verfahren Beteiligte aufgrund von Corona erlaubt waren.
Aber der Reihe nach. Angeklagt war am Mittwochmittag Felix Ani, 59. Der gebürtige Nigerianer ist seit 2002 in Deutschland und arbeitet seit 2007 bei einem Entsorgungsunternehmen. Für dieses war der deutsche Staatsangehörige auch am 29. Januar unterwegs, als er mit seinem Fahrer in einen Stau bei VS-Marbach geraten war. Der Grund: ein schwerer Verkehrsunfall. Ani wollte sich, so seine Aussage, erkundigen, weshalb es den Stau gab und stieg aus seinem Lkw aus. Ein Foto habe er nur von Weitem gemacht. Dieses hatte er an seinen Disponenten geschickt, um ihn über die Verspätung auf der Müllentsorgungsroute zu informieren. Näher am Unfallgeschehen ist Ani nicht gewesen.

Für Staatsanwalt Meier war dagegen klar, dass der Angeklagte bis zum verunfallten BMW, in dem der lebensgefährlich Verletzte eingeklemmt gewesen ist, gelaufen war. Die Frage, ob sich Ani beim BMW oder beim ebenfalls am Unfall beteiligten, aber etwa 50 Meter entfernten Transporter aufgehalten hatte, war eine mitentscheidende für den Ausgang des Verfahrens. Ein Foto, das am Tag nach dem Unfall in einer Zeitung veröffentlicht wurde, zeigt den Angeklagten nämlich neben dem Transporter. Das Bild war Teil der Beweisaufnahme und widerlegte zumindest Anis Aussage, er sei nur mehrere Hundert Meter vom Unfallgeschehen entfernt gewesen.

Als Zeuge geladen war am Mittwoch zunächst der für die Endsachbearbeitung des Unfalls vom 29. Januar verantwortliche Polizist: „Ich blickte während der Unfallübergabe in Richtung Bad Dürrheim und sah den Angeklagten mit einem Handy in der Hand, das Richtung BMW zeigte.“ Was genau mit dem Handy gemacht wurde, konnte er aber nicht sagen. Weiter: „Ich lief zu ihm und forderte ihn auf, die Unfallstelle zu verlassen.“ Zuvor hatte er noch selbst auf Anis Handy schauen wollen, ob der Angeklagte Fotos oder Videos vom Verletzten gemacht hatte – aber: „Das war kein Samsung-Handy. Ich kenne mich mit anderen Herstellern nicht aus.“ Letztlich habe der Polizist Ani aufgefordert, mögliche Bilder selbstständig zu löschen. Der Zeuge gab an, sehr im Stress gewesen zu sein, das Mobiltelefon beschlagnahmte er nicht: „Das hätte ich machen sollen. Das war ein Fehler“, sagte er weiter. Weil der Polizist gesehen hatte, von welchem Entsorgungsunternehmen Ani kommt, konnte er im Nachhinein dennoch gegen den 59-Jährigen Ermittlungen ins Rollen bringen.

Ebenfalls als Zeuge geladen war der Einsatzleiter der Feuerwehr. Seine Kollegen und er hatten den im BMW eingeklemmten Verunfallten aus dem Auto schneiden müssen: „Ich sah zwei Reporter, die hinter der Leitplanke waren, und den Angeklagten. Ich wunderte mich, warum der näher an der Unfallstelle ist, als die Pressevertreter.“ Der Feuerwehrmann habe gesehen, wie Ani dessen Handy direkt am BMW in die Höhe gehalten hatte. Zu diesem Zeitpunkt ist der Verletzte noch im Auto gewesen. Weil die Scheiben zerstört waren, hätte man einen guten Blick auf den Eingeklemmten gehabt. „Der Angeklagte war vielleicht fünf Meter vom BMW entfernt“, so der Feuerwehrmann abschließend.

Für Staatsanwalt Meier, der offensichtlich genervt von Anis ausschweifenden Ausführungen war und seinem Unmut immer wieder Ausdruck verlieh, indem er den Angeklagten auch in einem lauteren Tonfall zurechtwies, war klar, dass sich Ani schuldig gemacht hatte. Zwar „konnten wir das Foto leider nicht sichern“, dennoch hätten alle Indizien für die geforderte Geldstrafe von 1800 Euro gesprochen. Meier: „Es gibt hier ein besonderes öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung.“
Zu der kam es aber nicht. „Ich bin nicht zur Überzeugung gekommen, dass Sie sich strafbar gemacht haben“, sagte Richter Sklar bei seiner Urteilsverkündung, „ich bin aber überzeugt, dass Sie an der Unfallstelle waren.“ Das Foto könne das Gericht nicht beweisen, aber: „Sie sind hin, um Ihre Neugier zu befriedigen. Das finde ich unmöglich. Auch, dass Sie die Polizei, wie ich in der Presse las, des Rassismus bezichtigten, geht gar nicht.“