Herr Früh, sind wir im Schwarzwald-Baar-Kreis jetzt durch mit Corona?

Nein, wir haben ja weiterhin einzelne Erkrankungsfälle. Von einer „Coronafreiheit“ könnten wir frühestens sprechen, wenn über 14 Tage keine Erkrankungsfälle aufgetreten sind. Im Schwarzwald-Baar-Kreis werden weiterhin in der Fieberambulanz Abstriche durchgeführt. Gestern gab es 50 negative Untersuchungsergebnisse aus der Ambulanz. Ein Drittel der Untersuchten stammte aus benachbarten Landkreisen.

Worauf kommt es in den Sommerwochen aus Ihrer Sicht an?

Wir müssen den Überblick behalten. Wie entwickeln sich die Zahlen, was macht die Bevölkerung in der Freizeit? Ich habe die Sorge, dass die Maskenpflicht und Abstandshaltung weniger beachtet werden. In der Öffentlichkeit sehe ich immer wieder Gruppenbildung, wir müssen beobachten, wie sich das geänderte Verhalten in den Zahlen bemerkbar macht. In den Ferien werden auch viele Praxen urlaubsbedingt geschlossen sein. Das schränkt die Diagnosemöglichkeiten ein. Wir wissen noch nicht, was da auf uns zukommt. Was trägt beispielsweise der Tourismus, der zu uns kommt, ein oder werden Infektionen durch Rückreisende eingeschleppt?

Was macht das mit Ihnen als verantwortlicher Amtsleiter im Gesundheitswesen, wenn nun immer mehr große Menschenansammlungen zusammenkommen, dicht an dicht Menschen vor Gastronomieadressen anstoßen oder Open-Air-Konzerte bevorstehen?

Das wird alles bei fehlenden Krankheitsüberträgern in Ordnung sein. Das Zusammenleben, unsere kulturelle Vielfalt muss sich normalisieren. Die Frage ist, in welchem Tempo das erreicht sein wird und welche Bedingungen bis dahin notwendig sind. Mit den Ordnungsämtern sind wir im Gespräch. Die Menschen drängen jetzt nach draußen. Zuletzt besprachen wir Wanderstrecken, Veranstaltungen in Lokalen und anderes. Die Zuständigkeit liegt bei den Ordnungsämtern.

Was bedeuten in diesem Zusammenhang die Öffnungsschritte bei Kitas und Schulen?

Normalität ist hier erst möglich, wenn die Gefahr vorbei ist. Zur Maskenpflicht, der Gestaltung des Zusammenseins bis hin zur Reinigung gibt es für Schulen und Kindergärten klare Vorgaben vom Land. In diesen Einrichtungen gehörte vor der Coronaepidemie körperliche Nähe zur Betreuung. Die Abstandsgebote sind hier immer wieder hinderlich. Ich hoffe dennoch, dass die Empfehlungen soweit möglich umgesetzt werden. Für Altenheime und deren Bewohner stellt Corona eine existenzielle Bedrohung dar. Bei Kindern sind in der Regel keine schweren Verläufe zu erwarten. Die Gefahr liegt in der Infektion der Eltern und Großeltern und einer beschleunigten Ausbreitung der Erkrankung.

Anfang März wurde in Furtwangen die erste Schule nach einem Infektionsfall geschlossen, Corona war im Kreis erkennbar da. Wurde eine solche Situation eigentlich zuvor einmal geprobt?

Wir waren ab Anfang Februar gut vorbereitet. Das Robert-Koch-Institut hatte seit Jahresbeginn Vorgaben und Leitlinien veröffentlicht. Gut funktioniert so bis heute die Stategie der Containmentphase. In diesem Sinn werden Infizierte schnellstmöglich aus dem öffentlichen Leben herausgenommen. Das ist auch rückblickend der richtige Weg, um eine schnelle Ausbreitung einzudämmen. Wir haben nach der Schließung der Furtwanger Schule täglich – auch über die Wochenenden – alle 28 isolierten Schüler und Lehrer angerufen. Wo es Symptome gab, sind wir hingefahren und haben mehr als die Hälfte der Schüler abgestrichen. Zum Glück war kein Befund positiv. Wir haben dadurch mehrere Tage Zeit gewonnen.

Ihre Behörde hat nach meinen Kenntnissen Betreuungseinrichtungen über veränderte Modalitäten auf dem Postwege unterrichtet. Teils waren Briefe etliche Tage unterwegs. Sind Sie da ausreichend ausgestattet?

Man muss hier verschiedene Informationswege berücksichtigen. Wir haben für aktuelle Informationen immer den schnellsten Weg über Telefon oder Mail gewählt, mussten aber, um rechtskräftig wirken zu können, letztlich Empfehlungen oder Anordnungen auf schriftlichem Weg bestätigen. Das wurde auch vielfach als verzögerte Information missverstanden. Alle Pflegeheime wurden so ab dem 4. März über das Auftreten von Coronaerkrankungen im Kreis und die sich daraus ergebenden Einschränkungen informiert. Die Häuser mussten abgeschottet werden, da durch Bewohner, Mitarbeiter und Besucher Erkrankungen eingetragen werden konnten.

Wann haben Sie sich in den vergangenen vier Monaten die meisten Sorgen gemacht?

Das war kurz vor Ostern. Da hatten wir über zwei Wochen ein exponentielles Wachstum der Erkrankungsmeldungen. In dieser Zeit ereignete sich der Ausbruch in Riedböhringen, zu dem letztlich eine Ausgangssperre verhängt werden musste. Wir wussten in diesen Tagen nicht, wie das bei einer Verdopplung der Krankheitszahlen innerhalb von sechs Tagen weitergeht.

Welcher Fall hat Sie persönlich am meisten betroffen bemacht?

Ich denke, das war, als Corona erstmals in einem Pflegeheim ausgebrochen war. Bereits mehrere Bewohner hatten Symptome. Ich führte dort zweimal Abstriche durch und fand neben schwer kranken Menschen in Betten auch vermeintlich wenig beeinträchtigte Bewohner vor. Von den ersten Abstrichen waren dann acht positiv. Mir war klar, dass eine ernste Situation vorlag. In der Folge verstarb ein Teil der Untersuchten. So etwas wollte ich eigentlich durch vorbeugende Maßnahmen vermeiden.

Wir reden über Niedereschach.

Ja, wir reden über Niedereschach. Ein Kollege aus dem Amt betreute die Situation vor Ort weiter. Der Ausbruch wurde Anfang April entdeckt und dauerte bis Anfang Mai. Den auslösenden Fall des Ausbruchs konnten wir nicht finden. Vermutlich war der Indexpatient zu diesem Zeitpunkt bereits genesen.

Gab es Glücksmomente für Sie in den letzten Wochen?

Ich habe mich besonders gefreut, als wir sehen konnten, dass wir die schwierigen Lagen in den Heimen begrenzen konnten. Zumeist griffen die Erkrankungen nicht auf weitere Stationen oder die gesamten Häuser über. Wir sahen, dass unsere Arbeit funktioniert. Wir konnten mit den Absonderungs- und Isolationsmaßnahmen Sackgassen für die Virusausbreitung schaffen.

Es hat bei uns bislang neun Kinder im Alter bis 14 Jahren erwischt. Warum, wie geht es denen?

Das sind lediglich die Fälle, wo Corona im Abstrich nachgewiesen wurde. Es waren insgesamt gutartige Verläufe ohne Komplikationen. Klarzustellen ist: Wir haben viele Kinder nicht erfasst, es ist eine hohe Dunkelziffer in den ersten Monaten bei Kindern und Jugendlichen anzunehmen. Wir haben immer wieder Familien gesehen, in denen sich die Symptome der Coronaerkrankung in der ganzen Familie ausgebreitet haben. Aufgrund der eingeschränkten Laborkapazitäten in den ersten Wochen wurden asymptomatische oder nur leicht erkrankte Angehörige ohne Testung unter Quarantäne gestellt. Erst seit Anfang Juni gibt es eine generelle Testempfehlung für enge Kontaktpersonen von coranainfizierten Personen.

Manche Städte fielen mit relativ hohen Infektionszahlen auf. Blumberg, Niedereschach etwa. Wurde dort etwas falsch gemacht? Was lernen wir daraus?

Nein. Wir haben auch dort alles richtig gemacht. Alle Infektions-Fälle wurden hinsichtlich Wohnort, Arbeitsplätzen, sonstigen Zusammenhängen überprüft. In Niedereschach war ein bereits laufender Ausbruch im Pflegeheim auslösend. Betroffen waren auch Pflegekräfte. In einigen Fällen erkrankten auch deren Angehörige und Freunde. Deshalb waren wir vor allem im Umfeld des Pflegeheims aktiv. Es gab aber in Niedereschach keine allgemeine Infektionsgefährdung wie in Riedböhringen. Hier waren Anfang März zwei Busse tageweise nach Ischgl gefahren, und nach wenigen Tagen traten im ganzen Ort Fälle auf. Anfang März wussten wir noch nicht, dass es Virusträger ohne Symptome gibt. Wir hatten damals in Südbaden nur zwei Labore, die in der Lage waren, eine begrenzte Zahl von Tests durchzuführen. Heute bietet jedes größere medizinische Labor die Analysen an. Mit diesen Möglichkeiten und dem heutigen Wissensstand würde man heute Rückkehrer generell und wiederholt abstreichen.

Wir haben jetzt im Schwarzwald-Baar-Kreis fast 600 Infektionsfälle registriert. Wieviele der Betroffenen waren ohne Symptome?

Etwa 20 Prozent der positiv getesteten Personen waren ohne Symptome. Dieser Anteil steigt, weil wir seit dem 1. Juni auch asymptomatische Kontaktpersonen testen können. Wir hatten zuvor keine Möglichkeiten, so umfangreich wie heute zu testen.

Fragen: Norbert Trippl

Zur Person: Jochen Früh ist seit 2016 Amtsleiter. 2015 startete er als Stellvertreter. Zuvor wirkte er zehn Jahre als stellvertretender Leiter im Gesundheitsamt Waldshut. Der heute 61-Jährige arbeitete nach einer Weiterbildung zum Internisten als Oberarzt in einer Rehabilitationseinrichtung der Rentenversicherung bis zum Jahr 1998. Das hiesige Gesundheitsamt will er noch fünf Jahre leiten.