Hans Engelhard ist Ehe-, Familien- und Lebensberater und beobachtet mit Sorge, was die Corona-Krise und die strengen Auflagen mit vielen Menschen machen. Es sei eine völlig unnatürliche Situation: Alle sitzen zuhause, keiner kann wirklich raus und viele können mit der erzwungenen Nähe schlecht umgehen.

Hans Engelhard fürchtet, dass es durch die Corona-Krise zu einem Anstieg häuslicher Gewalt kommen könnte.
Hans Engelhard fürchtet, dass es durch die Corona-Krise zu einem Anstieg häuslicher Gewalt kommen könnte. | Bild: Jochen Hahne

„Nicht jeder geht raus und bewegt sich, diese Möglichkeit gibt es zum Glück ja und sich verausgaben kann helfen, Stress abzubauen und wieder entspannter miteinander umzugehen“, so Engelhard, der in Villingen eine therapeutische Praxis für Beziehungsfragen hat und auch in der Corona-Krise für Hilfesuchende da ist.

Angriff oder Flucht

Grundsätzlich könne die Konfrontation mit einem Feind bei den Menschen drei Reaktionen auslösen: Sich tot stellen oder unsichtbar machen, Flucht oder Angriff. „Bei der momentanen Lage bleibt für viele nur der Angriff“, erläutert Hans Engelhard.

Aggressivität steigt

Eine Flucht sei nicht möglich bei den Beschränkungen der Bewegungsfreiheit und sich unsichtbar machen gehe auch nicht. Angriff gehe aber immer einher mit steigender Aggressivität und hier befürchtet der Therapeut einen Anstieg der häuslichen Gewalt.

Zur Untätigkeit verdammt

Er sieht gerade die ganz Aktiven, die Umtriebigen, die immer in Aktion sind, bei denen immer was geht, in Gefahr: „Wenn diese Menschen plötzlich zur Untätigkeit verdammt sind, kann das viele Reaktionen auslösen.“ Zumal in den Familien ja zusätzliche Stressfaktoren zu verzeichnen sind: Die Kinder, die zuhause lernen müssen, die ihre Freunde nicht sehen können, die ihren Bewegungsdrang vielleicht nur eingeschränkt ausleben können.

Wirtschaftliche Probleme

„Viele Paare oder auch Familien stehen auf einmal vor wirtschaftlichen Problemen, sie plagt die Sorge, wie es weitergeht, wenn ein Betrieb in Kurzarbeit geht oder vielleicht sogar Entlassungen drohen.“ All diese Dinge seien völlig unvermittelt auf die Menschen hereingebrochen, da habe sich nichts abgezeichnet: „Alle sind aus der Sicherheit, in der wir bislang gelebt haben, gerissen worden.“

Engelhard rechnet damit, dass sich in einigen Monaten die Krisen bei Paaren oder auch in Familien verschärfen werden, auch die Suizidrate werde steigen: „Angst macht vieles mit den Menschen.“ Das Problem sei, dass es aktuell schwerer sei denn je, Hilfe zu bekommen. Viele Praxen haben ihren Betrieb eingestellt, Fachkliniken seien geschlossen oder nehmen keine Patienten auf.

Wandern, Radtouren

Der Therapeut mit seiner langjährigen Erfahrung rät auf jeden Fall zur Bewegung: „Das ist mit das Beste was man gegen Angst tun kann.“ Wandern, eine Radtour mit den Kindern könne helfen, dass es einem besser geht, man den Kopf frei bekommt. Paare könnten die Chance nutzen, miteinander ins Gespräch zu kommen.

Über Ängste sprechen

„Dazu muss man natürlich das Genervt-Sein hinter sich lassen.“ Wichtig sei es, sich klar zu machen, dass die Lage nichts mit dem Partner zu tun habe. „Viele projizieren die Probleme auf den Partner.“ Ein positiver Ansatz wäre es auch, gemeinsam über seine Ängste zu sprechen, diese zuzugeben und zuzulassen.

Ein unbekanntes Gefühl

Grundsätzlich stuft Hans Engelhard die Lage als wirklich schwierig ein: „Wir erleben alle gerade, dass wir machtlos und ohnmächtig sind und das ist etwas, das wir nicht kennen und deshalb so schwer damit umgehen können.“ Gerade auf Eltern laste eine zusätzliche schwere Bürde: „Sie möchten und müssen ja ihren Kindern Zuversicht vermitteln, die sie selbst ja gar nicht verspüren.“

Hilfe aus der Sackgasse

Hans Engelhard rät auf jeden Fall – soweit das möglich ist – sich professionelle Hilfe zu holen, wenn man das Gefühl hat, nicht mehr aus der Sackgasse herauszukommen. „Ein Auto bringt man ja auch regelmäßig zur Wartung, da sollten wir uns Hilfe zumindest in Krisensituationen holen.“