Ein einmaliges schulisches Bildungsangebot im Landkreis ermöglicht die Kaufmännische Schulen in Villingen jugendlichen Flüchtlingen aus der Ukraine. Sie können dort ihre Berufsschulpflicht in Deutschland erfüllen. Allerdings ohne Abschlussprüfung, ohne Pflichtpraktikum und mit abgespecktem Stundenplan.

Dass ein solches Angebot hierzulande möglich ist, ist dem Pragmatismus aller beteiligten Stellen zu verdanken. Das Land als Geldgeber, der Kreis als Schulträger und die Schule als ausführendes Organ waren sich einig, den ukrainischen Flüchtlingskindern zwischen 16 und 18 Jahren, die hierzulande der Berufsschulpflicht unterliegen, ein ihrer Situation angepasstes Bildungsangebot zu machen.

Einen friedlichen schulischen Ankerplatz bieten

Die Abkürzung Vabo-Klasse steht im Berufsschulwesen des Landes für Vorbereitung, Ausbildung, Beruf, ohne Deutschkenntnisse. Im Fall der neu gebildeten Ukraine-Klasse aber steht nicht die übliche Vorbereitung auf eine Berufsausbildung im Vordergrund.

Rainer Wittmann, der Rektor der Kaufmännischen Schulen, ist froh, dass seine Schule den ukrainischen Jugendlichen ein ganz besonderes ...
Rainer Wittmann, der Rektor der Kaufmännischen Schulen, ist froh, dass seine Schule den ukrainischen Jugendlichen ein ganz besonderes Bildungsangebot machen kann. | Bild: Stadler, Eberhard

„Wir wollen den ukrainischen Schülern einen schulischen Ankerplatz bieten, wo sie in einer friedvollen und soliden Lernatmosphäre zur Ruhe kommen können“, formuliert Schulleiter Rainer Wittmann die inhaltliche Zielsetzung dieser besonderen Berufsschulklasse.

Schließlich mache es keinen Sinn, die jungen Leute, die nicht oder kaum Deutsch sprechen, durch den Kanon der Berufsschulfächer und Prüfungen zu treiben. Zumal niemand wisse, ob die jungen Leute nicht schon bald wieder in ihre Heimat zurückkehrten.

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Wittmann äußerte sich ausgesprochen dankbar, dass die übergeordneten Stellen von Kreis und Land diesem Projekt außerhalb etablierter Bildungs- und Lehrpläne zugestimmt und die Mittel bewilligt haben.

Improvisation für die Lebenswirklichkeit

Die Kaufmännische Schule 1 hat daraufhin improvisiert, Personal bereitgestellt und einen Stundenplan gebastelt. Am 26. September hat der Unterricht begonnen, anfangs mit 14, inzwischen mit 17 Schülerinnen und Schüler ausschließlich ukrainischer Nationalität. Im Berufsschulbereich des Landkreises bisher ein Novum.

„Es kommen regelmäßig weitere Nachzügler hinzu“, berichtet Oberstudienrätin Ana Lipinski, die für diesen Schulzweig verantwortliche Abteilungsleiterin. Im Mittelpunkt des Unterrichts, so verdeutlicht sie, stehen nicht berufsspezifische Schulstoffe. Vielmehr gehe es um den Erwerb der deutschen Sprache und um die Vermittlung der Lebenswirklichkeit in Deutschland.

Oberstudienrätin Ana Lipinski gehört zum Schulleitungsteam an den Kaufmännischen Schulen in Villingen und ist auch für die Berufsschule ...
Oberstudienrätin Ana Lipinski gehört zum Schulleitungsteam an den Kaufmännischen Schulen in Villingen und ist auch für die Berufsschule zuständig. | Bild: Stadler, Eberhard

„Wir gehen gehen zum Beispiel mit den Schülern in eine Bank und zeigen, wie man ein Girokonto eröffnet. Oder wir führen sie in einen Supermarkt und erklären die Abläufe“, schildert sie.

Ukrainer hoch motiviert und dankbar

Die Motivation und das Interesse der Schüler sei sehr hoch. „Dass sie auf Russisch unterrichtet werden, nehmen sie als Besonderheit wahr und fühlen sich wertgeschätzt“, berichtet Ana Lipinski. Denn: „Viele können kein Deutsch.“

Doch die Schule hat das Glück, dass sie zwei Lehrer in ihrem Kollegium hat, die Russisch sprechen. Zum einen Christine Seiberling, die als Klassenlehrerin fungiert, zum zweiten Mathematiklehrer Anton Prokhorov.

Anton Prokhorov und Christine Seiberling sprechen Russisch und unterrichten die Jugendlichen aus der Ukraine überwiegen in russischer ...
Anton Prokhorov und Christine Seiberling sprechen Russisch und unterrichten die Jugendlichen aus der Ukraine überwiegen in russischer Sprache. Die Schüler sind darüber äußerst dankbar, denn die wenigsten können Deutsch. | Bild: Stadler, Eberhard

„Es sind junge Menschen, die unsere Hilfe brauchen“, sagt Prokhorov. „Sie sind extrem dankbar, dass sie mit uns Russisch reden können“, berichtet er. Der studierte Mathematiker und Naturwissenschaftler gibt diesen Schülern derzeit vor allem Tipps, wie sie die deutsche Sprache lernen können.

„Ich erlebe die Jugendlichen als sehr motiviert, sehr freundlich und sehr dankbar“, schildert Klassenlehrerin Christine Seiberling ihre Eindrücke. Der Lerneifer ihrer neuen Klasse beeindruckt sie. „Viele wollen ein freiwilliges Berufspraktikum machen“, berichtet sie. Drei haben damit schon angefangen. Die meisten büffeln zu Hause freiwillig deutsche Vokabeln und Grammatik.

Die Neugierde auf die Lebenswelt in Deutschland sei groß, bestätigt Seiberling. So haben die Schüler viele Fragen, zum Beispiel zum deutschen Flaschenpfandsystem oder zur Mülltrennung.

Schüler lernen an zwei Schulen parallel

Besonders beeindruckt aber ist die Klassenlehrerin, dass fast alle Schüler parallel ihre Schulausbildung in der Ukraine via Fernunterricht fortsetzen und auf Abschlussprüfungen büffeln. Die Villinger Berufsschulklasse ist für die meisten somit die Zweitschule.

Und was sagen die Jugendlichen selbst? Im Vordergrund steht für sie, das betonen die Schüler im Gespräch mit dem SÜDKURIER, das Erlernen der deutschen Sprache als Basisvoraussetzung für alles weitere. Einer der Schüler, Ruslan, berichtet, er würde gerne seinen Traum von einer Karriere als Profifußballer verwirklichen.

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Rund die Hälfte der Schüler bekundet, baldmöglichst wieder in die Ukraine zurückkehren zu wollen, andere würden gerne bleiben, und einige sind hin- und hergerissen.

Die einjährige Schulausbildung ist für diese Klasse, wie Rektor Wittmann feststellt, zugleich auch „die Eintrittskarte für den Bezug von Sozialleistungen in Deutschland“. Sie kann aber auch viel mehr werden: Der erste Schritt in ein neues Leben fern der Heimat.