VS-Villingen Zum Abriss der Jugendherberge hat der Villinger Historiker und Germanist Wolfgang Heitner, der sich intensiv mit der Lokalhistorie beschäftigt, die Geschichte des „marschierenden Hitlerjungen“ ausgegraben und dem SÜDKURIER geschickt.
Im Sommer 1934 fand in der Kanzleigasse 1 die Jugendherberge in Villingen einen festen Platz. Zwei Stockwerke, in denen Schlafräume für Jungen und Mädchen, eine Küche, Wasch- und Aufenthaltsraum Platz fanden, wurden in einfachster Weise umgebaut. In einer pompösen Einweihungsfeier mit über 1200 Angehörigen der HJ, des BDM, der SA und der örtlichen Parteiprominenz überreichte Bürgermeister Schneider dem NS-Gebietsführer des Jugendherbergswerkes den Schlüssel des Hauses.
Im Juli 1938 wurde die Jugendherberge vom Erdgeschoss bis unters Dach vollständig umgebaut. Zu den regelmäßigen Gästen gehörten auch Familien aus der saarländischen Partnerstadt Friedrichsthal-Bildstock. Als Zeichen der Verbundenheit gaben die Saarländer bei Holzbildhauer Eugen Merz eine Holzfigur in Auftrag, die ihr Bürgermeister bei einem Besuch im Sommer 1939 im Rahmen einer öffentlichen Feier der Villinger Stadtverwaltung übergab. Die 120 Zentimeter hohe Holzfigur stellte einen „marschierenden Hitlerjungen“ dar, bekleidet mit knielanger, schwarzer Hose, braunem Hemd mit Hakenkreuzbinde und Halstuch, einem Wimpel in der Hand und einem Tornister auf dem Rücken. Angebracht wurde die Figur an der Hausfassade der Jugendherberge als weithin sichtbarer Wegweiser zu diesem Haus. Dort blieb sie bis zum Ende des Krieges, wurde danach abmontiert und im Gebäude aufbewahrt.
Als 1963 im Stadtteil Goldenbühl die neuerbaute Jugendherberge bezogen wurde, war auch die Holzfigur Teil der neuen Einrichtung. Jedoch mit einer bemerkenswerten äußerlichen Veränderung: Der „marschierende Hitlerjunge“ war zu einem einfachen „Wanderjungen“ geworden. Verändert hatte sich die Farbgebung der Kleidung: jetzt olivgrünes Hemd, braune Hose und rote Kniestrümpfe. Verschwunden waren sowohl die Hakenkreuzbinde, das Halstuch und der Wimpel als auch die Inschrift des Koppelschlosses „Blut und Ehre“. Seit der Schließung der Jugendherberge lagert die Holzfigur im Depot des Franziskanermuseums.