Der FC Radolfzell sucht Sponsoren, Helfer, engagierte Eltern, qualifizierte Trainer. Darin unterscheidet sich der Club nicht von allen anderen in der Region. Wer selbst in einem Verein in der Verantwortung steht, weiß um das mühselige Klinkenputzen bei Unternehmen vor Ort. Weiß, wie schwer es ist, für ein Ehrenamt und Vereinsleben zu begeistern.
Eine Podiumsdiskussion soll helfen, mit Jochen Saier konnte ein Stargast für die Veranstaltung am 29. Februar verpflichtet werden. Der Sportvorstand des SC Freiburg ist ein gefragter Mann mit vollem Terminkalender, weshalb zahlreiche Gäste an diesem Abend im Bürgerhaus in Moos erwartet werden. Es soll um „Fußball, Gemeinschaft, Zukunft“ gehen, um die Jugendarbeit auf der Mettnau, die Kooperation mit dem Breisgauer Bundesliga-Club. So steht es zumindest auf den Plakaten, mit denen die Podiumsdiskussion beworben wird.
Tatsächlich geht es noch um viel mehr. Etwa um die Neuausrichtung eines Clubs, der wie viele andere auch mit seiner Identität und dem gesellschaftlichen Wandel ringt.
Es ist einer dieser Regentage, die im Februar viel mehr schmerzen als im November. Der Blick aus dem Café zeigt Tristesse statt Frühlingserwachen. Stefan Salzborn will über die Podiumsrunde sprechen. Über seinen FC Radolfzell, dessen Vorsitzender er seit einem Jahr nun ist. Geboren 1977, aufgewachsen in Würzburg, mit fünf Jahren hat er im benachbarten Dorfverein mit dem Kicken angefangen. Seit 2010 wohnt er mit seiner Familie in Radolfzell.
Fußball
230 Kinder spielen beim FC Radolfzell Fußball. Der Club ist in zwei Altersklassen in der Oberliga vertreten, mehr geht nicht in Baden-Württemberg. Wer beim FC Radolfzell kickt, der wird besonders gefördert. Der SC Freiburg schickt beispielweise einmal pro Woche einen Trainer auf die Mettnau, der die Nachwuchs-Asse anleitet.
Radolfzeller spielen hier, aber auch viele externe Kicker. Eine Frauenmannschaft gibt es nicht. Und bei den Aktiven wurde ein Reserveteam erst vor dieser Saison wiedergegründet. Die Jahre zuvor fokussierte sich alles auf die „Erste“, die lange in der Verbandsliga- und seit dem Abstieg vor einem Jahr nun in der Landesliga spielt.
Die Erfolge des FC Radolfzell sind außergewöhnlich. Nicht die Clubs aus Konstanz oder Singen sind in der Region führend in der Jugendarbeit, auf der Mettnau werden immer wieder Talente geformt, die es zum SC Freiburg schaffen. Salzborn spricht von einer „Ölquelle an talentierten Spielern“, auf der man sitze. Und doch bereitet ihm manche Entwicklung Sorge.
„Wir mussten in der Vergangenheit weniger talentierten Spielern einen Wechsel nahelegen“, sagt Salzborn, „weil wir einfach keine Kapazitäten mehr gehabt haben, um den Breitensport zu fördern.“ Jedes Mal habe das weh getan, auf Dauer könne das nicht gut gehen. „Wir brauchen den Leistungsgedanken, aber wir müssen auch ein Verein für alle Radolfzeller Kinder sein, die spielen möchten.“ Ein zweiter Kunstrasenplatz wird demnächst entstehen, eine angrenzende Wiese soll richtig bespielbar gemacht werden. Es geht eben nicht nur um den sportlichen Erfolg. Andere Werte drängen in den Vordergrund, erfordern neue Ideen.
Gemeinschaft
„Ich liebe Fußball und ich glaube an das, was der Fußball vermitteln kann“, sagt Salzborn. Er selbst spielte beim FV Lauda im defensiven Mittelfeld in der Oberliga, damals die vierthöchste Liga. „Gemeinschaft, Disziplin, Engagement“, das habe er so gelernt. Der Fußball als Lebensschule, heute vielleicht noch wichtiger als damals.
„Was erleben, zusammen mit anderen, im Freien – mal weg von der Handykiste.“ Und ja, auch das eigentlich selbstverständliche sei gesagt, als Einheit mit „Türken, Spaniern, Italienern – völlig egal. Wer in einer Mannschaft aktiv ist, egal in welcher Sportart, der kann gar keinen Fremdenhass entwickeln.“ Aber damit die Kinder diese Erfahrungen machen können, braucht es Helfer. Salzborn selbst beendete seine Karriere mit 28 Jahren, fand erst wieder zum Vereinssport, als sein Junior bei den Bambinis kicken wollte. „Der damalige Trainer hörte auf, es gab keinen Nachfolger.“ Der Papa musste es also richten. „Klar ist das ein Aufwand. Aber wenn alle immer sagen, dass sie keine Zeit haben, können wir den Laden dicht machen.“
Zukunft
Welchen Wert hat das alles? Die wenigsten Kicker schaffen es in die Bundesliga. Und so unbestritten die gesellschaftliche Bedeutung auch ist, es fehlt bei vielen Clubs finanziell überall. Die Hälfte des Etats fließt laut Salzborn in die Jugend. Sponsoren sind rar. Und von nichts kommt nichts – Grüße an das Phrasenschwein. Einige Ideen gibt es, andere wurden bereits umgesetzt, etwa Kooperationen mit Firmen.
„Überall wird über fehlende Azubis geklagt. Bei uns spielen junge Menschen mit viel Disziplin und Motivation, was für manche Firma ein Talentpool sein könnte.“ Betriebsbesichtigungen, Vorträge, Praktikumsplätze – Ideen für Doppelpässe mit der Wirtschaft vor Ort gibt es genug. Ob der Club damit Erfolg haben wird? Vielleicht muss man manchmal einfach etwas wagen. Aber auch darüber lässt sich diskutieren. Am 29. Februar in Moos, ab 19 Uhr.
Karten für die Podiumsdiskussion gibt es im Vorverkauf für 5 Euro bei ReWa-Immobilien und Teamsport-Bodensee. Restkarten werden an der Abendkasse verkauft.
„Wir haben eine klare Philosophie“
Jochen Saier stammt aus Zell-Weierbach und ist seit 2002 beim SC Freiburg tätig – zunächst als Nachwuchskoordinator und Leiter der Fußballschule, seit 2013 als Sportdirektor.
Herr Saier, der SC Freiburg ist mit sieben Amateurclubs sogenannte Vereinskooperationen eingegangen, darunter auch mit dem FC 03 Radolfzell. Was ist die Grundidee dieser Zusammenarbeit?
Die Ausbildungsphilosophie des SC Freiburg beinhaltet, dass junge Spieler so lange wie möglich in ihrem jeweiligen familiären und sozialen Umfeld bleiben sollten und vor Ort bestmöglich und altersgerecht gefördert werden. In Kooperation und engem Austausch mit regionalen Amateurvereinen, wie zum Beispiel dem FC 03 Radolfzell, wird eine intensive fußballerische Ausbildung ermöglicht, ohne dass die Spieler zu lange Pendelwege hätten oder die schulische Ausbildung beeinträchtigt wäre.
Inwiefern profitieren beide Seiten davon?
Durch dieses Konzept wird der Jugendfußball in Südbaden in der Breite gestärkt – was einen positiven Einfluss auf die Förderung junger Talente hat. Davon profitieren alle.
Vom Bodensee kann eine Fahrt nach Freiburg im Feierabendverkehr schon mal über zwei Stunden dauern. Die Förderung vor Ort ist gerade bei den jüngeren Jahrgängen wichtig, oder?
Es ist elementar, dass die jungen Spieler ihre Zeit für die schulische und fußballerische Ausbildung nutzen und eben nicht regelmäßig lange Fahrtzeiten bewältigen oder schon in jungen Jahren ins Internat ziehen müssen. Dieser Ansatz der kurzen Wege für die Kinder ist ein zentraler Punkt im Konzept der Kooperationsvereine.
Fußball als Lebensschule! Stimmt das? Inwiefern?
Sich in einer Gruppe einfinden, gemeinsam nach Zielen streben, Gewinnen und Verlieren lernen – all das sind zentrale Punkt in jeder Fußballmannschaft. Diese Erfahrungen helfen dann auch neben dem Sportplatz und generell im weiteren Leben. Und wir müssen ehrlich sein: Die Wenigsten verdienen ihr Geld später als Fußballprofi. Umso wichtiger ist es, dass wir auch für das Leben nach der intensiven Zeit als Jugendspieler im Leistungsbereich vorbereiten.
Wie bewerten Sie die Jugendarbeit, die auf der Mettnau geleistet wird? Angeblich hat kein anderer Club in den vergangenen Jahren so viele Talente aufgebaut, die es in eine ihrer Nachwuchsmannschaften geschafft haben.
Die langjährige Zusammenarbeit mit dem FC Radolfzell ist geprägt von Vertrauen und großem Engagement. Die Durchlässigkeit ist mit aktuell 17 Spielern wirklich beeindruckend. Da muss ich an dieser Stelle auch einfach mal einen großen Dank an die handelnden Personen aussprechen. Wir sind mit der Arbeit in den Kooperationsvereinen und der Ausbildung in der Freiburger Fußballschule sehr zufrieden – der Sport-Club, die Kooperationsvereine und der Fußball in Südbaden ganz allgemein profitieren davon.
Amateurclubs haben immer mehr Probleme, ehrenamtliche Helfer zu finden. Wie sehr sorgt Sie die Entwicklung?
Für unsere Gesellschaft allgemein ist die ehrenamtliche Arbeit und das Vereinsleben wichtig. Dies gilt es zu erhalten und zu stärken. Wir versuchen, das durch gute Konzepte und Hilfestellung wo nötig zu unterstützen. Aber nichts ersetzt das Engagement, das Miteinander vor Ort, das Herzblut und das für eine Sache brennen. Dieses Feuer müssen wir am Lodern halten – egal ob im Fußballverein, im Musikverein oder in der freiwilligen Feuerwehr.
Und der SC Freiburg selbst? Wie schwer hat es ihr Verein, Talente zu binden?
Die Arbeit in unserem Nachwuchsleistungszentrum beinhaltet eine klare Philosophie, bei welcher die verantwortungsvolle Entwicklung des Spielers im Mittelpunkt steht. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir uns nicht gänzlich frei von den Zwängen des Marktes machen können. Wir versuchen aber bei uns zu bleiben und unseren Weg möglichst konsequent weiterzugehen. Aktuell stehen elf Spieler im Profikader, die den Weg über die Fußballschule genommen haben – und das obwohl wir in den letzten beiden Jahren Eigengewächsen wie Nico Schlotterbeck nach Dortmund oder Kevin Schade nach Brentford abgegeben haben.