Es ist einer dieser trüben Tage, von denen es in diesem Frühjahr so viele gab. Der Rasen ist tief, wie Fußballer sagen, also aufgeweicht vom vielen Regen, sodass Jérôme Ernsberger keine Mühe hat, die Übungsstangen in den Boden zu drücken. Die Ruhe vor dem Sturm.
Kinder, die kaum sechs Jahre alt sind, sehen auf Bildern meist sehr brav aus, doch wehe, wenn sie im Dutzend mit einem Ball losgelassen werden! Links wird schon gekickt, rechts werden Stangen umgebogen, dazwischen müssen Schuhe gebunden und gefühlt 2000 Fragen beantwortet werden. Jugendtraining bei den Kleinen, furchtbar niedlich, wahnsinnig anstrengend.
„Hier wird die Zukunft gebaut“
Ernsberger weiß, wie wichtig die jüngsten Altersklassen sind. „Hier wird die Zukunft von Vereinen gebaut, bei den Bambinis und der F-Jugend kommen die Neuzugänge zum Club, weniger in der C-, B- oder A-Jugend.“
Einige Bambinis stehen nach gut einer Stunde noch am Spielfeldrand, die meisten sind von ihren Eltern bereits abgeholt worden. Die hohe Zahl an Kindern, die der Verein seit Jahren verzeichnet, hängt auch mit dem Wachstum der gesamten Stadt zusammen. Gerade rund um das Vereinsgelände entstand ein Neubaugebiet, das sich stetig vergrößert. Kindergartenplätze sind gefragt wie Erdbeeren in Wimbledon, manche Vereine in Radolfzell führen längst Wartelisten, da sie den vielen Mitgliedswünschen kaum gerecht werden können.
„Bei uns sind alle willkommen, wir mussten noch kein Kind abweisen und wollen das auch nicht“, erklärt Ernsberger. „Wir sind ein familiär geführter Verein, in dem die Kinder Spaß haben sollen. Wir machen das hier ohne den absoluten Erfolgsdruck.“ Im Gegenteil, vielmehr gehe es darum, das Miteinander zu erleben, Respekt voreinander zu haben, als Team zusammenzuwachsen. „Im Sport gehört es dazu, dass man lernt, gewinnen zu möchten, aber eben auch mit Anstand zu verlieren.“ Beides wird geübt, weshalb die Teams stets gemischt werden mit schon sehr guten Kids und Anfängern, sodass Erfolg und Misserfolg sich abwechseln.
Es sind diese Werte, die Jérôme Ernsberger als Trainer und Jugendleiter vorlebt. 45 Jahre alt, geboren in Tettnang. Den Start in die Fußball-Laufbahn machte er beim FC Kluftern, durch seinen Umzug zum Studium nach Konstanz setzte er dann seinen sportlichen Werdegang als Linksverteidiger bei der DJK Konstanz für zwölf Jahre fort.
Fußball als Leidenschaft. Warum dieser Sport so viele Menschen fasziniert? „Als ich noch Jugendspieler war, mussten immer zwei Spieler eine Stunde früher kommen, um zu streuen und die Tore aufzustellen.“ (Anmerkung der Redaktion: Die nächsten 30 Minuten verbrachten Ernsberger und unser Kollege damit, über den Geruch von nassem Rasen zu philosophieren, der am Tag zuvor frisch geschnitten wurde. Über Frühling auf dem Sportplatz, Sonne im Genick, Bratwurstduft und die komplette Freude, die nur Kinder bei einem Torerfolg zeigen können). Etwas Romantik, auf und neben dem Platz.
Seine Frau Nicole lernte Ernsberger bereits in der Schule kennen, sie waren schon ein Paar, als sie das Abitur machten. Das Studium ließ nicht mehr als eine Fernbeziehung zu, ehe sich beide einige Jahre später ein gemeinsames Zuhause in Radolfzell aufbauten – direkt neben der Nordstern-Anlage. Sohn Maxim ist inzwischen acht Jahre alt, Tochter Mila zwölf.
Einladung zur DFB-Gala
Bei den Alten Herren kickte er noch etwas, doch irgendwann war Schluss mit den eigenen Ambitionen auf dem Platz. Stattdessen unterstützte er einen E-Jugendtrainer, übernahm die Mannschaft dann komplett.
Was folgte, wurde in den vergangenen Wochen mehrfach ausgezeichnet. Vom Südbadischen Fußball-Verband gab es eine Urkunde samt Ehrung und Feierwochenende in einem Sporthotel bei Karlsruhe, der Club erhielt zwei neue Tore und einige Bälle – und am 11. November darf der Jugendleiter zur DFB-Gala nach Düsseldorf reisen, wo er in den Club der 100 aufgenommen wird.
Um das Engagement zu verdeutlichen: Ernsberger trainiert aktuell die jüngeren Bambini-Jahrgänge, dazu die D-Mädchen, bei denen seine Tochter aktiv ist, er führt obendrein als Jugendleiter die ganze Abteilung an, organisiert jedes Jahr ein Grundschulturnier mit mehreren hundert Teilnehmern und leitete in der Vergangenheit noch Schul-AGs. Aufwand pro Woche? Mindestens 15 Stunden. Da zeigen Frau und Eltern schon mal im Spaß den Vogel, aber „eigentlich unterstützen die mich total, sonst würde das ja gar nicht gehen“, weiß der Software-Entwickler.
Und das zahlt sich aus. Vor acht Jahren hatte der BSV Nordstern Radolfzell 150 Jugendspieler und bei manchen Trainersitzungen waren gerade mal acht oder neun Übungsleiter anwesend. Inzwischen zählt der Verein 340 Jugendspieler, hat alle Altersklassen mit eigenen Mannschaften besetzt, die von 35 Trainern betreut werden.

Eine tolle Bilanz. „Mich freut am meisten, dass zwei Spieler der E-Jugendmannschaft, die ich bei meinem Trainerstart 2012 betreut habe, noch dabei sind und dieses Jahr zu den Aktiven kommen. Und bei den Damen spielt auch schon ein Talent von damals.“ In den kommenden Jahren soll die Quote ausgebaut werden, Ernsberger glaubt, dass jedes Jahr fünf oder sechs Nachwuchstalente bei den Aktiven ankommend werden.
Dass das gelingt, dafür braucht es Typen wie ihn. Aber noch viel mehr. „Ich bin da nur ein kleines Rädchen im großen Getriebe“, sagt der 45-Jährige. „Ich stehe vorne dran und darf diese Ehrungen entgegennehmen, aber ohne eine funktionierende Vorstandschaft, alle Trainer, die Eltern, die vielen Helfer, den Platzwart, den Hausmeister und allen anderen, die dazu gehören, würde das nicht funktionieren.“
Ein Tor kann eben stets nur ein Spieler erzielen, Großes gelingt aber nur im Team.