Jörg, nach dem Herzschlag-Aufstieg im vergangenen Jahr ist die HSG Konstanz nun ziemlich deutlich direkt wieder abgestiegen. Wie lautet Ihr Saisonfazit?

Wir haben viel dazu gelernt. Es gibt viele Dinge, auf die wir stolz sein können, auch wenn wir in Summe nicht gut genug waren in manchen Bereichen, da will ich mich gar nicht herausnehmen. Ich unterteile die Saison in vier Phasen. Den Fehlstart, als wir noch nicht konkurrenzfähig waren. Dann haben wir das Abwehrsystem gewechselt, im Angriff den siebten Feldspieler gebracht und mussten Peter Schramm abgeben. Die schönste Phase hat der Punkt gegen Dresden eingeläutet, als wir unglücklich einen Sieg verpasst hatten. Wir haben dann viel gepunktet und standen auf einem Nichtabstiegsplatz. Die dritte Phase war Ende des Jahres, als wir reihenweise gegen die absoluten Top-Top-Teams spielen mussten. Wir waren voll konkurrenzfähig, hatten viel Spaß und hätten sieben Punkte geholt, wenn die Spiele nur 55 Minuten gedauert hätten. Nach 60 Minuten war es dann eben nur der eine Punkt in Ludwigshafen. In den entscheidenden Situationen hat uns Qualität, Cleverness, Erfahrung, Mut gefehlt. Der Jahreswechsel war emotional sehr ambivalent. Wir haben gesehen: Wir sind voll angekommen, wenn wir ans Optimum rankommen, hatten aber gleichzeitig, das Gefühl einiges liegen gelassen zu haben, was später fehlen könnte. Oft haben Kleinigkeiten den Unterschied ausgemacht.

Diese Runde verlief recht unspektakulär. Weil Abstiege auch zum Konstanzer Weg gehören? An anderen Standorten wäre bestimmt mehr Theater, wenn das Ziel Klassenerhalt nicht erreicht wird.

Das ist etwas Besonderes und wäre bei einem Großteil der anderen Vereine tatsächlich anders. Ich glaube, dass es eine realistische Selbsteinschätzung ist von Vereinsführung, Fans, Trainern und den Spielern. Ich kann jeden verstehen, wenn er nach einer Niederlage enttäuscht ist. Das bin ich auch. Aber alle wissen, dass unsere Gegner oft Mannschaften sind, die einen dreifachen Etat und mehr haben. Gemessen an dem, was wir finanziell bieten, verlangen wir den Spielern brutal viel ab. 22 500 Kilometer im Bus, wir trainieren achtmal die Woche, ohne Profis zu sein. Alle machen hier eine duale Karriere. Unsere Zuschauerzahlen sind zweitligareif, die Social-Media-Reichweite ist bundesligareif. Der Reiz und eine Energiequelle für mich ist, wie ich mit meiner Mannschaft Wege finden kann, die uns in die Lage versetzen, nach 60 Minuten ein Tor mehr zu werfen als Mannschaften, die viel teurere und bessere Spieler auf die Platte stellen. Ich möchte nicht die Leistungsgesellschaft mit einer Erfolgsgesellschaft verwechseln. Wenn einer viel investiert und sich entwickelt, dann muss man das wertschätzen.

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Gab es positive Überraschungen?

Lars Michelberger macht eine gute Entwicklung, auch beide Torhüter. Sie wechseln für meinen Geschmack zu früh weg aus Konstanz. David Knezevic kam als A-Jugendspieler und fährt nächste Woche zu einem Lehrgang mit der serbischen Nationalmannschaft. Positiv war für mich auch die Rückmeldung der Spieler, jede Vertragsverlängerung. An vielen anderen Standorten würden die Jungs mehr Geld für weniger Aufwand bekommen. Unser Motto „Handballzeit ist Lebenszeit“ ist keinen Millimeter anders, nur weil jetzt weniger Erfolg haben.

Apropos anders: Die HSG Konstanz war gefühlt der einzige Zweitliga-Verein, bei dem permanent ein Aufpasser am Kampfgericht saß. Wie sind Sie mit dieser speziellen Situation umgegangen?

Ich bin weit davon entfernt zu jammern und hätte kein Problem damit, im Gegenteil: Ein Delegierter sorgt für eine höhere Qualität der Spielleitung. Mein Problem damit ist: Es werden so indirekt und implizit Unsportlichkeiten unterstellt zugunsten der HSG Konstanz. Das ist nicht richtig. Es gab in der alten Saison und in dieser gegen Rostock ein oder zwei Fehler vom Kampf- oder Schiedsgericht, dazu ein, zwei knappe Entscheidungen. Dabei wurde aber viel auf die falschen Leute gezeigt: auf meine Spieler, die sich zu keinem Zeitpunkt falsch verhalten haben.

Auch in diesem Sommer wird es einen Umbruch in Ihrem Team geben. Sind Sie stolz darauf, Ihre Spieler besser und für andere Clubs begehrt zu machen, oder ärgert es Sie, dass immer wieder Leistungsträger gehen?

Ich freue mich für jeden der Jungs persönlich und wünsche nur das Allerallerbeste. In diesem Jahr waren ein, zwei Wechsel dabei, mit denen ich nicht hundertprozentig happy bin. Trotzdem: Wir werden die Jungs verfolgen. Ich drücke ihnen die Daumen, und wenn sie sich durchsetzen, ist alles gut für mich. Wir setzen bewusst auf junge Spieler, die ihre Einsatzzeiten bekommen und Fehler machen dürfen.

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2. Bundesliga, 3. Liga, 2. Bundesliga, jetzt wieder 3. Liga. Wird die HSG Konstanz eine Fahrstuhlmannschaft?

Wenn man die letzten Jahre betrachtet, dann erfüllen wir die Kriterien einer Fahrstuhlmannschaft. Das kann man negativ betrachten, ich sage aber: Wenn wir es nächstes Jahr wieder in die Aufstiegsrunde schaffen und wieder um den Aufstieg spielen würden, wäre der Begriff mit ganz viel Stolz unterlegt, weil wir wieder ganz viel richtig gemacht hätten. Vieles, was wir machen, ist über dem Drittligalevel: Trainingsplanung, Reisen, Unterkünfte, Staff. Wenn du aber hochgehst, dann sind das in der 2. Bundesliga die Standards in jedem Verein. Es gibt eine Riesenlücke zwischen den Ligen, und das ist der Bereich, in dem wir uns bewegen. Es ist keine Frage, ob wir uns entwickeln, sondern nur, wie schnell.

Sind Sie gut gerüstet für die 3. Liga?

Im Tor haben wir einen gewissen Neuanfang mit Tom Göres, der per sofort in der Verantwortung stehen wird, weil Janis Boieck und Konstantin Pauli wegen Verletzungen lange raus waren. Das kann aber auch eine Chance sein, weil alle drei Qualität haben. Im Rest der Mannschaft sehe ich die Veränderung nicht so groß. Samuel Wendel und Veit Schlafmann sind länger verletzt, da kann es sein, dass wir auf Linksaußen improvisieren müssen wie in den letzten Wochen auf Rechtsaußen. Den rechten Rückraum sehe ich gut aufgestellt, da haben wir mit Luis Foege, Fynn Beckmann und Jo Knipp drei tolle Spieler. Die zentral größte Veränderung ist der Abgang von David Knezevic, der defensiv und offensiv viel Verantwortung hatte. Ich glaube, dass wir hier offensiv mit Felix Sproß einen richtig coolen Typen bekommen, der gut zur HSG passt. Defensiv ist der Plan, die Position von David mit Jo Knipp zu besetzen, daneben Lars Michelberger und beide Kreisläufer. Bei Lars fallen immer die Tore aus dem Rückraum auf, aber sein Entwicklungsschritt war fast noch größer in der Abwehr. Er ist ein stabiler Verteidiger in der 2. Bundesliga geworden.

Nun ist erst mal Pause. Fliegt Ihre Mannschaft auch als Absteiger nach Mallorca?

Ich glaube, dass eine kleine Delegation die HSG Konstanz am Ballermann vertreten wird. Letztes Jahr hat das ganze Team den Aufstieg gefeiert, aber ich weiß von vielen, die nach dieser langen Saison in der Zweiten Liga mit vielen Englischen Wochen ihre Fehlzeiten an der Uni aufgebraucht haben. Sie wollen jetzt weiterstudieren und haben ihren Urlaub über mehrere lange Wochenenden geplant. Viel Zeit bleibt eh nicht. Die Jungs haben jetzt elf Tage sportfrei, dann drei Wochen lang einen Trainingsplan und am 10. Juli starten wir gemeinsam in die neue Vorbereitung.

Fragen: Ingo Feiertag