Fußball: Bundesliga am vergangenen Samstag: Nach einem Zusammenprall ist Abwehrspieler Cedric Brunner von Arminia Bielefeld kurz bewusstlos und wird vom Platz getragen, nur eine Woche, nachdem sich sein Mitspieler Fabian Klos schwer am Kopf verletzt hat. In der Champions League sieht man Bilder von einem am Kopf blutenden Leon Goretzka. Oft sind es Zusammenstöße mit Gegenspielern, die bei Fußballern zu mehr oder minder schweren Kopfverletzungen führen. Doch nicht nur unvorhergesehene Körperkontakte können den Akteuren gefährlich werden. Auch das zu diesem Sport gehörende Kopfballspiel wird für Erkrankungen des Gehirns verantwortlich gemacht. Fachleute fordern deshalb sogar ein Kopfball-Verbot für Nachwuchsfußballer. Nach einer Studie der Universität Glasgow aus dem Jahr 2019 haben ehemalige Fußballprofis ein dreifach höheres Risiko, eine Nervenkrankheit zu erleiden. Das Risiko, an Demenz zu erkranken, ist gar fünffach erhöht. Nobby Stiles oder Gerd Müller sind an Demenz erkrankt und verstorben, aus der englischen Weltmeistermannschaft von 1966 litten bisher vier Spieler an Demenz, darunter Jack Charlton. Auch Bobby Charlton hat diese Diagnose bereits erhalten.

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Wenn der 450 Gramm schwere Ball mit etwa 100 km/h auf den Kopf trifft, dann kann es zu Belastungen von 60 g, also der 60-fachen Erdbeschleunigung kommen. Ein Vergleich mit der Formel 1: „Wenn ein Einschlag stärker als 15 G ist, dann geht ein Lämpchen an!“, so Sebastian Vettel zu seinem Pflichtbesuch im Medical Center nach seinem Unfall am vergangenen Wochenende.

Acht Gehirnerschütterungen erlitten

„Ich habe mir zu 90 Prozent meine Verletzungen durch das Kopfballspiel geholt. Aber dabei habe ich mir auch vieles durch Ellbogenstöße eingefangen. Eine Gehirnerschütterung gibt es zumeist, wenn man nicht mit dem Stoß rechnet. Bei einem Kopfballduell rechnet man mit dem Ball, aber Sekundenbruchteile vor dem Ball kommt ein Schlag mit dem Ellbogen!“, erläutert einer, der es wissen muss: Philippe Montandon, Profi unter anderem beim FC Schaffhausen und dem FC Winterthur, war in St. Gallen Spielführer, spielte in der U21-Auswahl der Schweiz und wurde mit dem FC Will Schweizer Cupsieger. 2015 musste er seine Karriere beenden – nach der achten Gehirnerschütterung.

Philippe Montandon.
Philippe Montandon. | Bild: Verein

„Kopfball gehört zum Fußball“

Ein Fußballspiel ganz ohne Kopfball kann sich der einstige zentrale Abwehrspieler nicht vorstellen. „Für mich gehört das dazu. Ich glaube nicht, dass man den Fußball so reformieren kann, dass das Kopfballspiel ausgeschlossen werden kann.“ Zumal er selbst von seiner physischen Präsenz und seiner Kopfballstärke profitierte. „Wahrscheinlich hätte ich ohne Kopfbälle nicht diese Karriere machen können. Von der Körpergröße und der Spielposition her war ich prädestiniert dafür.“ Philippe Montandon, heute 39 Jahre alt und in der Immobilienbranche in Amriswil tätig, macht sich zwar auf Grund der Studien Sorgen. „Das beschäftigt mich. Ich habe Respekt vor der Zukunft, denn ich weiß nicht, was da auf mich zukommt!“ Dennoch bereut er seine Jahre im Profifußball nicht, zumal er eine ganze Reihe von Erfolgen feiern durfte.

Was kann man aber tun, um das Risiko einzudämmen? In England wird den Proficlubs empfohlen, die Anzahl der Kopfbälle pro Spieler und Woche auf zehn zu beschränken. Für Kinder unter zwölf Jahren ist das Kopfballspiel in Training und Spiel verboten, in den USA für Kinder unter zehn Jahren. Beim DFB hingegen scheut man sich noch vor einer eindeutigen Regelung, doch das Thema ist längst auch hierzulande angekommen. Neue Spielformen bei den Jüngsten sollen dafür sorgen, dass eher flach gespielt, gedribbelt wird. Kleine Tore und einrollen statt einwerfen sollen dafür sorgen, dass es seltener zu Kopfbällen kommt. Beim DFB, wo man vor Jahren an die Vereine appelliert hat, das klassische Kopfballpendel wieder in den Trainingsbetrieb einzubauen, weist man allerdings auf ein anderes Problem hin. Wenn das Kopfballspiel nicht geübt, die Hals- und Nackenmuskulatur nicht vorbereitet wird, kommt es bei unsauberer Technik viel schneller zu Verletzungen als bei einem technisch sauber ausgeführtem Kopfball. Und es ist auch noch nicht erforscht, wann die Grenze zu krankhaften Erscheinungen überschritten ist. „Bei der Trainerausbildung weisen wir immer wieder auf ein alters- und entwicklungsgerechtes Training hin, bei dem es im Kinderfußball zu keinem Kopfballtraining kommen soll. Insgesamt sehen wir unsere Aufgabe in der Sensibilisierung der Thematik, daher haben wir auch unser dezentrales Angebot an Schulungsmaßnahmen für Trainer ausgeweitet!“, zeigt Johannes Restle, Geschäftsführer beim Südbadischen Fußballverband, dass man auch hier für das Thema sensibilisiert ist.

Regeneration ist wichtig

Auf einen wichtigen Aspekt deutet Philippe Montandon hin: „Zum einen geht es darum, unnötige Verletzungen zu vermeiden, der Umgang mit dem Gegenspieler eben. Und das Zweite ist: Wie reagiert man bei einer Verletzung!“ Und er erläutert: „Die erste Gehirnerschütterung hatte ich mit 16 – ohne Zeit zum Regenerieren. Lange war man zu wenig sensibilisiert für dieses Thema, zumal es schwerer messbar ist.“ Er selbst spielte nach einem Zusammenprall weiter, bis er spürte, dass er Probleme mit der Orientierung hatte. Montandons Vorschlag: „Man sollte den Betreuern Zeit für eine Diagnose geben, bevor man den Spieler auswechselt.“ In der Bundesliga stehen dafür maximal drei Minuten zur Verfügung, eine rasche, aber dennoch aussagekräftige Diagnose dauert mindestens sieben Minuten. „Man könnte einen Spieler vom Platz nehmen, ihn ersetzen und untersuchen und dann wieder einwechseln. Damit wäre das Kopfballspiel nicht ausgeschlossen, aber der Spieler mehr geschützt“, ergänzt Montandon.

Spieler vor sich selbst schützen

Denn manchmal, man denke nur an Christoph Kramer im WM-Finale 2014, muss man auch die Spieler vor sich selbst schützen. Aber auch die medizinische Abteilung steht unter Druck, kann in wichtigen Spielen Leistungsträger nicht wegen unklarer Diagnosen aus dem Spiel nehmen. Nicht nur im Fußball ist das ein Problem, auch beim Boxen, dem American Football oder beim Eishockey. Ex-Eishockey-Star Stefan Ustorf spielte wenige Tage nach einer nicht ausgeheilten Gehirnerschütterung erneut, erlitt einen Check durch einen frontal auf ihn zufahrenden Gegner, den er schlicht als Folge des Unfalls nicht sah. Die Folge: Eine weitere Gehirnerschütterung, chronische Kopfschmerzen, Operationen, Karriereende.

Im American Football ist man hier, zweifelsfrei auf Grund von Schlagzeilen nach einer ganzen Reihen von Selbstmorden von einstigen Profis, schon weiter, wie Dr. Holger Vetter, Sportmediziner aus Radolfzell, erläutert: „Als Vorreiter kann man hier die Regularien in der Profiliga NFL ansehen. Dort durchlaufen die Profispieler seit 2011 nach einer Kopfverletzung im Spiel das concussion protocol. In jedem Spiel haben zwei sogenannte Spotter die Aufgabe, Kopfverletzungen bei Spielern zu erkennen. Der Sportler darf erst dann wieder aktiv am Spielgeschehen teilnehmen, wenn der Teamarzt und ein neutraler Neurologe ihm dafür die Freigabe erteilen.“ Eine Situation wie im Fall Kramer, wäre undenkbar, wenn man diese Regularien der NFL analog auch im Profifußball anwenden würde.

Fälle aus der Sportgeschichte

  • Jeff Astle, Stürmerlegende von West Bromwich Albion und einer der besten Kopfballspieler Englands, hat mehr Tore mit dem Kopf als mit dem Fuß erzielt. Er starb 2002 mit 59 Jahren. Die Gerichtsmedizin stellte eine Alzheimererkrankung als Todesursache fest und wertete dies als Arbeitserkrankung – Ursache: wiederholtes Kopfballspiel. In seinen letzten Lebensjahren erinnerte er sich, ähnlich wie Gerd Müller, nicht mehr an seine Erfolge.
  • Hilderaldo Bellini, Spielführerer der brasilianischen Weltmeistermannschaft 1958, starb mit Verdacht auf eine Alzheimer-Erkrankung im Jahr 2014. Eine Gehirnuntersuchung des Verstorbenen ergab jedoch ein fortgeschrittenes Stadium von CTE (chronisch-traumatische Enzephalopathie). CTE wird zunehmend mit American Football und Fußball in Verbindung gebracht.
  • Aaron Hernandez, Football-Star, wurde wegen Mord verurteilt und starb in seiner Gefängniszelle durch Suizid. Es wurde nach seinem Tod festgestellt, dass er an einem fortgeschrittenen Stadium von CTE litt. Die Neurologin Ann McKee von der Boston University untersuchte die Gehirne einiger früh verstorbener Footballspieler und fand zerstörte Teile der Gehirne auf – CTE. Das Gehirn funktioniert nach Einwirkungen von außen, also Stöße, nicht mehr richtig. Tückisch: Diese Krankheit kann sich auch nach vielen leichten Stößen unbemerkt entwickeln.