Diese Strecke radelt Nico Gasser wie im Schlaf. Hunderte Male, Tausende Male war er auf ihr im Sattel unterwegs, von seinem Zuhause auf der Reichenau bis zum Baurenhorn, einem nordwestlichen Zipfel der Insel.
Bereits als dreijähriger Steppke fuhr Gasser in den dortigen Kindergarten, nur wenig später dann zur Schule – und bis heute ist der Sportplatz das Ziel des 28-Jährigen, der sich hier Woche für Woche, Monat für Monat mit seinen Kumpels zum Kicken trifft. Eigentlich schon immer.
Das Besondere daran: Nico Gasser und die Jungs aus seiner Clique sind gemeinsam älter geworden, verändert hat sich in den ganzen Jahren nur wenig, vom einen oder anderen Zipperlein einmal abgesehen. Immer wieder kommen Eigengewächse aus der Jugend nach, sodass Gasser stellvertretend ist für ein Bezirksligateam, das fast ausschließlich aus einheimischen Spielern besteht.
Eine echte Seltenheit. „Unser Torhüter Niklas Rentschler stammt ursprünglich aus dem Schwarzwald, ein paar Spieler sind von der Waldsiedlung, der Rest kommt von der Insel“, sagt Gasser.
Wie eigentlich alle schätzt auch er das Miteinander und die Kameradschaft des Dorfvereins, der stetig neue Talente hervorbringt. Wobei, so genau kann man das mit dem Talent gar nicht sagen.
„Wir waren an jedem freien Mittag auf dem Sportplatz oder haben im Garten gekickt“, erklärt Gasser und fügt lachend hinzu: „Bei uns können halt alle ganz passabel kicken, weil wir nichts anderes gemeinsam machen, deshalb ist auch der Zusammenhalt so gut.“

Auf der Insel sei es für die jungen Reichenauer überhaupt keine Frage, ob sie Fußball spielen werden, sondern nur, wann sie damit anfangen. „Wir haben‘s einfach gemacht“, sagt Gasser, der seit den Bambini bis heute mit seinen Freunden Felix Eiermann, David Blum und Denis Flacker zusammenspielt.
Zusammen feiern sie die unvergessene Kleinfeld-Meisterschaft in der D-Jugend. „Wir haben alles gewonnen damals und hatten ein Torverhältnis von 301:9. Das war das geilste Jahr für uns, der höchste Sieg war 29:0“, erinnert sich Nico Gasser, „ich habe als Verteidiger in der Saison 13 Tore geschossen. Überragend!“
Der Tiefpunkt in der B-Jugend
Nur drei Jahre darauf wäre die treue Seele Nico Gasser dem Verein, dem Sport, den Freunden beinahe doch untreu geworden. Im ersten Jahr B-Jugend denkt er tatsächlich darüber nach, mit dem Fußball aufzuhören. Gasser fehlt in jener Saison fast alles, was dieses Hobby für ihn so besonders macht.
„Wir waren eh wenig Leute und einigen war der Fußball nicht so wichtig. Die haben dann abgesagt wegen dem Geburtstag von der Oma oder solchen Sachen“, blickt Nico Gasser zurück. Zu manchen Spielen fahren sie nur zu neunt, kommen erst wenige Minuten vor dem Anpfiff an – und werden Letzter.
„Mit jeder Niederlage ging die Motivation mehr verloren“, sagt Gasser, der in dieser schweren Zeit die Dinge schätzen lernt, die bislang so selbstverständlich gewesen waren. „Wir waren Mitspieler, aber nicht dicke Freunde“, sagt er.
Bald schon sind die Gedanken an das frühe Fußball-Ende vergessen, und Nico Gasser findet den Spaß wieder. Im zweiten A-Jugend-Jahr werden die Reichenauer Meister in der Kreisliga. Nico Gasser darf da schon ab und an in der ersten Mannschaft aushelfen, die mit dem aktuellen Bezirksligateam aber nicht viel gemeinsam hat.
Jahr für Jahr rücken die Talente auf
„Damals hatten wir kaum Einheimische, die sind dann erst nach und nach aus der Jugend gekommen“, erzählt der Glasermeister. In seinen jungen Jahren sind die Reichenauer zunächst Stammgast in der Kreisliga A, spielen meist oben mit. Im Juni 2016 steigen sie schließlich in die Bezirksliga auf.
„Dank eines 3:1-Siegs in Bankholzen am letzten Spieltag“, sagt Gasser, der im Nachwuchs als Abwehrspieler oder im defensiven Mittelfeld eingesetzt wurde und nun die Außenbahnen beackert. „Das war mein Highlight bei den Aktiven.“
Inzwischen fühlt sich die SG Reichenau/R.-Waldsiedlung in der Bezirksliga recht wohl, weiterhin wird der Kader mit eigenen Jugendspielern aufgefüllt, die aus Spaß am Sport mit ihren Freunden auf der Insel spielen.
„Hier kriegt keiner Geld“, beteuert Nico Gasser, dem in den vergangenen beiden Corona-Jahren besonders die Kabinenpartys gefehlt haben. „Nach den Spielen, nach dem Training, das ist immer ein Riesenspaß“, sagt er.
Mit 28 Jahren schon einer der älteren Spieler
Heute gehört Nico Gasser mit 28 Jahren bereits zu den Senioren in der Mannschaft, die Gedanken ans Aufhören sind im Gegensatz zu seiner Jugendzeit aber noch ganz weit weg. „Solange es zeitlich und körperlich passt, bleibe ich dabei. Ich möchte schließlich meine Karriere auf der Reichenau beenden“, sagt er und betont: „Auch wenn ich einmal nicht mehr spiele, will ich möglichst jedes Heimspiel besuchen.“
Selbstverständlich mit dem Fahrrad. Die knapp anderthalb Kilometer zum Sportplatz kennt er ja ganz gut.