Marcel Yahyaijan, junger Trainer, junge Mannschaft – würden Sie die Bezeichnung „Jugend forscht“ für den FC 08 Villingen im Jahr 2020 gelten lassen?
Nein, nicht unbedingt. Was das Gesamtpaket der Neuzugänge betrifft, setzen wir in erster Linie auf junge Spieler. Von daher könnte man es so sehen. Aber wir haben auch einige gestandene und wichtige Spieler. Was mich persönlich betrifft und wenn man nur mein Alter betrachtet, würde es in gewisser Weise ebenfalls stimmen. Auf der anderen Seite gehe ich jetzt bereits in meine siebte Saison als Trainer, arbeite im vierten Jahr bei den Aktiven. Deshalb muss man klar zwischen Alter und Erfahrung unterscheiden.
Hat der Verein durch den Weggang von Benedikt Haibt und Tobias Weißhaar Identifikationsfiguren verloren?
In gewisser Weise schon. Aber dies ist ein Prozess, den jeder Verein im Laufe der Jahre durchmachen muss. Jetzt ist es an uns, eigene Spieler aufzubauen und zu solchen Identifikationsfiguren zu machen. Deshalb haben wir im Zuge des Umbruchs die Philosophie ausgegeben, mit jungen Spielern aus der Region arbeiten zu wollen.
Mussten Sie lange überlegen, ob Sie den Posten übernehmen?
Ja, definitiv. Selbst wenn sich so mancher über diese Antwort wundern wird. Die Entscheidung des Vorstands, zur Saison 20/21 einen Trainerwechsel durchzuführen, kam selbst für mich überraschend. Als sich dann die ersten Trainerkandidaten beworben haben, habe ich mir Gedanken gemacht, das Für und Wider gegeneinander abgewogen und mich ebenfalls beworben. Ich muss ganz klar sagen, dass mir die Arbeit mit der U23 sehr viel Spaß gemacht hat. Diese nochmals in der Verbandsliga zu betreuen, hätte auch seinen Reiz gehabt. Aber im Endeffekt hat die Tatsache überwogen, dass der Posten als Chef-Trainer in der Oberliga für mich eine Riesenchance ist.
Drei Spieler aus Ihrem Kader sind älter als Sie, drei weitere sind gleicher Jahrgang. Könnte dies zu einem Autoritätsproblem werden?
Dies spielte zu keiner Sekunde in meinen Überlegungen eine Rolle. Auch in der U23 gab es Spieler, die älter waren als ich. Autoritätsprobleme sind dabei nie aufgetaucht. Wenn die Aufgabenverteilung klar ist, spielt es keine Rolle, ob der Spieler 18 oder 30 Jahre alt ist.
Welches waren dann die Bedenken, von denen Sie gesprochen haben?
Die Erwartungen in Villingen sind immer enorm hoch, doch in diesem Jahr werden wir aufgrund aller Begleitumstände vor einer schwierigen Saison stehen. Der FC 08 hat entschieden, dass wir nicht mehr – wie in den vergangenen Jahren – teilweise mit Profis oder Halbprofis zusammenarbeiten werden, um nicht noch einmal in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten. Die Wertschätzung von Seiten des Clubs, dass mir diese neue und schwierige Aufgabe zugetraut wird, hat mich in meinen Überlegungen bestärkt.
Also ist von einem Qualitätsverlust auszugehen?
Es ist einfach eine komplett andere Voraussetzung. In den vergangenen Jahren hatten wir viele externe und fertige Spieler wie beispielsweise Nedzad Plavci, Pablo Gil, Cristian Giles, Umut Sönmez oder Steven Ukoh. Dazu unsere langjährigen Spieler wie Benedikt Haibt oder Tobias Weißhaar, die eine enorme Erfahrung mitgebracht haben. Da musst du als Trainer nicht mehr viel machen, die Jungs wissen wie es läuft. Die vielen neuen und jungen Spieler gilt es aber erstmal zu formen. Daran arbeiten mein Co-Trainer Carsten Neuberth und ich jeden Tag. Wir gehen als Verein diesen neuen Weg ganz bewusst und ich bin davon überzeugt, dass er mittelfristig der richtige sein wird.
Was bedeutet dies für die Zielsetzung?
Dies bedeutet, dass sehr viele Fragezeichen da sind. Jedoch nicht nur bei uns. Die Auswirkungen der langen Pause sind bei vielen Vereinen im Moment noch gar nicht ersichtlich. Wir haben einen extrem strammen Terminplan und keiner kann zum jetzigen Zeitpunkt sagen, wie die Spieler damit zurechtkommen. Deshalb haben wir grundsätzlich festgelegt, dass es in diesem Jahr keine klare Zielsetzung geben wird. Am Ende der Hinrunde werden wir sehen, in welche Richtung sich die Sache entwickelt.
Vor wenigen Jahren hieß es, mittelfristiges Ziel ist die Regionalliga. Wie lässt sich diese Kehrtwende nun der Öffentlichkeit verkaufen?
Berechtigte Frage. Dazu muss man aber eines sagen: Wir hatten innerhalb kürzester Zeit fünf verschiedene Sportvorstände. Jeder mit eigenen Ideen und Vorstellungen. Und das Wort „Regionalliga“ hört sich natürlich immer gut an. Auch ich als Trainer bin sehr ehrgeizig und hätte dieses Ziel gerne nochmals in Angriff genommen. Wir haben inzwischen jedoch einen Vorstand, dem es eher um Nachhaltigkeit und wirtschaftlich solide Arbeit denn um kurzfristigen Erfolg geht. Darüber hinaus müssen wir auch die Zeit zu haben, das nötige Umfeld zu schaffen. Da gehe ich als Kind des FC 08 natürlich voll mit.
Erstmals Chef-Trainer in der Oberliga und dann eine solche Vorbereitung. Dies hätten Sie sich bestimmt anders gewünscht.
Auf jeden Fall. Zumal ich normalerweise sehr viel Wert auf eine akribische Vorbereitung lege. In diesem Fall mussten wir jedoch sehr viel improvisieren, den Zeitplan immer wieder ändern und die Ansprüche relativieren. Jedem muss bewusst sein, dass wir eine ganz schwere Zeit hatten und wir sicherlich noch einige Wochen brauchen werden.
Sie haben den straffen Zeitplan mit den vielen Spielen angesprochen. Welche Auswirkungen hat der für Ihre tägliche Arbeit?
Auf der einen Seite ist es positiv, dass es diese vielen Spiele gibt. Sie sind es doch, die die Sache ausmachen. Von der Trainingssteuerung her ist es aber natürlich brutal. Wir starten in die Saison und haben gleich zu Beginn mehrere englische Wochen. Da lässt sich in der Zeit für die Weiterentwicklung der Mannschaft gar nicht viel machen, weil du nur noch im Rhythmus mit Erholung, Vorbereitung und Spiel bist.
Wie beurteilen Sie insgesamt die Liga? Wer sind Ihre Favoriten?
Für mich wird es an der Spitze einen klaren Zweikampf zwischen den Stuttgarter Kickers und Freiberg geben. Von deren Budget sind wir meilenweit entfernt. Dahinter gibt es ein kleines Mittelfeld und dann viele Mannschaften, die um den Klassenerhalt kämpfen werden. Da ich von sieben Absteigern ausgehe, wird es extrem hart.
Der FC 08 arbeitet erstmals mit einer Mentaltrainerin zusammen. Wie kam der Kontakt zu Anja Faras zustande und was versprechen Sie sich davon?
Der Kontakt kam über unseren Co-Trainer der U23, Fabian Keller. Ich finde diesen Bereich extrem spannend und sehe einen großen Mehrwert darin. Das Mentale im Fußball wird oft unterschätzt. Wir werden verschiedene Maßnahmen anbieten, sowohl in der Gruppe als auch in Einzelgesprächen. Und dies nicht nur bei Misserfolg, sondern auch bei Erfolg. Bei den Spielern kam dies auf jeden Fall schon sehr gut an.
Der FC 08-Kader
Tor: Andrea Hoxha, Marcel Bender, Robin Karcher,
Abwehr: Mauro Chiurazzi, Timo Wagner, Dragan Ovuka, Patrick Peters, Leo Benz, Fabio Liserra, Keven Feger, Jannik Beha
Mittelfeld: Damian Kaminski, Konstantin Schiler, Stejpan Geng, Nico Tadic, Piertro Morreale, Daniele Bruno, Lars Czerwonka
Angriff: Kamran Yahyaijan, Volkan Bak, Leon Albrecht, Harry Föll
Trainer: Marcel Yahyaijan, Co-Trainer: Carsten Neuberth
Zugänge: Bruno (SC Freiburg II), Föll (SV Oberachern), Schiler (SV Sandhausen II), Hodek (1. FC Rielasingen-Arlen), Liserra, Czerwonka (beide SV Zimmern), Karcher und Albrecht (eigene Jugend).
Abgänge: Tevfik Ceylan (FC Bräunlingen), Daniel Wehrle, Gianluca Serpa (beide 1. FC Rielasingen-Arlen), Flamur Berisha (SGV Freiberg), Benedikt Haibt, Tobias Weißhaar, Steven Ukoh und Valentin Vochatzer (alle Ziel unbekannt)