Deutschland hat seit Jahren ein komisches, fast masochistisches Verhältnis zum ESC entwickelt. Man scheint sich irgendwie an den letzten und vorletzten Plätzen zu weiden. Ist Ihnen klar, worauf Sie sich eingelassen haben?

Tynna: Das bekommen wir ganz oft erzählt, aber das ist uns egal. Für uns ist der ESC ein Musikfest, bei dem es darum geht, dass die Nationen zusammenkommen und miteinander feiern. Natürlich ist es ein Wettbewerb, das ist uns klar. Aber wir fühlen uns von niemandem unter Druck gesetzt.

Abor: Ihr könnt euch darauf verlassen, dass wir unser Bestes geben und für gute Stimmung sorgen werden. Welcher Platz dabei rauskommt, ist nicht das Wichtigste.

Ihr, wenn man so sagen will, Chef Stefan Raab fordert nichts weniger als den Sieg.

Abor: Wir gehen mit derselben Einstellung rein. Wir wollen gewinnen. Das ist schon unser Anspruch. Aber wenn das nicht klappen sollte, freuen wir uns trotzdem nicht weniger darüber, dass wir teilgenommen haben – weil allein das schon eine große Ehre ist.

Stefan Raab hat viel Erfahrung. Nehmen Sie seine Ratschläge an?

Tynna: Wir sind ein Team. Es war tatsächlich sein Vorschlag, „Baller“ zu nehmen und nicht den Song, mit dem wir ursprünglich antreten wollten. Auch in Fragen der Inszenierung oder der Performance arbeiten wir zusammen.

Manche haben sich gewundert, dass Sie als österreichisches Duo für Deutschland antreten.

Tynna: Ich finde das cool. Der ganze Sinn des ESC ist für uns dieses fröhliche Miteinander der Kulturen. Und wenn man sich die ganze Eurovisions-Geschichte anschaut, stellt man fest, dass es viele Acts gab, die nicht aus dem Land kamen, für das sie angetreten sind. Das ist absolut nicht ungewöhnlich. Dass wir, aus Wien mit ungarisch-rumänischen Wurzeln, für Deutschland teilnehmen, widerspricht dem Motto und der Mentalität des ESC überhaupt nicht. Es ist eher ein Zeichen der europäischen Verbundenheit.

Abor: Das auch gebraucht wird, speziell in diesen Zeiten. Es geht um ein offenes Europa, ums gemeinsame Spaßhaben. Der ESC ist ein internationales Fest, bei dem Menschen aus ganz vielen Ländern zuschauen und dasselbe sehen. Für mich funktioniert es ähnlich wie die Olympischen Spiele oder eine Fußball-Weltmeisterschaft.

Was halten Sie von Ihrem österreichischen Landsmann JJ?

Abor: Wir finden den sehr cool. Auch deshalb, weil er so einen klassischen Hintergrund hat. Wir sind ein wenig neidisch, dass er sein Video in der Wiener Staatsoper gedreht hat.

Also dort, wo Ihr Vater Csaba Bornemisza oft auftritt, der seit 30 Jahren als Cellist bei den Wiener Philharmonikern arbeitet. Auch Sie spielen bei Abor & Tynna Cello. Bestand er darauf, dass Sie die Familientradition fortsetzen?

Abor: Nein, unseren Eltern war zwar wichtig, dass wir ein Instrument lernen, aber das Cello habe ich mir selbst ausgesucht, so wie Tünde sich für die Querflöte entschieden hat. Auf der Bühne spiele ich Cello, damit ich irgendwas dort zu tun habe. Als Produzent hätte ich sonst hinter einem DJ-Pult rumspringen müssen, und das wäre mir etwas unangenehm gewesen.

Ihr Album „Bittersüß“ hat einen sehr modernen, satten, elektronischen und von Pop und Hip-Hop beeinflussten Sound, aber klassische Musik ist auch ein Element bei Ihnen. Wieso?

Tynna: Weil wir das schön finden. Klassik ist ein Teil unserer Identität.

Wussten Sie immer, dass Sie fürs Musikmachen gemacht sind?

Tynna: Sobald ich Musik gehört habe, habe ich schon als kleines Mädchen vor mich her gesummt und versucht, die Badewannen-Enten zu beeindrucken. Später habe ich immer mehr gesungen, und als mein Bruder anfing, auf seinem Laptop zu produzieren, stellte sich die Frage, ob ich nicht Lust hätte, dazu zu singen. So ist das entstanden.

2016 haben Sie Ihren ersten gemeinsamen Song aufgenommen. Tünde, Sie studieren Psychologie, Attila, bei Ihnen ist es Maschinenbau. Machen Sie das noch fertig?

Abor: Im Moment pausieren wir beide mit unserem Studium, weil wir einfach keine Zeit haben. Eigentlich ist der Plan, dass wir irgendwann fertigstudieren, aber uns zunächst mal auf die Musik konzentrieren. Im September spielen wir zum Beispiel unsere erste eigene Tournee.

Tynna bei Eurovision In Concert im April in Amsterdam.
Tynna bei Eurovision In Concert im April in Amsterdam. | Bild: Ramon Van Flymen/ANP/AFP

Wie ist „Baller“ eigentlich entstanden?

Tynna: Auf unserem Debütalbum gibt es eine Reihe von Songs, die sich mit demselben Thema auseinandersetzen – einer Trennung. Irgendwann war ich gelangweilt von den ganzen Balladen mit traurigen Texten und melancholischen Melodien, die ich schon geschrieben hatte. Plötzlich hatte ich Riesenlust, etwas Fetziges zu machen. Innerhalb von zwei Tagen schrieben wir dann „Baller“.

Sie machen Ihre Musik fast immer zu zweit. Sind Billie Eilish und ihr Bruder Finneas Vorbilder?

Tynna: Als wir anfingen mit Musikmachen, waren die beiden noch gar nicht bekannt. Und eine Zeitlang stand Billie ja auch alleine im Fokus, ihr Bruder kam erst später für die Öffentlichkeit dazu. Aber auch, wenn sie nicht die allergrößte Inspiration für uns sind, finden wir sehr interessant, was die beiden machen.

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In Ihren Texten kommen auffällig viele Filmbezüge vor, etwa „Donnie Darko“, „Barbie“, Quentin Tarantino, auch die Mona Lisa, Winnetou oder die rätselhaften Wiener Graffiti-Tags „Coco Taxi“ werden angesprochen. Es kommt zudem vor, dass Sie mit Champagner im Pool in Abu Dhabi liegen.

Tynna: Ich hatte schon immer eine blühende Fantasie. Als Filmfanatikerin würde ich mich nicht bezeichnen, aber ich schaue schon sehr gerne Filme. Uns beide verbindet, dass wir es lieben, sehr bildlich zu arbeiten. Da bieten sich Filme und überhaupt die Popkultur als Ideengeber sehr gut an.

Wirklich auf einen Stil festlegen wollen Sie sich nicht, oder?

Abor: Nein. Uns macht es extrem viel Spaß, herumzuexperimentieren. Vielleicht wird es in der Zukunft einen bestimmten Sound geben, den wir auf die Spitze treiben, aber gerade auf unserem ersten Album wollten wir in alle Richtungen gehen, die uns gefallen. Wir wollten unserer musikalischen Neugier nachgeben.

Dass Sie überhaupt schon ein Album gemacht haben, ist heutzutage eher ungewöhnlich.

Tynna: Wissen wir, aber wir wollten das so. Später kann ich irgendwann dieses Album hören und mich an diesen Abschnitt in meinem Leben zurückerinnern. Es gibt uns auch mehr Selbstbewusstsein, ein Album im Rücken zu haben. Ein weiterer Vorteil ist, dass wir nach „Baller“ eine Menge Songs haben, sodass das Leben auch nach dem ESC direkt weitergehen kann.

Das Geschwister-Duo Abor & Tynna freut sich mit Moderatorin Barbara Schöneberger über den Sieg beim deutschen Vorentscheid zum ...
Das Geschwister-Duo Abor & Tynna freut sich mit Moderatorin Barbara Schöneberger über den Sieg beim deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest. | Bild: Willi Weber/NDR Presse und Information/dpa

Es heißt, Sie hätten sich „schon immer irgendwie anders“ gefühlt. Wie ist das zu verstehen?

Tynna: Unser Eindruck war, dass unsere Eltern etwas strenger waren als die Eltern unserer Freundinnen und Freunde.

Ihr Vater ist Ungar, Ihre Mutter kommt aus einer ungarischen Minderheit in Rumänien.

Abor: Genau. Wir sind zweisprachig aufgewachsen, ungarisch und deutsch. Vielleicht haben wir das mit der Strenge auch nur so empfunden, wir konnten schon ausgehen und alles. Streng waren unsere Eltern in dem Punkt, dass wir unsere Instrumente üben mussten. Dafür sind wir ihnen jetzt rückblickend wirklich sehr dankbar.