„Es ist das schlimmste Jahr ever.“ Die junge Mutter kehrt gerade mit ihren Kindern von einem Spaziergang zurück. Sie wohnt wenige Dutzend Meter vom Bundesasylzentrum in Kreuzlingen entfernt. Am Dienstagmorgen ist es zwar ruhig hier beim Döbele-Parkplatz, aber: „Gerade gestern war wieder die Polizei da“, berichtet die Frau.

Einige Bewohner des Zentrums sorgten regelmäßig für Unruhe. Laute Musik bis spät in die Nacht, herumliegende Bierdosen, Respektlosigkeiten und „permanent ein mulmiges Gefühl“, so schildert die Anwohnerin den Alltag. „Es kann nicht sein, dass man sich als Frau nicht mehr nach draußen traut. Ich verstehe den Frust und die Wut von denen, die hier leben.“

Ihr Nachbar sieht es gleich. Ihm ist es wichtig, ein differenziertes Bild zu zeichnen. „Es sind wenige, die Ärger machen. Von den Familien kriegen wir praktisch nichts mit, aber die jungen Männer ...!“ Der Mann hat in den vielen Jahren, die er direkt neben dem Asylzentrum wohnt, schon einiges miterlebt. Er fand beispielsweise Klappmesser in seiner Hecke. „Die dürfen sie nicht mit hineinnehmen.“

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Regelmäßig würden geklaute Velos abgestellt. Es werde uriniert und Schlimmeres. „Sie stehlen Gartenstühle und anderes aus den nahen Schrebergärten, und wir sehen sie auch Drogen konsumieren.“ Bei offenem Fenster zu schlafen, sei unmöglich, der Lärm vom Parkplatz dauere bis in die Nacht. „Nicht zuletzt verlieren unsere Häuser aufgrund dieser Situation an Wert.“

„Musik und Geschrei“

Der Anwohner hat versucht, bei den Behörden eine Besserung zu erreichen. Auch das aktuelle Schreiben ans Stadtpräsidium – unterzeichnet von 23 Personen an der Gottliebenstrasse und Döbelistrasse – trägt seine Unterschrift. Die Situation am Parkplatz an der Ecke der beiden Straßen habe sich in den vergangenen Wochen verschärft, „sodass wir Ihr sofortiges Eingreifen erbitten müssen“, heißt es darin.

Die Hausordnung des Asylzentrums, welche die Ausgangszeit bis 21 Uhr regle, werde ignoriert. Von Disziplinarmaßnahmen werde kein Gebrauch gemacht. „Die Asylsuchenden haben zuletzt vermehrt Stühle und Tische auf dem Parkplatz deponiert und nachmittags und abends Stuhlkreise gebildet.“

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Ruhestörungen – „Musik und Geschrei“ –, Vermüllung und Verunreinigungen durch Fäkalien werden beklagt. „Es kam wiederholt zu Schlägereien und Gewalttaten sowie zu einer Zunahme von Diebstählen – inklusive Einschleichen in Wohn- und Gartenanlagen.“

Die Häufigkeit von Notrufen und Polizeieinsätzen, einschließlich der Sicherheitsdienste, habe zugenommen, ist in dem Schreiben von Mitte September zu lesen. Man habe bereits alle verantwortlichen Stellen informiert. Die Situation, das wachsende Gefühl der Unsicherheit, habe sich trotz vermehrter Präsenz von Security und Kantonspolizei bislang nicht verbessert.

Asylsuchende sind „keine Gefangenen“

Eine Antwort haben die Anwohner von Stadtpräsident Thomas Niederberger bereits erhalten. „Der Stadtrat bedauert die vorherrschende Situation sehr und kann Ihren Unmut nachvollziehen“, heißt es in dem Schreiben. „Aufgrund der steigenden Belegungszahlen im Bundesasylzentrum und den zunehmenden Ruhestörungen auf dem Döbele-Parkplatz haben die Kantonspolizei und die VüCH, der Sicherheitsdienst des Staatssekretariats für Migration, die Präsenz vor Ort verstärkt.“

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Auch die Security im Auftrag der Stadt werde zusätzliche Patrouillen durchführen mit dem Auftrag, Ruhestörungen konsequent zu unterbinden und Wegweisungen auszusprechen. Für Sanktionierungen wegen der Hausordnung hätte die Stadt aber keine Handhabe.

Man weist auch darauf hin, dass es sich nicht um „Gefangene“ handle. Die Stadt werde aber beim Bund insistieren, dass die vorhandenen Möglichkeiten ausgeschöpft würden. Der Brief endet mit der Hoffnung, dass sich die Situation durch die Maßnahmen entschärfen werde und „Sie ihre wohlverdiente Ruhe zurückerhalten“.

Bisher kein Aufenthaltsraum

Mit dem Briefwechsel ist die Geschichte nicht zu Ende. Gemeinderat Georg Schulthess steht in Kontakt mit den Anwohnern. Er ergriff in der Parlamentssitzung vergangene Woche das Wort und machte das Schreiben der Anwohner öffentlich. Stadtrat Thomas Beringer erklärte daraufhin, man stehe in der Diskussion mit der Anwohnerschaft, hätte sie zu Gesprächen eingeladen, um die getroffenen Maßnahmen aufzuzeigen. „Wir stehen auch in wirklich engem Kontakt mit der Kapo und BAZ.“

Die Polizei sei verstärkt vor Ort. Auch die eigenen Patrouillen hätte man massiv ausgeweitet. Beringer sagte, dass die Stadt vom Bund verlangt, bei ihrem Grundstück einen Aufenthaltsraum zu schaffen. Damit die Asylsuchenden sich dort treffen können und nicht mehr am Döbele-Parkplatz. Der Antrag sei aufgenommen worden und befinde sich in Abklärung. „Es muss etwas gehen von ihrer Seite her“, betonte Beringer. Man sei bestrebt, mit allen Beteiligten gute Lösungen zu finden.

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Auch Stadtpräsident Thomas Niederberger ergriff das Wort. Er hatte jüngst Bundesrat Beat Jans nach Kreuzlingen eingeladen, um ihm die Probleme einer Grenzstadt aufzuzeigen. Es sei mittlerweile angekündigt, dass Jans nach Kreuzlingen kommen werde, ließ er wissen. Dass sich das Thema politisch immer mehr auflädt, dafür sorgt auch Aufrecht-Gemeinderat Schulthess. Er hatte im Februar eine Motion – also einen Antrag – im Stadtparlament eingereicht, welche die Schließung des Bundesasylzentrums verlangt. „Irgendwann muss man hingehen und das Problem lösen“, so seine Begründung.

Mitte November wird sein Vorstoß nun vom Gemeinderat behandelt. Die Erfolgsaussichten dürften zwar gering sein, weil das Zentrum im Eigentum und in alleiniger Verantwortung des Bundes steht. Aber Schulthess kündigt bereits an, dass er eine Volksinitiative lancieren werde, wenn der Rat seine Motion ablehnt. Die nötigen Unterschriften bringe er mit „jeder Sicherheit“ zusammen.

Urs Brüschweiler ist Redakteur unserer Partnerzeitung, der „Thurgauer Zeitung“, in der dieser Beitrag zuerst erschien.