Die Beine von 30 zappelnden Kindern wippen ungeduldig hin und her. Sie sitzen auf einer langen Holzbank und wollen endlich losrennen, zum Spielplatz des Seeburgparks – aber sie müssen sich noch gedulden, die Betreuerin lässt sie noch warten.
Der „Delphin“ ankert im Kreuzlinger Hafen und das Sonnenlicht bricht durch seine blau getönten Scheiben. Warmer Septemberwind zerzaust die Frisuren von Joggerinnen und Spaziergängern: Auf den ersten Blick zeugt der Seeburgpark wie eh und je von Idylle. Und hinter der Fassade?
Keine Spur von der sogenannten Gefahrenzone, die die rechtsextreme Gruppe Junge Tat Mitte August ausrief. Sie beschuldigte Menschen mit Migrationshintergrund, Frauen im Seeburgpark zu belästigen und verteilte mehr als 200 hetzerische Flyer und Plakate. Der Kreuzlinger Stadtpräsident Thomas Niederberger verurteilte daraufhin die Aktion scharf: „Rechtsextremes und ausländerfeindliches Gedankengut hat in unserer Stadt nichts verloren.“
Auslöser war eine versuchte Vergewaltigung beim Seenachtfest. Das Opfer war eine Minderjährige, die den Täter als „arabisch aussehend“ beschrieb. Ende August, einige Tage später, belästigten drei Tatverdächtige mit nordafrikanischen Wurzeln junge Frauen sexuell und bedrohten einen Passanten mit einer Glasflasche. Sie sind Bewohner des Bundesasylzentrums in Kreuzlingen. Einen Zusammenhang zwischen den zwei Vorfällen gibt es laut der Kantonspolizei Thurgau nicht.
„Das ist ein heikles Thema, ein Tabu“
Angeklopft beim Hafenmeister – es wird abgewimmelt: „Das interessiert mich nicht, ich gebe keine Auskunft.“ Auch Sonnenbadende und Passantinnen lehnen ein Gespräch ab. Und der Chef des Minigolf-Kiosks ruft über den Tresen: „Das ist ein heikles Thema, ein Tabu.“ Auf Fragen wollte er deswegen nicht eingehen. An einigen Frauen, wird schnell klar, gehen die Vorfälle nicht spurlos vorbei. Katja Leugger kommt aus Kreuzlingen.

Sie haben die Übergriffe erschüttert: „Dass so etwas vor der Haustür passiert... das ist auf einmal so nahe. Ich fühle mich schon unsicher und würde hier spätabends nicht mehr entlanglaufen.“ Sie ermahne sich, nur auf beleuchteten und gut einsehbaren Wegen zu spazieren: „Klar, auch vor den aktuellen Übergriffen bin ich nicht um 3 Uhr morgens hier gelaufen.“ Trotzdem habe sie früher deutlich entspannter spazieren können.
Vor einem Ententeich läuft Xenia Balli mit ihrem Hund eine Gassirunde. Sie ist eine der Wenigen, zu der die Nachrichtenwelle über die Übergriffe nicht vordrang. Generell fühlt sie sich sicher, sagt Balli, „vor allem mit Hund“. Sie ergänzt: „Ich glaube, mit fast 30 Jahren kann ich mich auch mehr wehren als eine Jugendliche, die nachts zum ersten Mal länger draußen bleiben darf.“

Einige Meter weiter beweist Charlotte Müller, eine etwa 60-jährige Besucherin, dass ein noch höheres Alter auch zu mehr Kopfschütteln über die Jüngeren führen kann. Von den Vorfällen im Seeburgpark hat sie gelesen. Natürlich dürfe kein Mann eine Frau ungefragt berühren.
Müller bezichtigt jedoch junge Frauen, mit ihrer Kleiderwahl sexualisierte Gewalt zu provozieren: „Heutzutage haben sie überhaupt kein Schamgefühl mehr. Ihre Kleidung ist wie eine zweite Haut. Die zeigen alles, das ist brutal!“ Auf den Einwand, dass dies doch keine Gewalt legitimieren kann, sagt Müller lapidar: „Andere Generation, andere Einstellung.“
„Merke eine Unruhe bei jungen Frauen“
Fabrizio Ribezzi hat als Restaurantbetreiber und FDP-Gemeinderatsmitglied das Ohr an den Kreuzlinger Gleisen. Er sitzt auf seiner Terrasse des „Alti Badi“. Ribezzi höre, „dass sich Belästigungen gegenüber Mitbürgerinnen im Seeburgpark in jüngster Vergangenheit häuften. Ich merke eine Unruhe bei jungen Frauen.“

Die Kantonspolizei Thurgau kann das nicht bestätigen. Faktisch ist Kreuzlingen kein Brennpunkt von Gewalt jedweder Art. Mitverantwortlich dafür sieht Fabrizio Ribezzi auch die Medien: „Je mehr man darüber schreibt, desto mehr kommen sie.“ Notiert.
„Sie“, das sind für ihn Schweizer Jugendliche und Menschen mit Migrationshintergrund aus dem Bundesasylzentrum, das 20 Gehminuten entfernt liegt. Das Asylzentrum gibt es bereits seit 40 Jahren. Es ist jedoch erst seit fünf Jahren ein Ausreisezentrum – mit entsprechender Perspektivlosigkeit unter den Bewohnenden. Deren drohende Ausreise löse ebenfalls Ängste bei Migrantinnen und Migranten aus, sagt Ribezzi.
Beim Thema Sicherheitspatrouillen winkt der Restaurantbetreiber ab: „Siehst du hier welche? Effektiver helfen würden mehr Licht in Ufernähe und Videokameras.“ Seiner Tochter erlaube er jedenfalls nach 21 Uhr nicht mehr, zum nahen Spielplatz zu gehen.
Von Mark Schoder ist Reporter unserer Partnerzeitung, der „Thurgauer Zeitung“.