Fassungslos schaut Tim Schoch auf einen Schottergarten in Kreuzlingen. Hier steht ein halb vertrocknetes Nadelbäumchen. Ein paar Löwenzahnblätter und Grashalme gucken zwischen den Steinen hervor. „Das sind tote Flächen“, sagt er, „hier gibt es kaum Insekten und Käfer.“

Oft hätten Besitzer von Schottergärten kein Bewusstsein für die Natur, kritisiert der Biologe. „Diese Ignoranz – damit habe ich Mühe. Diese Leute kann man nur mit Aufklärung überzeugen – oder gar nicht.“

Weg von Pestiziden – hin zu mehr Wildbienen

Der 28-Jährige ist seit diesem Frühjahr in Teilzeit Naturgarten-Berater der Stadt Kreuzlingen. In dieser Rolle soll er die Bewohner der Grenzstadt von Naturgärten überzeugen. „Denn diese Art von Gärten sind für Insekten und Vögel ein besseres Umfeld und können in einer Stadt mehr CO2 aufnehmen“, sagt er.

Tim Schoch erklärt, wie man mit wenigen Wildflächen bereits mehr Artenvielfalt erreicht.
Tim Schoch erklärt, wie man mit wenigen Wildflächen bereits mehr Artenvielfalt erreicht. | Bild: Cian Hartung

Mit Hausbesitzern erarbeitet er dabei Pläne, wie sie ihre Gärten, Dächer oder Fassaden umgestalten können. Das heißt in vielen Fällen: weg von Pestiziden, exotischen Gewächsen und Englischem Rasen – hin zu mehr einheimischen Pflanzen und Wildflächen.

Naturgarten-Beratung – ein Schweizer Vorbild?

„Wir wollen damit die Artenvielfalt auf privaten Grünflächen fördern und die Bevölkerung sensibilieren“, sagt Stefan Braun, Umweltbeauftragter der Stadt Kreuzlingen, zu dem Angebot. Die Kreuzlinger Stadtverwaltung zahlt ihren Bürgern den ersten Termin in Höhe von 100 Schweizer Franken (rund 95 Euro).

Tim Schoch vor einem Schottergarten in Kreuzlingen.
Tim Schoch vor einem Schottergarten in Kreuzlingen. | Bild: Cian Hartung

Die Kosten für einen weiteren Termin müssen die Personen selbst übernehmen. Die Grenzstadt ist damit aber nicht alleine: Auch andere Thurgauer Gemeinden bieten diese Beratungen bereits an.

In Südbaden ist dagegen bislang keine Kommune bekannt, die auf diese Weise ihren Bürgern Naturgärten näherbringen will. Gartenbesitzer, die sich dementsprechend beraten lassen wollen, müssen auf Gartenarchitekten, Naturschutzorganisationen oder Ehrenamtliche zurückgreifen – und die Kosten meist selbst übernehmen.

Tim Schoch: Der Gärtner mit Sneakers und Basecap

Wer in Kreuzlingen Tim Schoch zu sich nach Hause bestellt, erhält keinen klischeehaften Gärtner mit Stiefeln, Spaten und Latzhose. Schoch trägt beim Gartenrundgang mit dem SÜDKURIER Sneaker, T-Shirt und Jeans. Unter seiner verwaschenen Basecap gucken braune Locken hervor. Ein reiner Schreibtisch-Biologe ist Schoch aber nicht: Unter seinen Fingernägeln versteckt sich ein wenig Dreck. „Von vergangener Gartenarbeit“, sagt er.

Bild 3: Junger Experte kämpft gegen Schotter: Tim Schochs Job ist es, für Naturgärten begeistern – geht das?
Bild: Cian Hartung

Schoch kommt aus Appenzell und erzählt: „Während meines Biologie-Studiums habe ich mich auf Botanik und Ökologie spezialisiert.“ Mittlerweile fände bei vielen Gartenbesitzern bereits ein Umdenken in puncto Klimaschutz statt. „Aber oft werden Naturgärten als ungepflegt und unsauber angesehen.“ Besitzer von Naturgärten gerieten dann unter Verdacht, faul zu sein. „Dabei sind Naturgärten pflegeleichter und klimafreundlicher als herkömmlich Gärten.“

Artensterben – na und?

Wer sich mit dem Appenzeller unterhält, hört immer wieder das Wort „Artensterben“. Aber warum ist dieses Thema so wichtig? „Das ist ein Teufelskreis“, sagt der Biologe. Wenn immer mehr Insekten sterben, könnten Pflanzen nicht mehr bestäubt werden und sterben ebenfalls aus. „Wenn Pflanzen und Bäume nicht mehr wachsen, kann das massive Auswirkungen auf unser lokales Klima haben – ob in der Schweiz oder Deutschland.“

Schoch warnt: „Wenn die jetzige Entwicklung so weitergeht, haben wir Situationen wie in China. Dort werden im Extremfall Blüten künstlich von Menschen bestäubt.“ Aber er ist sich sicher: „Jetzt sind wir an einem Punkt, wo wir diese Entwicklung noch stoppen können.“

Kann ein Naturgarten-Berater das Artensterben stoppen?

Zwar will Kreuzlingen seine Bürger für mehr Naturgärten begeistern – doch was hat die Beratung bislang gebracht? Mittlerweile habe Schoch 15 Beratungen gemacht, sagt er. „Daraus ergab sich jedoch keine Folgeberatung.“ Aber halten sich die Menschen auch an seine Tipps? „Bisher habe ich gute Erfahrungen gemacht“, sagt er, „aber wirklich kontrollieren kann ich das nicht.“

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Auch Stefan Braun, Umweltbeauftragter der Stadt Kreuzlingen, sieht die Entwicklung trotz geringer Nachfrage positiv. „Wir sind überzeugt von diesem Angebot und erfreut, dass schon 15 Gartenbesitzer sich haben beraten lassen.“ Nun hoffe er, dass die Kreuzlinger auch die empfohlenen Maßnahmen umsetzten.