Am Ende des langen Ganges aus Beton wartet eine automatische Tür. Gleichmäßiges Brummen füllt die kalte Röhre. Noch vier Schritte, dann schiebt sich die Pforte von alleine in die Wände. Es eröffnet sich ein grandioser Blick auf das Matterhorn. Die Ikone der Alpen mit 4478 Meter Höhe ragt majestätisch in den blauen Himmel hinauf.

Skifahrer flitzen an dem Berg der Berge vorbei und oben, im proppenvollen Restaurant neben der Bergbahnstation Sunnegga, lassen es sich die Besucher gutgehen. Eine Tasse Kaffee, eine Tasse Kakao und ein Stück Kuchen sind für rund 20 Euro zu haben. Willkommen im Schweizer Zermatt, eine der weltweiten Top-Destinationen für Wintersport. Malerisch, erhaben und so richtig teuer.

Ski und Rodel nicht mehr gut

Im Winter 2023 haben das Nobelstädtchen und seine erfolgsverwöhnten Hoteliers die Corona-Krise hinter sich gelassen. Pandemie? Das war gestern. Doch kaum ist der Covid-Schrecken so gut wie vorbei, meldet sich eine andere schlimme Gefahr für die Tourismusbosse im Kanton Wallis zurück: der Klimawandel.

„Im Moment geht der Klimawandel ungebremst weiter“, zitiert der „Walliser Bote“ den renommierten Schweizer Klimatologen Christoph Marty. „Nicht einmal die reiche Schweiz schafft es, ihre überhaupt nicht hoch gesteckten Klimaziele zu erreichen.“

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Mit anderen Worten: Gletscher verschwinden, Schnee fällt immer seltener. Ski und Rodel nicht mehr gut. Selbst in dem als schneesicher geltenden Zermatt schmilzt die Wintersaison dahin. Das gute Geschäft mit den Skitouristen dürfte sich langfristig als Auslaufmodell entpuppen. „Die Zukunft des Wintersportes ist im Zeitalter des Klimawandels stark gefährdet“, betont der Gletscherexperte David Volken.

„Die Gebiete unter 2000 Meter müssen immer öfter Kunstschnee für die Pisten produzieren.“ Diese Grenze von 2000 Metern verschiebt sich aber immer weiter nach oben. Kann Kunstschnee die Situation überhaupt retten? Die Antwort ist ernüchternd: „Um Kunstschnee herzustellen braucht es niedrige Temperaturen“, erläutert Volken. „Wenn es immer wärmer wird, schließt sich somit auch das Zeitfenster für die Produktion des Kunstschnees.“

5000 Euro pro Nacht für die Suite mit Blick aufs Matterhorn

Trotz der ungemütlichen Lage herrscht in Zermatt demonstrative Zuversicht. Ortstermin im Grand Hotel Zermatterhof, der ersten Adresse am Platz. „Wir haben phantastische Buchungen“, freut sich Markus Marti, General Manager der 144 Jahren alten Edelherberge, in der auch Royals absteigen. „Es läuft besser als vor der Pandemie“, legt Marti nach und macht es sich in einem weichen Sessel bequem.

Den Gästen bietet Zermatt gerne Luxus pur. Da darf auch eine romantische Pferdekutsche nicht fehlen.
Den Gästen bietet Zermatt gerne Luxus pur. Da darf auch eine romantische Pferdekutsche nicht fehlen. | Bild: GaudenzDanuser.com

Die Preise im Zermatterhof können sich sehen lassen: Im Sommer kostet die Nacht im preisgünstigsten Zimmer 395 Euro. Im Winter sind für die Nacht in der exklusivsten Suite rund 5000 Euro zu berappen – mit Blick auf das Matterhorn, aber ohne Skipass.

Den Luxus im Zermatterhof gönnen sich vor allem Schweizer, US-Amerikaner und Briten. „Deutsche Gäste haben wir leider nicht mehr so viele, das liegt natürlich auch am schwachen Euro“, sagt Marti etwas besorgt, um gleich wieder Optimismus zu verbreiten. „Wir sind aber sicher, dass die Deutschen den Weg wieder zu uns finden.“

Blick auf das erste Hotel am Platz, der Zermatterhof. Im Sommer kostet die Nacht im preisgünstigsten Zimmer 395 Euro. Im Winter ...
Blick auf das erste Hotel am Platz, der Zermatterhof. Im Sommer kostet die Nacht im preisgünstigsten Zimmer 395 Euro. Im Winter wird‘s teurer. | Bild: Zermatterhof

In der Hochsaison bläht sich das autofreie Bergdorf mit knapp 6000 Einwohnern auf eine Stadt mit fast 35.000 Einheimischen und Gästen auf. So wie jetzt. Auf der Bahnhofstraße drängeln sich die Menschen, ein Laut-Gemisch aus Schweizerdeutschen Dialekten, Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch liegt in der Luft. Entlang der Flaniermeile wechseln sich Edelboutiquen mit Hotels und Restaurants ab.

In den Seitengassen ruhen noch immer urige Holz-Häuser auf steinernen Stelzen. „Die Mischung aus Tradition, Gastfreundschaft und einer Prise Abgehobenheit machen Zermatt so einzigartig“, sagt ein Tourist aus Süddeutschland und schlägt den Mantelkragen hoch. „Ich bin ein großer Fan von Zermatt, das Dorf ist so etwas wie meine zweite Heimat geworden.“

Extra-Dinner für Russen – keiner kommt

Zermatt kann es jetzt sogar verschmerzen, dass die Alpenliebhaber aus China und Japan corona-bedingt noch nicht zurückkommen. Ebenso finden sich keine reichen Russen mehr ein. „Die sind wie weggefegt, wegen des Krieges in der Ukraine“, sagt Marti vom Zermatterhof. Zur orthodoxen Weihnacht Anfang Januar offerierte der findige Hotelier ein Extra-Dinner für Russen. Niemand reservierte.

Doch das Ausbleiben bestimmter Gruppen ist für Zermatt ein winziges Problem im Vergleich zum Klimawandel. „Natürlich, der Klimawandel bereitet uns schon Sorgen“, räumt Christian Eckert, Präsident des Hotelvereins Zermatt, ein. Eckert leitet das Edelhotel „The Omnia“.

Event mit Pirmin Zurbriggen

Einen bitteren Vorgeschmack auf möglicherweise kommendes Unheil erhielten die Bergler in der zweiten Jahreshälfte 2022. Im Oktober wollten Zermatt und Cervinia im benachbarten Italien zum Auftakt der Weltcup-Saison erstmals vier Abfahrtsrennen organisieren: Eine grenzüberschreitende Mega-Gaudi auf über 3000 Meter.

Sponsoren hatten reichlich Geld auf den Tisch gelegt, die Tickets waren verkauft, die Macher hatten mit Helvetiens Ski-Idol Pirmin Zurbriggen einen zugkräftigen „Botschafter“ verpflichtet.

Auf diesem Archivfoto liegt genug Schnee: Skifahrer genießen die Hänge über dem Nobelskiort Zermatt.
Auf diesem Archivfoto liegt genug Schnee: Skifahrer genießen die Hänge über dem Nobelskiort Zermatt. | Bild: FABRICE COFFRINI, AFP

Nur: Der Schnee blieb aus – das Spektakel wurde abgeblasen. „Und so wird es im Spätherbst 2023 auf der Gran Becca, wie die Strecke heißt, zur großen Neuheit kommen“, schreibt voller Optimismus das „Zermatt Magazin“, die Hauspostille von Zermatt Tourismus.

Immerhin können sich die Ski-Manager mit der medialen Aufmerksamkeit trösten: Selten wurde über Skirennen so viel berichtet, die nicht stattgefunden haben.

Der Sommerbetrieb muss zum ersten Mal gestoppt werden

Nur wenige Monate vor dem Gran-Becca-Malheur, Ende Juli 2022, musste Zermatt den Sommerskibetrieb einstellen. Zu heiß, zu wenig Schnee, zu gefährlich. „Ich kann mich nicht erinnern, dass der Sommerskibetrieb vorher schon einmal gestoppt wurde“, erzählt eine Einheimische. Tatsächlich gehörte Zermatt noch zu den ganz wenigen alpinen Gebieten der Schweiz, wo Skifahrer ganzjährig ihrer Leidenschaft frönen konnten.

Immer öfter sperren die Behörden auch die Gipfel rund um Zermatt für Wanderer und Bergsteiger – die Launen der Natur lassen sich einfach nicht voraussagen. „Zeitweise konnten wir nicht mehr auf das Matterhorn steigen“, erzählt Walter Josi, einer der bekanntesten Bergführer Helvetiens. „Der Zugang von der Schweizer Seite und der italienischen Seite war gesperrt.“

Alpenüberquerung per Seilbahn

Der Klimawandel lässt das Gestein bröckeln und bröseln, Erdstürze häufen sich, Schneebrücken brechen ein, Gletscherspalten tun sich auf. Die alpine Landschaft verwandelt sich in eine Gefahrenzone.

Majestätisch: Das 4478 Meter hohe Matterhorn thront über Zermatt.
Majestätisch: Das 4478 Meter hohe Matterhorn thront über Zermatt. | Bild: Jan Dirk Herbermann

Um die betuchten Stammgäste bei Laune zu halten und neue Besucher auch in Zeiten des Klimawandels anzulocken, muss Zermatt jetzt immer neue Attraktionen präsentieren. „Wir brauchen großangedachte Projekte, um unser Ziel, eine Ganzjahresdestination zu werden, zu erreichen“, erläutert der Präsident des Hotelvereins, Eckert.

In diesem Jahr soll die „höchste Alpenüberquerung per Seilbahn“ ihren schwindelerregenden Betrieb aufnehmen. Die Strecke der Seilbahn „Matterhorn Alpine Crossing“ führt von der Bergstation Klein Matterhorn auf 3883 Meter hinunter nach Italien. Nebenbei handelt es sich bei dem Projekt auch noch um die höchste Grenzüberschreitung Europas. Hoch, höher, Zermatt.