Viele Wochen, einige Monate sogar, hatte die Union Zeit. Zeit, die Umsetzung ihres klaren Wahlversprechens zu planen, trotz deutlicher rechtlicher und moralischer Bedenken: Wir machen die Grenze für Asylbewerber weitgehend dicht. Und kontrollieren die Grenze wie seit langer Zeit nicht mehr, jedenfalls außerhalb von Corona-Sonderlagen.
Schon vor Monaten war es CDU und CSU damit sehr dringend. Denn was leicht in Vergessenheit gerät: Genau dieses Vorhaben war der Union so wichtig, dass man das Ganze mit Stimmen der AfD beschließen wollte. Klappte nicht, jetzt, nach der wackligen Kanzlerwahl, und nach viel Ausarbeitungszeit für diese Idee, sollte es aber direkt losgehen, ab Tag 1. Trotz allen Vorlaufs funktionierte auch das nicht gut.
Polizei hält das nicht auf Dauer durch
Dabei geht es nicht einmal vorrangig um die schleppende tatsächliche Umsetzung. Natürlich benötigt der Aufbau von Polizeipräsenz Zeit, die Leute müssen ja irgendwoher kommen. Da beginnt aber das Problem. Regelmäßige Zwölf-Stunden-Schichten sind angeordnet, zudem tausende Kräfte der Bereitschaftspolizei angefordert.
Auch dem Laien ist ersichtlich: Das ist kein Konzept, das länger als ein paar Wochen aufgeht. Überstundenberge türmen sich auf, Polizisten arbeiten sich kaputt. Und die Bereitschaftspolizei heißt so, weil sie für Lagen bereit stehen muss – und nicht dauerhaft dieselbe Aufgabe übernehmen kann, hier die Grenzkontrollen. Und von der kaum kontrollierbaren grünen Grenze reden wir erst gar nicht.
Was haben wir da eigentlich beschlossen, fragen sich Union und SPD
Das größte Problem ist auch nicht, dass die Koalition am ersten Tag ihrer Regierungszeit schon über ihren eigenen Koalitionsvertrag debattiert. Denn in Sachen Zurückweisungen verstehen Union und SPD selbst nicht so genau, was sie da eigentlich festgehalten haben, ob jetzt ein Fremder, der an der Grenze „Asyl“ sagt, noch ins Land darf (ja, sagt die SPD) oder selbst dann im Zweifel draußen bleiben muss (ja, sagt die CDU). Peinliche Uneinigkeit.
Nicht nur peinlich, sondern blamabel ist der Umgang mit unseren europäischen Partnern. Trotz ständig wiederkehrender, allerdings auch immer bewusst schwammig formulierter Versicherungen von CDU- und CSU-Politikern, man sei im Austausch mit den Nachbarländern, ist das offensichtlich nicht der Fall.

Dass sich nun ausgerechnet die Schweiz, Hort der Diplomatie, zu scharfer, öffentlicher Kritik genötigt fühlt, ist ein überdeutliches Signal. Gesprochen hat mit der Schweiz niemand. Deutschlands neue Regierung sendet direkt zu Beginn das Signal: Wir sind kein verlässlicher Partner, wir sind kein Garant des freien Europas. Das ist das Schlimmste.
Kommen die Grenzkontrollen – die es ja eh schon seit anderthalb Jahren gibt – nun tatsächlich in verstärkter Form, dürfen sich Pendler auf sehr viel Stau einstellen. Oder es wird halt doch wieder nur stichpunktartig kontrolliert. Dann wiederum erweist sich diese ganze Grenzkontroll-Ankündigung als Luftnummer.
Merz kann sich ein Scheitern schon nicht mehr leisten
Und das ist der Punkt: Friedrich Merz hat schon sein Schuldenbremsen-Versprechen gebrochen, er kann sich auf keinen Fall leisten, das Grenzversprechen auch noch zu brechen. Merz selbst hat einen rechtlich schwierigen, kaum dauerhaft bewältigbaren Schritt mit enormer Bedeutung aufgeladen.
Das erwies sich schon einmal als politisch vollkommen unklug. Bei der AfD-Abstimmung im Januar, beim Sündenfall im Reichstag, musste die ganze Bundesrepublik ihren Preis dafür bezahlen, zudem die Union mit einem schwachen Wahlergebnis. Die Umsetzung beginnt nun nicht besser.
Doch so schlecht das alles anläuft: Da die Migrationszahlen ohnehin sinken, bestehen gute Chancen, dass die Union bald erste scheinbare Erfolge der neuen Grenzpolitik verkaufen kann. Die Merz-Regierung muss bis dahin dringend die europäischen Partner zusammenbringen, die gemeinsame Lösung forcieren, Einigkeit wiederherstellen.
Nur so finden Union und SPD doch noch einen Weg aus der politischen Sackgasse, in die man sich mit heruntergelassenen Schlagbäumen selbst eingesperrt hat. Man muss für die Stabilität unseres Landes hoffen, dass diese Befreiung gelingt.