Die Endlager-Entscheidung der Schweiz zugunsten des Standorts Nördlich Lägern – gerade für die Menschen in Hohentengen und Umgebung ist dies ein herber Schlag – und beileibe nicht der erste: „Wir fühlen uns hier allmählich wie der Komposthaufen der Schweiz“, brachte es eine junge Frau auf den Nenner. Atomkraft, Fluglärm, jetzt also auch noch der Atommüll: Alles was im Entferntesten unangenehm werden könnte, werde seit jeher konsequent der deutschen Nachbarschaft direkt vor die Nase gesetzt.

Es ist ein Eindruck, den viele Hohentengener teilen. Der Unmut in der Bevölkerung ist groß. Das wurde bei der Infoveranstaltung mit Vertretern Schweizer Behörden und deutscher Politiker anlässlich der gerade verkündeten Endlager-Entscheidung deutlich.

Aber der Reihe nach.

Wie sah der Rahmen der Veranstaltung aus?

Mit 500 Besuchern waren die Kapazitäten der Hohentengener Mehrzweckhalle an den Grenzen. Viele fanden keinen Sitzplatz mehr.

Auf der Bühne hatten Vertreter der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) und des Bundesamts für Energie (BfE) Platz genommen, um die Grundlagen und Hintergründe der Entscheidung darzustellen und Fragen zu beantworten Sie gerieten denn auch im Diskussionsteil, der etwa zwei Drittel des Abends ausmachte, ordentlich ins Kreuzfeuer.

Ebenfalls auf dem Podium: Hohentengens Bürgermeister Martin Benz und Waldshuts Landrat Martin Kistler. Beide befanden sich in einer verhältnismäßig komfortablen Position, richtete sich die Kritik der Anwesenden doch hauptsächlich an die Vertreter aus der Schweiz. 

Protest gegen die Entscheidung für den Standort Nördlich Lägern.
Protest gegen die Entscheidung für den Standort Nördlich Lägern. | Bild: Baier, Markus

Wie ist die Stimmung bei den Bürgern?

Es steckt viel Emotion in der Endlager-Frage. Das war wurde nicht nur während der Veranstaltung deutlich, sondern schon zuvor. Vor der Halle hatte sich Protest formiert. Menschen mit Transparenten, gelb angestrichene Fässer mit Atomkraft-Symbol, Luftballons mit der Aufschrift „Atomkraft – nein Danke“ – die Zeichen standen eindeutig auf Protest und Widerstand.

Der Eindruck, dass da mächtig Druck auf dem Dampfkessel der Hohentengener Volksseele ist, wurde auch in der Vielzahl von Wortmeldungen deutlich. Neben vielen Fragen war dieser Abend auch Gelegenheit, um Frust, Unmut und Sorgen loszuwerden – über das Vorgehen der Schweiz, die Entscheidung und auch die scheinbar mangelnde Berücksichtigung deutscher Interessen und den an vielen Stellen als äußerst unfair empfundenen Umgang mit den deutschen Nachbarn.

Auf dem Podium hatten Landrat Martin Kistler, Bürgermeister Martin Benz, DKST-Leiter Martin Steinebrunner, Nagra-Vertreter Maurus Alig ...
Auf dem Podium hatten Landrat Martin Kistler, Bürgermeister Martin Benz, DKST-Leiter Martin Steinebrunner, Nagra-Vertreter Maurus Alig und die BfE-Vertreterin Monika Stauffer Platz genommen. | Bild: Tina Prause

Nicht immer stand dabei Sachlichkeit im Vordergrund, immer wieder schimmerte aber auch eine gewisse Hoffnung durch, dass der Kelch des Atomendlagers am Ende doch noch an dieser Gegend vorbeigehen könnte.

Welche Fragen brennen den Menschen besonders auf den Nägeln?

Hinterfragt wird die Sinnhaftigkeit der Standortwahl. Über allem steht die Frage, ob hinter der Entscheidung wirklich ausschließlich objektiv belegbare wissenschaftliche Erkenntnisse und Kriterien stecken, oder am Ende doch die Politik ihre Finger im Spiel hatte. 

Groß sind aber auch die Ängste und Sorgen wegen möglicher Auswirkungen von Bau und Betrieb einer solchen Anlage in gerade einmal zwei Kilometern Entfernung zur eigenen Haustür. Welche Folgen sind für Tourismus, Landwirtschaft oder generell die Ökonomie in der Grenzregion zu erwarten? Welche finanziellen Ansprüche kann die deutsche Seite geltend machen? Welche Gefahren durch Atommülltransporte von der in Würenlingen geplanten Verpackungsanlage zum Endlager, durch Verladung oder Einlagerung entstehen können und wie man diesen begegnet? Ja: Um welche Mengen Atommüll geht es am Ende eigentlich?

Viele dieser existenziellen Fragen sollen überhaupt erst in den nächsten Verfahrensschritten genauer betrachtet werden, so die lapidare Antwort. Oder sie seien von künftigen gesellschaftlichen, politischen oder technischen Entwicklungen abhängig. „Es ging zunächst darum, auf Basis der seismologischen und geologischen Verhältnisse den besten und sichersten Standort zu finden“, sagte Matthias Braun.

Das erwies sich als etwas dürftig in den Ohren von Menschen, die sich um ihre wirtschaftliche und gesundheitliche Existenz sorgen – und um die ihrer Nachkommen, die das ganze Thema sehr viel direkter betreffen wird. Entsprechend gering fiel das Verständnis für ausweichende Antworten aus.

Welchen Eindruck hinterließen die Schweizer Behördenvertreter?

Generell habe man in der Schweiz nicht mit einem solchen Empörungssturm aus Deutschland gerechnet. Das machte Monika Stauffer vom BfE deutlich. Der Abend dürfte ihnen aber ebenfalls durchaus in Erinnerung bleiben, denn die Bemühungen, die Wogen zu glätten und Bedenken auszuräumen, stießen immer wieder an Grenzen.

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Das galt vor allem für Monika Stauffer, der viele Besucher Arroganz und Leichtfertigkeit im Umgang mit Einwänden der deutschen Seite vorwarfen. Nicht besser ging es den Nagra-Vertretern Maurus Alig wie auch Matthias Braun, die sich um sachliche Antworten und allgemeinverständliche Erklärungen bemühten. Aber sie fanden wenig Gehör.

Was ist das Fazit?

Wer ein greifbares Ergebnis und Antworten auf alle drängenden Fragen erwartet hatte, wurde sicherlich enttäuscht. Als Moderator Martin Steinebrunner die Veranstaltung nach drei Stunden abbrach, blieben viele Besucher zwiegespalten zurück.

Es ist gelungen, viele wichtige Bedenken und Forderungen aus den Reihen der deutschen Nachbarschaft zu platzieren – und das in aller Deutlichkeit. Viele haben die Gelegenheit genutzt, sich Luft zu machen.

Weiterhin fühlen sich viele Bürger in ihren Sorgen und Ängsten nicht ernst genommen, was sie auch in verbalen und schriftlichen Äußerungen im Nachgang zu der Veranstaltung zum Ausdruck brachten. Weiterhin gibt grundlegende Zweifel, ob hier wirklich auf Augenhöhe geplant und verhandelt wurde und wird. Weiterhin ist das Vertrauen in die zuständigen Behörden des Nachbarlandes gering und fragil.

Was bleibt, sind das Versprechen der Schweizer Seite, dass Sorgen ernst genommen werden, dass der weitere Prozess transparent ablaufen soll, dass die Bevölkerung beidseits des Rheins informiert wird – aber leider auch viel Skepsis auf deutscher Seite, ob man sich auf solche Zusagen auch wirklich verlassen kann.

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