Gleich 13 Personen erschienen am Freitag vor den Schranken des Obergerichts als Zeugen. Sie schilderten ihre Erinnerungen zu – versuchten – Raubüber­fällen, die sich 2019 vornehmlich im Aargau abspielten. Die meisten der Zeugen berichteten am zweiten Verhandlungstag des Berufungsprozesses aus der Opferperspektive, wie sie von einem oder mehreren maskierten Männern – bedroht zumeist mit einer Pistole, Flinte oder einem Hammer – zur ­Herausgabe von Geld gezwungen worden seien.

So etwa eine ehemalige ­Angestellte einer Postfiliale, die berichtete wie ihr bei einem Überfall einer der Täter eine Waffe an den Kopf hielt und wie sie geknebelt und gefesselt wurde. Auch vier Jahre später leide sie unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, könne nicht arbeiten und habe sogar einen Herzinfarkt erlitten. „Sie haben mir mein ganzes Leben zerstört“, sagte sie vor Gericht.

Freiheitsstrafe von mindestens 8,5 Jahren

Auf der Anklagebank als Haupttäter sitzt ein vom Balkan stammender Mann. Seit nun dreieinhalb Jahren sitzt der 30-Jährige hinter Gittern. Das Bezirksgericht Laufenburg verurteilte ihn 2022 zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren und verwies ihn für 15 Jahre des Landes. Schuldig sprach es ihn wegen mehrfachen, teilweise versuchten, teilweise bandenmäßigen Raubs sowie weiterer Delikte.

Gegen das Urteil legte er Berufung ein. Dies, weil er von den ihm vorgeworfenen acht – versuchten – Überfällen nur zwei anerkennt, er jedoch wegen fünf schuldig gesprochen wurde. Auch die Staatsanwaltschaft legte Berufung ein und forderte eine Freiheitsstrafe von mindestens 8,5 Jahren. Bei den zwei anerkannten Taten handelt es sich unter anderem um einen versuchten Raub im September 2019 auf den Avec-Shop der Tamoil-Tankstelle in Frick. Bei diesem hatte der Beschuldigte das mit gestohlenen Nummernschildern ausgestattete Fluchtfahrzeug gelenkt.

Sein maskierter Komplize bedrohte eine Frau mit einer Schreckschusswaffe, die einer echten sehr ähnlich sah. Wie die Zeugin berichtete, sei sie am Arm gepackt worden, habe dann aber den Täter eine Treppe hinuntergeschubst, ­woraufhin dieser geflüchtet sei. Sehr schlecht sei es ihr danach gegangen. „Ich konnte mich kaum vom Vorfall erholen, da sind sie ja schon wieder gekommen“, sagte sie. Tatsächlich wurden im gleichen Avec-Shop im November 2019 abermals Angestellte mit einer Pistole bedroht. Die zwei Täter erbeuteten Bargeld und Zigaretten im Wert von einigen tausend Franken.

Eine der damaligen Angestellten sagte: „Er hat die Waffe frontal auf uns gerichtet und ich habe einfach nur noch funktioniert.“ Die Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg legt dem Beschuldigten diesen Raubüberfall unter anderem zur Last, weil sein Smartphone zum Tatzeitpunkt in einer Funkzelle in Frick eingeloggt war.

Nur wenige Tage später versuchte es der Beschuldigte mit einem Komplizen in der Coop-Tankstelle in Wettingen erneut. Mit einer Maske über dem ­Gesicht bedrohten sie die Angestellte. Als diese den Tresor ­öffnete und sich kein Bargeld in diesem befand, flüchteten die beiden Männer. „Seit dem Vorfall bin ich extrem schreckhaft“, sagte die Zeugin, die bei dem Überfall eine Pistole an die Schläfe gehalten bekommen habe. „Wir haben Geld gebraucht, um eine Firma für Fußbodenheizungen zu gründen“, sagte der Beschuldigte zum Motiv der beiden versuchten Raube. Ihm tue alles wirklich leid. Er wisse jetzt aber, seitdem er von einem Fahnder mit einer vorgehaltenen Pistole gestellt wurde, was für ein schreckliches Gefühl dies sei. „Ich hätte nie gedacht, dass die Leute davon so traumatisiert werden.“

Opfer will kein Geld vom Beschuldigten

An die Opfer der zwei versuchten Raubüberfälle, die der ­Angeklagte anerkennt, hat er Entschuldigungsbriefe aus dem Gefängnis geschrieben. In diesem Schreiben bot der Beschuldigte den Opfern eine Genugtuung von 500 Franken an. Während eine der Frauen das Geld annahm, hat die andere den Brief erst gar nicht gelesen. „Nein, ich will nichts“, antwortete diese auf die Frage der Verteidigerin nach den Kontodaten für eine Überweisung.

Die Verteidigerin des Hauptangeklagten sagte, dass es – außer für die zwei anerkannten Vorfälle – keine Beweise, sondern nur Indizien gebe. Sie forderte für ihren Mandanten eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten, was eine Haftentlassung bedeuten würde ­sowie eine Entschädigung von 120 000 Franken. Dies, weil ihr Mandant bereits mehr als dreieinhalb Jahre im Gefängnis sitzt. Auf den Landesverweis sei zu verzichten. Aufgrund weiterer Abklärungen, die gemacht werden müssen, fällte das Ober­gericht noch kein Urteil.

Der Autor ist Redakteur bei der ‚Aargauer Zeitung‘. Dort ist der Artikel auch erstmals erschienen.