Das große Zelt in der Kaiseraugster „Schürmatt“ liegt derzeit nicht im Jahr 2024, sondern irgendwo zwischen 70 nach Christus und dem dritten Jahrhundert. Auf rund 1800 Quadratmetern hat sich hier die Aargauer Kantonsarchäologie eingerichtet.
Bevor hier ab Sommer 2025 die großen Maschinen für den Bau von drei Mehrfamilienhäusern auffahren werden, führen die Archäologinnen und Archäologen auf der noch unbebauten Fläche eine Rettungsgrabung durch. Sie tragen den Boden ab auf der Suche nach Zeitzeugen, die mehr über das Leben vor bald 2000 Jahren zu erzählen haben. Seit sie im Mai ihre Arbeit aufgenommen haben, konnten schon einige Funde die hier gelegene Nordwest-Unterstadt von Augusta Raurica greifbarer machen.
In einer öffentlichen Führung nahmen Jakob Baerlocher, Leiter Ausgrabungen, sowie Grabungstechnikerin Shona Cox Interessierte mit in eine Zeit, als noch eine hohe Kindersterblichkeit das Leben in der Stadt Augusta Raurica prägte.
20 bis 50 Prozent der Kinder starben sehr früh
Vor allem hier in der Unterstadt, einem Stadtteil der damaligen Koloniestadt Augusta Raurica, dürfte die medizinische Entwicklung nicht weit fortgeschritten gewesen sein. Lebten doch hier nicht unbedingt Menschen der Oberschicht. „Im heutigen Augst waren das Theater und die Oberstadt mit dem Forum. Hier in Kaiseraugst lagen die einfacheren Stadtquartiere“, ordnet Baerlocher ein.
Von der Landstraße bis fast an den Rhein führte ein regelmäßiges Straßennetz, beidseits der Straßen seien Häuser mit Hinterhöfen gestanden, sagt Baerlocher. Die Höfe nutzten die Leute als Gärten, sie bauten darauf Schuppen und Schächte.
Dass die Gärten nicht nur für den Gemüseanbau genutzt wurden, davon zeugen acht Säuglingsbestattungen, die in Kleinstarbeit freigelegt wurden. „Das ist ganz typisch für die römische Zeit. Kinder, die während oder kurz vor oder nach der Geburt gestorben sind, wurden nicht auf dem Friedhof bestattet“, sagt Baerlocher. Es gebe Schätzungen, wonach man davon ausgehe, dass damals zwischen 20 und 50 Prozent der Kinder ihren ersten Geburtstag nicht erlebt haben.
Viel über die römische Parzellierung erfahren
Neben den filigranen Kinderskeletten war auch ein 1,24 Gramm schweres Goldplättchen wenige Zentimeter unter der Erdoberfläche begraben. „Gold finden wir sehr selten bei Ausgrabungen. Da war man schon früher bemüht, es nicht zu verlieren“, so Baerlocher.
Mitunter eine Münze – ein sogenannter Silber-Denar –, eine 35 Gramm schwere Pantherfigur aus Bronze, ein Fragment eines Schlangentopfs sowie eine kleine Öllampe können die Archäologinnen und Archäologen bereits heute zu ihren Funden zählen.
Von der Zeit, als Bauwerke noch in eiserner Handarbeit errichtet wurden, zeugt einer der freigelegten Keller. Dieser wurde im Vergleich zu den heutigen Häusern in der „Schürmatt“ 45 Grad abgewinkelt errichtet. Grabungstechnikerin Cox erklärt, dass anhand solcher Freilegungen die Zusammenhänge der römischen Parzellierung erfasst werden könnten.

Die Kantonsarchäologie weiß heute auch, dass die Einwohnerinnen und Einwohner von Augusta Raurica die Unterstadt im dritten Jahrhundert als Wohnquartier aufgegeben haben. Baerlocher sieht verschiedene Gründe, was die Menschen damals dazu veranlasste. „Es waren wohl mitunter wirtschaftliche Faktoren. Doch auch Pandemien – beispielsweise die Antoninische Pest – setzten den Leuten zu“, sagt er. Als ungefähr im Jahr 300 das „Castrum Rauracense“, also die Kastellmauer im heutigen Dorfzentrum von Kaiseraugst, gebaut wurde, hätten die Menschen diesen Teil der Unterstadt schon nicht mehr zum Leben genutzt.
Noch bis Ende März ist die Kantonsarchäologie in der „Schürmatt“. Ihre Befunde werden wissenschaftlich untersucht, dokumentiert und festgehalten. So können im kommenden Sommer die Neubauten am Ort der römischen Hinterlassenschaften erstellt werden.
Die Autorin ist Redakteurin der „Aargauer Zeitung“. Dort ist der Beitrag auch zuerst erschienen.