„Wer schaut seinen Führerausweis schon mit der Lupe an?“ Die Frage, die der Verteidiger an der Verhandlung am Freitagmorgen am Bezirksgericht in Rheinfelden in den Raum stellte, ist entscheidend. Denn: „Eigentlich niemand“, lautet darauf die Antwort, die der Verteidiger gleich selbst gab.
Beamte der Schweizer Grenzwacht aber tun genau das durchaus, also eben den Ausweis mit der Lupe anschauen. Und manchmal entdecken sie dabei auch eine Fälschung. Wie im Fall des 33-jährigen Ukrainers, der am Freitag vor Gericht stand.
Passiert war es an einem Wintertag 2022. Der Geschäftsmann, derzeit mit Schutzstatus S im Kanton Zürich wohnhaft, war damals mit seiner Frau unterwegs. Am Autobahnzoll in Rheinfelden wurden die beiden von Grenzbeamten angehalten und ihre Dokumente kontrolliert. „Als der Beamte mir sagte, dass mein Führerausweis gefälscht sei, war ich komplett schockiert“, erinnerte sich der Mann vor Gericht.
Ein Freund besorgte ihm den Ausweis in der Heimat
Kurz nach dem Angriff von Russland auf die Ukraine war das Paar mit ihrem Kind in die Schweiz geflüchtet. Einige Monate später habe er nach einem Ausflug bemerkt, dass er seinen Führerschein verloren hatte, erzählte der Mann. Er habe deshalb versucht, über die entsprechenden Onlineportale der Ukraine einen neuen Ausweis zu beantragen. „Aber viele Angebote waren damals wegen des Krieges nicht verfügbar“, so der Mann.
Eine Rückkehr in die Heimat allerdings war für das Paar undenkbar. „Wir wohnten in der Ukraine nur wenige Kilometer von der Front entfernt. Das wäre sehr gefährlich gewesen“, sagte der Mann. Er habe deshalb einen Bekannten in der Ukraine kontaktiert, der ihm versprach, den neuen Ausweis bei den Behörden vor Ort zu besorgen – und tatsächlich: Einige Wochen später kam der Führerschein in der Schweiz an.
„Ich hatte keinerlei Verdacht, dass er gefälscht sein könnte“, beteuerte der Mann vor Gericht. Mehrmals sei er damit auch kontrolliert worden – „und dabei gab es keinerlei Beanstandungen“.
Eine Fälschung, die einen Laien täuschen kann
Für die entsprechend geschulten Grenzbeamten am Rheinfelder Zoll hingegen war es ein Leichtes, die Fälschung zu erkennen. Das schilderte ein Mitarbeiter der Grenzwacht vor Gericht. „Einfachste Hilfsmittel haben dafür gereicht“, sagte er. Genauer: eine Lupe. Damit konnten die Beamten feststellen, dass der Ausweis nicht mit dem richtigen Verfahren gedruckt worden und eine darauf angebrachte Mikroschrift nicht lesbar war.
Die Fälschung wollte der Beamte vor Gericht zwar nicht als professionell bezeichnen. Aber doch immerhin als so gut, dass der Ausweis „für einen Laien vermutlich nicht als Fälschung erkennbar“ sei.
Nichtsdestotrotz: Die Staatsanwaltschaft verdonnerte den Ukrainer in ihrem Strafbefehl wegen „Fälschen von Ausweisen“ zu einer Geldstrafe sowie einer Buße in Höhe von 2700 Franken. Er habe sich den gefälschten Ausweis „wissentlich und willentlich über Kollegen“ besorgt, heißt es darin unter anderem. Und: „Dem Beschuldigten war bekannt, dass es sich um eine Fälschung handelte, da der total gefälschte Führerschein das gleiche Ausstellungsdatum aufwies wie der verlorene.“ Auf die Teilnahme an der Verhandlung verzichtete die Staatsanwaltschaft.
Argumentation „spitzfindig und weltfremd“
Der Verteidiger bezeichnete die Vorwürfe daraufhin als „reine Unterstellung, für die es keinerlei Beweise oder auch nur Indizien gibt“. Die Argumentation mit dem Datum sei „spitzfindig und weltfremd“, sagte er. „Welches Datum in so einem Fall auf einem Führerausweis zu stehen hat, ist nicht nachvollziehbar. Auch für die Grenzbeamten war dies kein relevantes Merkmal. Der Ausweis war für einen Laien also schlicht nicht als Fälschung erkennbar.“ Denn eben: „Wer schaut seinen Führerausweis schon mit der Lupe an?“
Das Bezirksgericht schloss sich den Ausführungen des Verteidigers „vollumfänglich an“, wie die Gerichtspräsidentin sagte. Heißt: Freispruch in allen Punkten für den Beschuldigten – und einige tausend Franken Verfahrenskosten zulasten der Staatskasse.
Die Autorin ist Redakteurin bei der „Aargauer Zeitung“. Dort ist der Betrag zuerst erschienen.