Der Einkaufstourismus an Hochrhein und Bodensee ist so lebhaft wie seit vielen Jahren und er kennt nur eine Richtung: Schweizer nutzen die Gelegenheit, etwa in Konstanz Drogerieartikel, aber auch Lebensmittel wie Kaffee, Süßigkeiten, Teigwaren, Gebäck zu erwerben. Aber sind Lebensmittel in Deutschland wirklich noch günstiger als in der Schweiz?
Ein Einkauf in zwei Supermärkten, einmal im Coop in Kreuzlingen (Schweiz) und einmal in einem Rewe-Markt in Konstanz, hilft bei der Überprüfung. Streift man durch die Regale im Coop-Markt, sucht man die hohen Preise, die Konsumenten aus Deutschland erwarten, vergebens. In der Gemüseabteilung sind Bio-Möhren (500 Gramm) für 2,40 Schweizer Franken zu haben – zum Vergleich: Im Konstanzer Rewe kostet der Bund 1,79 Euro, nicht in Bio-Qualität.
Einen Liter Hafermilch der Marke Beleaf erhält man im Coop für 3,50 Franken. Den Fruchtjoghurt (150 Gramm) mit Schokogeschmack gibt‘s für günstige 0,80 Franken. Auch beim Olivenöl stellt sich kein Preisschock ein. Es gibt teure Öle, aber auch Olivenöl für 7,80 oder 7,95 für jeweils 500 Milliliter oder, in einem sehr günstigen Angebot, einen Liter für 7,80 Franken.

Beim traditionell teuren Genussmittel Kaffee ist das Kilo Espresso für 19,90 Franken zu haben, Kaffee Crema in der Eigenmarke zu 500 Gramm für 5,80 Franken. Nudeln der Marke Barilla kosten 2,50 Franken. Und die günstigste Himbeer-Marmelade (250 Gramm) erhält der Kunde für 1,95 Franken. Schokolade bedeutet in der Schweiz traditionell Qualität und meist nicht zu Discountpreisen.
Im Coop erhält der Kunde eine Tafel Milchschokolade für 1,95 Franken, Nussschokolade für 2,20 Franken. Ein Testkauf von sieben Produkten (Hafermilch, Olivenöl, Nudeln, 150 Gramm Fruchtjoghurt, Kaffee, eine Tafel Schokolade, Marmelade) kostet im Coop Kreuzlingen 21,70 Franken, wobei beim Olivenöl eine kleine 250 Milliliter-Flasche gewählt wurde.
Bei Rewe ist ein Liter Hafermilch für 2,59 Euro zu haben, möglich sind aber auch 1,99 Euro, deutlich weniger als in der Schweiz. Schon beim Kaffee aber sind die Unterschiede geringfügig: Die Eigenmarke Rewe Röstkaffee gibt‘s für 7,39 Euro (500 Gramm), Jacobs Crema im Kilopreis für 19,99 und ein sehr günstiges Angebot in Höhe von 11,99 Euro für Caffè Crema der Eigenmarke „ja!“.

Olivenöl kann man bei Rewe zu satten Preisen erwerben, es gibt aber auch die 750 Milliliter-Flasche zu 5,99 Euro und die günstige Literflasche zu 7,88 Euro. Die günstigste Himbeermarmelade kostet 1,49 Euro, eine Tafel Milka-Schokolade kostet an diesem Tag 1,11 Euro im Angebot. Ein Testkauf der oben genannten Produkte von Hafermilch bis Olivenöl kostet bei Rewe 21,97 Euro. Der Kaufpreis in beiden Supermärkten differiert also nur geringfügig.
Woran liegt das? Stefan Flückiger, Sprecher des Vereins Faire Märkte Schweiz, schreibt auf Anfrage, dass inzwischen auch Schweizer Lebensmittelhändler die Tiefpreisstrategie übernommen hätten. Die Großverteiler wollten mit den Günstigsortimenten den Discountern die Stirn bieten. „Der Verkaufspreis ist also ein taktischer Preis, der sich aus der Marktsituation ableitet, nicht aus den Produktionskosten.“
Spürbar wird diese Niedrigpreisstrategie der Schweizer Märkte offenbar bei den Lieferanten. Coop habe Gemüselieferanten zwar zugesagt, dass die Abnahmepreise stabil blieben. Zugleich wurde aber bekannt, dass Coop eine Rückvergütung von drei Prozent auf ihren Jahresumsatz angerechnet verlange, wie der Schweizer Tagesanzeiger berichtet. Ein zweiter Faktor für stabile oder gar rückläufige Preise in Schweizer Supermärkten, so Flückiger, sei die stabile Währung. „Der starke Schweizer Franken wirkt sich bei den Importprodukten preissenkend aus.“
Einzelhandel drückt die Preise
Der stabile Verkaufspreis bedeute aber nicht, dass auch die Produzenten stabile Kosten hätten. Produzentenpreise würden teilweise durch den Einzelhandel gedrückt, eine Strategie, die auch aus Deutschland bekannt ist. Coop hingegen sieht die eigene Preispolitik als Dienst an seinen Kunden, nicht als Methode, Preise zu drücken.
Das Unternehmen habe 2025 „über 50 Millionen in tiefere Preise investiert“ und damit bei vielen Produkten den Preis gesenkt, schreibt Coop-Sprecher Kevin Blatter auf Anfrage. Stärker gestiegen als die Lebensmittelpreise seien in der Schweiz Mieten, Energie und Krankenkassenbeiträge. Der Lebensmitteleinzelhandel habe damit also einen Beitrag zur Bremsung der Inflation geleistet, so die Sichtweise.
Und auf der deutschen Seite? Offensichtlich ist, dass in den vergangenen Jahren Preise bei Lebensmitteln stark angestiegen sind. Eine Studie der Verbraucherzentrale NRW beschreibt eine Preissteigerung bei Kaffee um 24 Prozent, bei Molkereiprodukten um 31,8 Prozent, bei Brot um 37 Prozent, bei Fleisch um 35 Prozent und bei Obst um 16 Prozent. Preistreiber gebe es dabei mehrere: Bei Beginn des Ukrainekriegs seien es die erhöhten Energiekosten gewesen, die allerdings später wieder sanken, sowie Kosten für Düngemittel und Futter.
Hinzu kommen, so die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, steigende Kosten für Löhne durch den steigenden Mindestlohn sowie der Personalmangel, der die Lohnkosten weiter nach oben treibt. Ein weiterer Faktor seien Missernten, die durch den Klimawandel bedingt seien. Der Einzelhändler Rewe will sich zu Lebensmittelpreisen nicht äußern, wie er auf Nachfrage per Mail mitteilt.
Frank Winterhalter, Inhaber der Bäckerei Heimatliebe, erläutert den Anstieg der Preise am Beispiel Brot und Backwaren. „Die Energiepreise waren zu Beginn des Ukrainekriegs ein Preistreiber, aber das ist weitgehend zurückgegangen“, sagt er. Der Hauptfaktor seien eindeutig die Lohnkosten, die in Deutschland inklusive der Lohnnebenkosten stark angestiegen seien, getrieben vom Personalmangel. Jobbewerber seien in der Lage, bequem zu verhandeln. „Wir sind jetzt bei 16,17 oder 18 Euro pro Stunde“, sagt Winterhalter.
Instabiles Deutschland?
Den Unterschied zur Schweiz, die den Personalmangel ebenfalls spürt, sieht er im instabilen Gesamtsystem in Deutschland. Hier steigen die Personalkosten gleichzeitig mit den Sozialkassenbeiträgen, die Lebensmittelpreise wachsen, Mieten werden teurer, die Währung verliert an Wert. In der Schweiz – auch bedingt durch die harte Währung – seien die Personalkosten zwar zuverlässig hoch. Der Preiskampf im Einzelhandel und der stabile Franken verhindere aber ein unkontrolliertes Ansteigen.
Christian Walz, Chef der Bäckerei Walz in Kreuzlingen mit mehreren Filialen im Umland, ärgert sich trotzdem. Die Preise für seine Backwaren bleiben einigermaßen stabil. Trotzdem erledigten viele seiner Mitbürger ihren Einkauf gern jenseits der Schweizer Grenze im angeblich günstigeren Konstanz. „Vieles davon ist reine Gewohnheit, zumindest bei den Backwaren bekommen sie dort keine günstigeren Preise.“