Sommergefühle sind zur ersten Woche des Festivals Stars in Town auf dem Herrenacker in Schaffhausen eher nicht aufgekommen. „Wasser haben wir jetzt genug gehabt, das Aquarium ist voll“, sagt Festival-Moderator Alex Bluntschi mit Blick auf die unzähligen Regentage in jüngster Zeit. Festivalsprecherin Nora Fuchs bilanziert in Zahlen: Ausverkauft ist bereits ein Konzertabend. Für James Blunt am Samstag, 9. August, gibt es keine Eintrittskarten mehr. Und die Bilanz der ersten Woche? „Mit 80 Prozent Auslastung sind wir sehr zufrieden“, erklärt Fuchs angesichts der dicken Regenwolken der vergangenen Tage.

Am Samstagabend hat das Wetter dann doch noch Einsicht

Aber einmal mehr hatten die dicken Regenwolken am Samstag, 2. August, Einsicht mit den Fans, und Stück um Stück hat das Nass nachgelassen. Schon beim Auftritt der legendären Schweizer Band „Lovebugs“ riss der Himmel auf. Sie gehören seit den 1990er-Jahren zu den erfolgreichen Rockbands der Schweiz. „Zuletzt ist es aber etwas ruhiger um sie geworden“, verrät Festivalgast Thomas Hauser. Der Sound ist geprägt von Britpop, Indie-Rock und Alternative-Elementen – immer getragen von der markanten Stimme von Adrian Sieber.

Lovebugs-Frontmann Adrian Sieber.
Lovebugs-Frontmann Adrian Sieber. | Bild: Biehler, Matthias

Spätestens mit Nemos kraftvoller Show konnten die Regenponchos weggepackt werden. 2024 hat Nemo den europäischen Song-Wettbewerb ESC für die Schweiz gewonnen. „The Code“ heißt der Erfolgssong, der den Sieg beschwerte. Dass der Titel bis heute wichtig ist, wird in Schaffhausen erst ganz am Ende von Nemos Show bewusst: Quasi als Finale bekommen die Fans den Hit geschenkt.

Zuvor wird deutlich, wie vielfältig die Musik des Bieler Stimmwunders ist. Eine Zeitreise wird angekündigt und eingehalten. „Schaffhausen ist immer wieder schön“, erklärt Nemo und greift tief in die Geschichts-Kiste der musikalischen Anfänge als Mundart-Rapper. „Ke Bock“, heißt ein Song, den Nemo bereits 2017 veröffentlicht hat.

Mit ungeahnter Wucht reißt Nemo sein Publikum schon mit den ersten Tönen mit.
Mit ungeahnter Wucht reißt Nemo sein Publikum schon mit den ersten Tönen mit. | Bild: Biehler, Matthias

Das Publikum auf dem Herrenacker hatte Bock, feierte auch jeden neuen Song – egal, ob schon hundert Mal gehört oder ganz neu für die erst im Oktober auf den Markt kommende nächste Veröffentlichung. Einmal singt Nemo vom Fundbüro und macht eine Zeit zum Thema, in dem nicht nur die Geduld verloren gegangen ist, sondern Nemo beinahe auch sich selbst verloren hat. Aber Nemo hat sich gefunden.

Nemo bricht mit Konventionen

Elf Jahre vor seiner Geburt hat die großartige Céline Dion zuletzt für die Schweiz den ESC-Sieg geholt und eine Weltkarriere gestartet. Nun ist Nemo an der Reihe. Der Lebensmittelpunkt liegt mittlerweile in London, die Schweiz bleibt aber Heimat. Die Single „Du“ erreichte 2017 Platz vier der Schweizer Charts, ein Jahr später gab es vier Swiss Music Awards. 2021 belegte Nemo bei „The Masked Singer Switzerland“ den fünften Platz. Dann kam der ESC in Malmö – mit bekanntem Ausgang.

Das könnte Sie auch interessieren

Nemo entzieht sich den Geschlechterrollen. „Nicht-binär“ heißt das. Nemo mag sich weder als Mann noch als Frau identifizieren und bricht tatsächlich den Code – beziehungsweise mit den bisherigen Konventionen. „I went to hell and back, to find myself on track, I broke the code“ (deutsch: „Ich bin durch die Hölle gegangen und zurück, um wieder auf den richtigen Weg zu kommen, ich habe den Code geknackt.“), heißt es dazu im Refrain des Siegertitels.

Nemo Mettler, wie der Geburtsname lautet, hat den Befreiungsschlag geschafft: „If this body was a house, I‘d burn it down and build myself a place where I‘d feel safe“ (deutsch: „Wenn dieser Körper ein Haus wäre, würde ich es niederbrennen und mir einen Ort bauen, an dem ich mich sicher fühlen würde“), heißt es im Song „Body“.

Die Konfetti-Kanone wird bei beim Auftritt der Band Hecht schon beim ersten Song gezündet – aber damit ist das Pulver längst nicht ...
Die Konfetti-Kanone wird bei beim Auftritt der Band Hecht schon beim ersten Song gezündet – aber damit ist das Pulver längst nicht verschossen. | Bild: Biehler, Matthias

Dabei präsentiert sich das Show-Talent nicht nur zerbrechlich, sondern im Song „Certified Pop-Queen“ ebenso strahlend wie glitzernd in waghalsig hohen Plateau-Pumps und im zebragestreiften Tutu. Gut gelaunt tanzt der Wirbelwind über die Schaffhauser Bühne und heizt die Menge auf.

Die wilde Lichter-Show tut ihr Übriges. Zwischendrin gibt es im charmanten schweizerdeutschen Zungenschlag immer mal wieder ein paar Worte an die Fans. Nemos unverwechselbare Stimme kommt gewaltig, jung und poppig daher: Die Songs wirken leicht und energetisierend zugleich.

Am liebsten wär‘ Hecht-Frontmann Stefan Buck jedes Jahr auf dem Herrenacker.
Am liebsten wär‘ Hecht-Frontmann Stefan Buck jedes Jahr auf dem Herrenacker. | Bild: Biehler, Matthias

Energie, das ist auch das Zauberwort der Schweizer Hitgaranten Hecht. Wenn Frontmann Stefan Buck und seine Mannen loslegen, wird getanzt, gehüpft und gesungen – auf der Bühne ebenso wie auf dem Herrenacker. Seit 24 Jahren sorgt die Band für Mundart-Hits im Dauerabo: „Kawasaki“, „Charlotta“ oder „Besch ready für die Liebi vo mer?“ begeistern die Fans. Und jene auf dem Herrenacker sind bereit.

Zum vierten Mal stehen Hecht auf der großen Bühne bei Stars in Town. „Und künftig bitte jedes Jahr“, bettelt Stefan Buck. Als Markenzeichen gelten ihre Tanzeinlagen und einstudierte Choreografien zu den Konzerten. Und wenn Keyborder Daniel „Gisi“ Gisler loslegt, sind die Fans ebenso aus dem Häuschen, wie wenn Buck oder die ganze Band auf Tuchfühlung mit den Fans gehen. Ganz egal, ob zum Finale mitten im Pulk – oder zwischendurch surfend auf dem Brett über die Köpfe des Publikums hinweg.

Das könnte Sie auch interessieren

Einzig Linda Elys, die Schweizer Sängerin, blieb nicht von den Wassermassen verschont. Unverdrossen hat sie ihren Mix aus Pop, Folk und modernen Klängen präsentiert. „Schon mit ihren ersten Singles und Auftritten auf namhaften Bühnen beweist sie eindrucksvoll, warum sie als eines der spannendsten Talente der Schweiz gilt“, wie Mediensprecherin Sibylle Russenberger verrät.

Mehr Bilder vom Festival-Abend gibt es in unserer Galerie