In diesem Literaturherbst gibt es Begegnungen der wunderbaren Art. Die Elfen, Trolle und Trinker kommen, die schweigsamen Bauern und Lehrer mit den gebrochenen Herzen. Norwegen ist Gastland auf der Buchmesse. Bis dato sind etwa 450 norwegische Titel neu in Deutschland erschienen. Hier einige Empfehlungen.
Romane: Dag Solstad
In Norwegen ist der 78-Jährige Dag Solstadt einer der wichtigsten Gegenwartsautoren, hierzulande beinahe unbekannt. Mit dem Buchmessen-Schwerpunkt und dem Roman „T. Singer“ (Dörlemann-Verlag Zürich) kommt jetzt der Durchbruch. Der Bibliothekar T. Singer ist ein komischer Kerl. Ursprünglich wollte er Schriftsteller werden. Er scheiterte schon am ersten Satz; der lautet: „Eines schönen Tages stand er Auge in Auge einem denkwürdigen Anblick gegenüber.“ Ein guter Satz, ein spannender Satz, nur: Welcher Anblick ist so denkwürdig, dass er nachhaltig berühren könnte? Singer sucht, er ist derart skrupulös, dass er abbricht. So verläuft sein gesamtes Leben...
So sind sie, die Männerfiguren von Solstad, scheu zurückgezogen in sich. „Scham und Würde“ heißt ein weiterer Roman. Wie der Bibliothekar Singer macht der Lehrer Rukla alles mit. Doch misstrauisch gegen jegliche Gefühlsäußerung, ist er einsam geworden. Der großartige Stilist Solstad ist auch ein erstklassiger Menschenkenner. Rührend komisch und leise ironisch schildert er das Dasein als Drama verfehlter Kommunikation.
Drama und Prosa: Jon Fosse
Der meistgespielte Gegenwartsdramatiker heißt Jon Fosse (59). Als unser Theater lautstark wurde und vor lauter Popkultur fast die Sprache verloren hätte, da entdeckte es plötzlich die Stille;die alles entscheidende Kraft weniger Worte. Jon Fosses Stücke wurden landauf, landab gespielt.
Wer Theaterstücke nicht lesen mag, dem sei Fosses „Trilogie“ (Rowohlt) empfohlen, drei meisterlich ineinander verschränkte Erzählungen über ein Paar. Schauplatz ist eines jener Fjorde, wo Fosse aufwuchs. Eine Frau und ein Mann, halbe Kinder, sind bitterarm; sie suchen wie Maria und Josef eine Herberge, denn die Frau ist schwanger. Es passiert der Regen, es passiert die Kälte; vor allem passieren Fosses Sätze, sie steigern sich wie die Wehen der Schwangeren.
Essay: Karl Ove Knausgård
Der mit Abstand erfolgreichste Gegenwartsautor ist Karl Ove Knausgård. Er hat das Kunststück fertig gebracht, mit der Schilderung seines Privatlebens zum Weltautor zu werden. „Kämpfen“ („Min Kamp“), so heißt sein sechsbändiger Romanzyklus. Auf 4600 Seiten geht es, sehr verkürzt gesagt, um seinen Vater, einen Alkoholiker, und um sich selbst als Vater von fünf Kindern. „Kämpfen“ wurde zum Megaseller.
Nach „Kämpfen“ kam der Jahreszeiten-Zyklus mit „Frühling“, „Sommer“, „Herbst“ oder „Winter“ (Luchterhand Verlag). Jedes Buch ist ein Schatz, angefüllt mit kurzen Denkbildern. Katzen, Pflaumen, Campingplätze, Grillen, Wassersprenger, Tränen, Mücken: Jedes Ding ist es wert, bedacht zu werden. Die Jahreszeiten-Bücher sind leicht zu lesen, die Einsichten wiegen schwer.
Der furiose Essayband „Das Amerika der Seele“ (Luchterhand Verlag) schließlich zeigt die Weite von Knausgårds Kosmos. Alles drin: Cindy Sherman, Peter Sloterdijk, Ibsen. Anders Behring Breiviks Massaker. Das Nordlicht und das menschliche Sein im All. Die Bibel und Jesus. Die selbstzerstörerische Kraft der Vergebung. Die Pseudogefühle der Popindustrie.