Hell erleuchtet und in erhöhter Position thronen Alexander der Große und seine Geliebte Campaspe im Vordergrund des Gemäldes. Apelles, der bedeutende griechische Hofmaler, sitzt verdunkelt im hinteren Teil des Bildes und muss sich aus unbequemer Sitzhaltung zu den Porträtierten umdrehen.
Giovanni Battista Tiepolo, der das Gemälde um 1725 im Alter von knapp 30 Jahren schuf, greift zwar ein beliebtes Bildmotiv auf, nämlich die Großzügigkeit Alexanders, der zugunsten des verliebten Malers auf Campaspe verzichtet. Doch demonstriert er auch eine Zeitenwende im traditionellen Kunstsystem: Mit seiner Art der Darstellung liefert der venezianische Maler einen kritischen Kommentar zur nur vermeintlichen Wertschätzung des Auftraggebers gegenüber dem Künstler.
Flankiert wird das aus dem kanadischen Montreal nach Stuttgart gereiste Werk in der Staatsgalerie von zwei ähnlich unkonventionell aufgefassten Gemälden aus Venedig, darunter dem „Raub der Europa“, die hier weniger attraktiv als üblich erscheint, und mit einem Stier, der unter ihrer Last schier zusammenbricht. 1770 gestorben, ist Tiepolo ein Maler auf der Schwelle des ausgehenden Barock und beginnenden Rokoko, am Ende der alten Weltordnung, die mit der Französischen Revolution im Jahr 1789 zerfällt.
Mit seinen Bildern hinterfragt er althergebrachte Etiketten mit Fantasie und Illusion, Witz und Ironie. Durchaus mit der Absicht, den Betrachter zu irritieren. Programmatisch steht das Apelles-Bild am Beginn der locker chronologisch gehängten Ausstellung „Tiepolo. Der beste Maler Venedigs“.
Mit über 25 Gemälden und 100 Zeichnungen und Radierungen bildet diese, so Kuratorin Annette Hojer, zum 250. Todestag erstmals im deutschsprachigen Raum die gesamte Schaffenszeit des wohl bedeutendsten Malers des 18. Jahrhunderts in Italien ab, der mit seinen Bildern aus Licht und Farbe zum Protagonisten der venezianischen Malerei avancierte.
Zum größten Bestand an Tiepolo-Arbeiten außerhalb Italiens in der Staatsgalerie kommen dafür kostbare Leihgaben aus der ganzen Welt, etwa dem Pariser Louvre und dem Metropolitan Museum Of Art in New York. Deutlich lässt sich in der gelungenen Präsentation die Herkunft dramatischer Hell-Dunkel-Malerei im Frühwerk Tiepolos auf die Einflüsse des älteren venezianischen Zeitgenossen Giambattista Piazzetta oder des Dalmatiners Federico Bencovich zurückführen, von dem die wundervoll ausgeleuchtete „Anbetung der Könige“ zum Vergleich steht.
Kunst mit mehrdeutigen Kommentaren
Vorbild ist in dieser Zeit auch Paolo Veronese, wie sich an der bei Tiepolo durch Bildaufbau und Verzerrung der Maßstäbe verfremdeten „Auffindung des Moses“ nachvollziehen lässt. Von seiner Geburtsstadt Venedig aus geht der bei weltlichen und geistlichen Würdenträgern geschätzte Maler nach Oberitalien, wo Fresken, religiöse und mythologische Gemälde sowie Porträts in Kirchen und Palästen entstehen, auch diese mit humorvollen, kritischen und mehrdeutigen Kommentaren.
Im über drei Meter hohen für die spanische Botschaft in London bestimmten Altarbild des Nationalheiligen Jakobus zeigt sich mit Bezug auf missionarisches Wirken in den Kolonien eine politische Botschaft – das Bild wurde abgelehnt.
Berühmt wird Tiepolo insbesondere für seine Deckenfresken: In Würzburg malt er zwischen 1751 und 1753 die Allegorie auf den „Genius imperii“ für den Kaisersaal der Residenz, von dem die Ölskizze erhalten ist. Die Arbeit ebnet dem venezianischen Künstler beim Fürstbischof den Weg zur Ausmalung der Decke im Treppenhaus. Mit 700 Quadratmetern gilt das Werk als das größte zusammenhängende Deckenfresko der Welt.

Die Staatsgalerie zeigt eine Reproduktion nebst detailreicher Nachzeichnungen, sogenannten Ricordi, in Rötel und weißer Kreide auf dem für Tiepolo so typischen blauen Papier zum genussvollen Nachempfinden.
1761 erfolgt der Ruf nach Madrid. Hier entsteht „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“. Ein Restaurierungsvideo zeigt, wie Tiepolo das Bild in seinem Todesjahr noch einmal überarbeitet, um in der Landschaft verstärkt die Verlassenheit zu spiegeln.
Sprung in die Gegenwart
Neben Schlüsselgemälden wie etwa „Rinaldo und Armida“ werden Tiepolos ebenso bedeutende launenhafte Zeichnungen und Radierungen präsentiert, die mit ihren aus dynamischem Strich und malerischen Lavierungen entstandenen scheinbaren Idyllen als Vorläufer für Francisco de Goyas Caprichos gelten.
Zu Beginn gewöhnungsbedürftig, macht die Gegenüberstellung der 300 Jahre alten Werke mit Fotografien und Videos des 1964 geborenen Christoph Brech Sinn: Wie Tiepolo spielt Brech durch Brüche und Wechsel der Perspektive mit der Wahrnehmung des Betrachters und verhilft damit der Ausstellung zum Sprung in die Gegenwart.
Die Ausstellung „Tiepolo. Der beste Maler Venedigs“ ist bis zum 2. Februar 2020, in der Staatsgalerie Stuttgart zu sehen. Geöffnet ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr und Donnerstag bis 20 Uhr. Weitere Informationen finden Sie hier.