Glücklich jener Mensch, der in seinem Hause sitzt. Diese Worte stehen – auf Lateinisch – auf einer Ofenkachel im ehemaligen Domizil von Otto Dix in Hemmenhofen: „Beatus ille home, qui sedet in sua domo.“ Sie sind einem Lied Joseph von Eichendorffs entnommen und sprechen dafür, dass die Bewohner wussten, was sie an ihrem Haus hatten.
Der repräsentative Landsitz auf der Halbinsel Höri war für Dix im Dritten Reich ein Refugium der inneren Emigration. Der Skandal- und Erfolgskünstler der Weimarer Republik, als Arbeitersohn im thüringischen Untermhaus geboren, einem Stadtteil von Gera, wurde 1933 bei der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten als „entartet“ gebrandmarkt und aus dem Dresdner Professoren-Amt vertrieben. Viele seiner Bilder wurden vernichtet.
„Lebt denn das Schwein immer noch?“, notierte im April 1934 der sächsische Reichskommissar Manfred von Killinger an den Rand der Personalakte Dix. Der Verfemte lebte. Er überlebte die Katastrophe namens Drittes Reich und starb 1969 in Singen.
Dix hatte sich zunächst ins dörfliche Randegg im Hegau zurückgezogen. Er fand Unterschlupf im Schlösschen des Schwagers. Ein Provisorium nur, 1936 bezogen er und seine Familie das Haus auf der Höri am Untersee. Eine Erbschaft seiner Frau Martha machte den Neubau möglich, der heute ein Museum ist.
In die Natur verbannt
„Wir leben unter äußerst kümmerlichen Umständen“, beschrieb Dix damals seine Lage. Zur materiellen Not stellte sich bei ihm eine Lebenskrise ein. Der Großstädter, der ein Dasein ohne Verdünnung brauchte, fühlte sich in die Natur verbannt: „Ein schönes Paradies. Zum Kotzen schön …“
Aber an ein Zurück in die Metropolen der Kunst – Dix hatte zeitweise in Berlin und Düsseldorf gelebt – war nicht zu denken, da sich unter seinen Bildern angeblich solche befanden, „die das sittliche Gefühl des deutschen Volks auf Schwerste verletzen und andere, die geeignet sind, den Wehrwillen zu beeinträchtigen“, wie es von offizieller Seite mit Blick auf seine Kriegsdarstellungen und seine in den 1920er-Jahren entstandenen Bilder des sozialen Elends, der bettelnden Krüppel und Huren hieß.
Es dauerte ein Jahr, bis sich der Künstler in der Lage sah, in Randegg zu arbeiten. Er begann mit einer ersten zeichnerischen Erkundung der Landschaft, der eine intensive malerische Tätigkeit folgte. Die Arbeiten zeigen den Schienerberg, den Hohenstoffeln, den Hohenkrähen, das unterhalb des Schlossbergs lagernde Dorf Randegg, die Schlosskapelle und weite Ausblicke.
Souverän erfasst Dix das Besondere des Hegaus, die wohlgegliederte Landschaft mit den frech auftrumpfenden Vulkankegeln. Es sind 150 Arbeiten, die Dix in Randegg beendet: Heimatkunde par excellence.
Die Idylle, die keine war
Aber auch in Hemmenhofen, der scheinbaren Bodensee-Idylle, führte der Maler weiter einen Kampf mit sich und den Zeitumständen. Scheinbare Idylle, weil ihn die Nazis auch hier verfolgten. Sie bespitzelten ihn und durchsuchten sein Haus, 1939 wurde er anlässlich des Hitler-Attentats in München verhaftet und vor Kriegsende, 1945, musste er einrücken.
Das eisige „Randegg im Schnee“, der symbolhafte „Judenfriedhof in Randegg“ (beide 1935) oder das dramatische Gemälde „Aufbrechendes Eis“ (1940) assoziieren Heinrich Heines politische Metaphorik in „Deutschland – ein Wintermärchen“.
Abseits der Metropolen, die ihn nach dem Krieg vergeblich mit Professuren ködern wollten – er hatte doch Wurzeln am See geschlagen –, wandelte sich der Menschen- zum Landschaftsmaler. „Hier war ja weiter nichts“, erklärte er noch 1965. An den tödlichen Ernst der Bilder der frühen Jahre konnte Dix nicht anknüpfen.
Die auf abstrakte Malerei abonnierte Kunstwelt verschloss vor seiner altmeisterlichen und am Ende neoexpressiven Produktion höflich die Augen. Erst Mitte der 1950er-Jahre entwickelten Handel und großstädtisches Publikum Interesse an dieser Schaffensperiode.

Heute wird das Gesamtkunstwerk von Otto Dix in einem Atemzug mit anderen großen Künstlern der Moderne des 20. Jahrhunderts genannt. Seine Bilder, die er im Krieg bei Bauern gegen Lebensmittel oder Brennholz eintauschen musste, erzielen auf Auktionen Millionen-Beträge.
Anders dagegen reagierte – von Anfang an – die Region, die dem Thüringer, der seinen Ur-Dialekt nicht verbergen konnte, zur zweiten Heimat wurde. Ihre Menschen bewunderten ihn, erteilten Aufträge, ermöglichten Ausstellungen oder legten eine Sammlung an.
Dix‚ Spuren sind überall
Dix hat Spuren rund um den Bodensee hinterlassen. Zum Beispiel die Wandbilder „Krieg und Frieden“ und „Adam und Eva“ (beide 1960) im Rathaus von Singen. Dass er sich auf das Hiesige eingelassen hat, davon erzählen die Bilder mit Fasnachtsmotiven im Keller des Hauses in Hemmenhofen. Der Maler und seine Frau Martha luden regelmäßig zu schillernden Fasnachtsfesten ein.
Als Dix nach einem zweiten Schlaganfall am 25. Juli 1969 im Alter von 77 Jahren im Krankenhaus in Singen starb, verlor das Haus in Hemmenhofen seinen guten Geist. Die Trauer um ihn war aufrichtig und groß. Dix wurde auf dem Friedhof von Hemmenhofen begraben, hoch über dem Spiegel des Untersees, nicht weit von seiner 1955 verstorbenen Tochter Nelly.
Sechs Feuerwehrleute trugen den mit Rosen geschmückten Sarg. Sein letztes Selbstporträt zeigt ihn als Totenkopf. Der Wirklichkeitsmensch Dix folgte einmal mehr seinem Motto: „Traue deinen Augen.“
Der Künstler
- Otto Dix wurde 1891 in Thüringen geboren, er starb am 25. Juli 1969 in Singen. Der 1933 von den Nazis geächtete und aus seinem Professoren-Amt in Dresden verjagte Maler und Grafiker wählte die innere Emigration, er lebte mit seiner Familie bis zu seinem Tod in Hemmenhofen auf der Halbinsel Höri. Dix gilt als einer der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Sein Werk ist von stilistischer Vielfalt geprägt, er blieb jedoch dem Realismus verpflichtet. Am bekanntesten sind seine Gemälde, die der Neuen Sachlichkeit zugerechnet werden. Die umfangreichsten Sammlungen befinden sich im Museum Gunzenhauser in Chemnitz und im Kunstmuseum Stuttgart. Eine repräsentative Sammlung besitzen die Städte Friedrichshafen, Albstadt und Schaffhausen.
- Anlässlich von Otto Dix‘ 50. Todestag gibt es eine limitierte Sonderprägung in Gold (für Abonnenten des SÜDKURIER: 899 statt 1009 Euro) und Silber (für Abonnenten: 49,90 statt 59,90 Euro). Die beiden Medaillen sind erhältlich im Internet oder unter der gebührenfreien Telefonnummer 0800/880-8000.