Dieser Kegelberg, die sanften Hügel, das wild romantische Abendlicht: Das ist doch nicht etwa der Hegau? Doch, das ist er. Trotz Madonna in purpurner Tracht mit dem Jesuskind auf dem Arm. Otto Dix hat sie auf diesem Bild von 1943 mitten in den badischen Wald gestellt.

Schrecken und Dekadenz

Dix, das ist der Künstler mit drastischer Bildsprache und beißender Ironie. Wie kein anderer hat er die Schrecken des Ersten Weltkriegs und Dekadenz der Oberschicht auf Leinwand zu bannen vermocht. Die Bilder seines Spätwerks mit ihrer regligiösen Ikonografie sind bis heute in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt. Wer aber beim Namen Dix die entstellten Gesichter von Schwerverwundeten seiner frühen Werke vor Augen hat oder die feiste Fratzen von Genusssüchtigen, der dürfte sich wundern angesichts der friedlichen Idylle, die dieses Gemälde ausstrahlt.

Kein Zweifel, dieses Bild ist außergewöhnlich. Und gerade deshalb gehört es ins Museum Haus Dix auf der Höri, dorthin, wo der Maler einst vor den Nazis geflohen war und bis zu seinem Tod lebte. Am Montag wurde das Werk „Madonna im Wald„, auch „Hegau-Madonna“genannt, der Otto-Dix-Stiftung übergeben: Der SÜDKURIER hat den Ankauf unterstützt.

Außergewöhnlich ist das Werk, weil sich seine politische Dimension erst bei näherer Betrachtung und Berücksichtigung des historischen Kontexts enthüllt. Abseits der strahlenden Madonna ist nämlich ein Esel zu entdecken: Ein alter Mann hebt gerade einen großen Beutel von seinem Rücken, sendet der jungen Mutter besorgte Blicke zu. Was hat das zu bedeuten?

Es ist unverkennbar, dass Otto Dix auf die biblische Erzählung von der Flucht nach Ägypten zurückgreift. Die Rast der heiligen Jungfrau Maria ist ein beliebtes Motiv in der Kunstgeschichte, Maler wie Rembrandt, Lucas Cranach der Ältere und Caravaggio haben sich von ihm inspirieren lassen. Doch es sind meist südliche Landschaften, die wir auf ihren Bildern sehen – nicht den Hegau mit dem Hohentwiel.

Kriegsgefangene auf der Flucht

Um zu verstehen, was Otto Dix bewogen haben mag, das klassische Motiv ins Südbadische zu verlegen, bietet sich ein Blick auf die Verhältnisse der Entstehungszeit dieses Werks an. Wie das Jahr von Christi Geburt, so war auch 1943 ein Jahr der Flucht: Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, politisch Verfolgte und natürlich auch Juden versuchten, der Verfolgung durch Gestapo SS zu entkommen. Die Schweiz war ein begehrtes Ziel, wer es über die Grenze schaffte, war gerettet.

Netzwerk der Helfer

Das Gottmadinger Ehepaar Elise und Josef Höfler hatte gemeinsam mit der Berlinerin Luise Meier zu diesem Zweck sogar ein Netzwerk aufgebaut: Zwei dutzend Juden konnten dank ihrer Hilfe die Naziherrschaft überstehen. Waren es also die vielen Flüchtlinge auf ihrem Weg durch den Hegau, denen Dix hier ein Werk von solch religiöser Ausdruckskraft widmete?

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Die Antwort kennen wir nicht. Und so nahe sie auch zu liegen scheint: Vorsicht ist geboten. Der Maler könnte auch sein ganz persönliches Schicksal verarbeitet haben: Schließlich war er selbst einst geflüchtet, wenn auch bereits 1933, als die Nazis gleich nach der Machtergreifung mit ihrem Zerstörungswerk im deutschen Kunstbetrieb begannen.

Otto Dix (1891-1969).
Otto Dix (1891-1969). | Bild: Rolf Kruse

Dix verlor seine Professur an der Akademie in Dresden, sein Haus in Düsseldorf wurde zwangsversteigert. Seine Werke zählten zu den Exponaten der NS-Propagandaschau „Entartete Kunst“, was einer Erklärung zur Persona non grata gleichkam. Dem Künstler blieb also gar nichts anderes übrig, als sich in eine innere Emigration zurückzuziehen.

Das Museum Haus Dix in Hemmenhofen: Hier überstand der Maler die Nazizeit.
Das Museum Haus Dix in Hemmenhofen: Hier überstand der Maler die Nazizeit. | Bild: Tesche, Sabine

Kritiker sagen, er habe mit seiner Entdeckung christlich religiöser Symbolik bloß auf eine veränderte Auftragslage reagiert: Geld sei nur noch bei einer frommen Klientel zu holen gewesen. Gegen diese These spricht, dass er dieser Thematik auch nach seiner Rehabilitation in der Nachkriegszeit treu geblieben ist. Im Gegenteil: Mit seinen Bildern im Stil der alten Meister schwamm er in einer Zeit, die ganz auf abstrakte Kunst setzte, bewusst gegen den Strom. Auf dem Kunstmarkt der jungen Bundesrepublik hatte der einst gefeierte Maler deshalb kaum mehr eine Chance.

Malutensilien von Otto Dix in seinem Atelier.
Malutensilien von Otto Dix in seinem Atelier. | Bild: Tesche, Sabine

Das südbadische Publikum erhält nun selbst die Gelegenheit, über die Intention der geheimnisvollen Hegaumadonna zu spekulieren. Im Museum Haus Dix wird das Bild einen festen Platz bekommen. „Es wird oben im Atelier hängen“, sagt der Geschäftsführer der Otto-Dix-Haus-Stiftung, Wolfgang Kramer.

„Erstens ist es dort auch entstanden, und zweitens herrschen in diesem Raum die besten konservatorischen Bedingungen“, fügt er hinzu. Gerade im Sommer ist das Dix-Haus stark frequentiert: Der Besucherstrom erschwert das Ausstellen empfindlicher Originale.

Familie aus dem Landkreis

Und woher kommt nun das gute Stück? Wo ist es all die vielen Jahre verblieben? Kramer hält sich bedeckt: Bei den bisherigen Besitzern handele es sich um eine Familie aus dem Landkreis. Sie habe es damals direkt vom Künstler erworben.

Das war nach dem Krieg durchaus üblich: Dix bezahlte nach dem Krieg so manche Handwerkerrechnung mit Bildern. Wie viele Handwerkerrechnungen sich heute mit diesem Werk bezahlen ließen, ist nicht bekannt. Landrat Frank Hämmerle erklärte, ein hoher fünfstelliger Betrag sei für den Erwerb fällig gewesen.

Günstiger Preis

Kramer selbst will lediglich verraten, dass die Besitzer der Stiftung weit entgegen gekommen seien, weil sie selbst das Bild wieder an seinem Entstehungsort sehen wollten. „Von uns konsultierte Fachleute kamen bei der Begutachtung auf ein Vielfaches des Preises.“