Dieser deutsche Blondschopf! Kein Fettnäpfchen lässt er aus und viele Finger zeigen auf ihn: „Du!“ Und tatsächlich, ein große Farbgrafik, gleich um die Ecke im zweiten Stock zieht wortlos ein bestürzendes Resümee: von der Überschwemmung fort gerissene Häuser und Autos treiben im grünen Fluss, tote Fische liegen obenauf, ein Chemiefass schwimmt dahin, beim Ufer stochert ein schwarzer Vogel angezählt im Gefieder, während die kahlen trockenen Böden rot im Feuer schimmern, das Bäume verbrennt. Fest auf ihrem Grund stehen dagegen zwei Fabrikschornsteine und ragen hoch aus dem grünen Fluss, ihre Schlote bleiben im Angesicht der Katastrophe aktiv.
Besagten Blondschopf zeigt die Grafik in Rückenansicht im schwarzen Anzug, seine Arme hat er hinter seinem Kopf verschränkt. Die bildlich auf dem Anzug sichtbar gemachten Indizien der Katastrophe scheinen ihm nichts anzuhaben. Beim Anblick des schwarzen Vogels in der Grafik übrigens mögen ältere Besucher unweigerlich auch an das Plakat „Der Ölprinz“ (1982) von Klaus Staeck denken. Umweltverschmutzung war allerdings schon davor ein großes Thema.
Vier Jahre nach seiner Gründung veröffentlichte der „Club of Rome“ 1972 seinen Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ zur Lage der Menschheit, der Erde und ihrer Ökosysteme. Mit seiner Sendereihe „Stirbt unser blauer Planet“ erinnerte Physikprofessor Heinz Haber 1974 im damals noch bescheidenen deutschen Kanalfernsehen in regelmäßigen Episoden an weitere Kernthemen des Planeten Erde, unsere einzige Heimat, so auch an Hunger und Bevölkerungsexplosion.
Die Themen von damals: haben sie sich verändert? Die Farbillustration über das Sterben im Rücken des weltbekannten Blondschopfs mit deutschen Wurzeln kommt ohne Text aus und datiert auf 2018. Inhaltlich scheint ihre Botschaft eindeutig zu sein – die Ignoranz, auf die sie trifft, leider auch. Mutmaßlich handelt es sich bei „Blondie“ um den derzeitigen Präsidenten der USA, Donald Trump.
Als Auftragsarbeit wurde diese Illustration, die von Ellen Weinstein aus New York stammt, letztes Jahr in der Washington Post abgedruckt. Zusammen mit grafischen Werken weiterer Künstler ist das besprochene Exemplar Teil einer mehrere Dutzend Illustrationen zählenden Ausstellung im Turm zur Katz. Erstmals ist dort, verteilt über drei Stockwerke, „ILLOKONSTANZ“ zu sehen.
Inhaltlich stellt „ILLOKONSTANZ“ ein Aufeinandertreffen unterschiedlicher historischer, gesellschaftlicher, sozialer, menschlicher und ökologischer Themen dar, die aus verschiedenen Blickwinkeln mit den technischen Möglichkeiten und veränderten Konzepten der heutigen zeitgenössischen Illustration artikuliert und vermittelt werden. Dafür haben die beiden Projektleiter Anna Martinez Rodriguez, Kuratorin des Turm zur Katz, und Thilo Rothacker, Professor für Illustration im Fachbereich Kommunikationsdesign an der HTWG (Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung) in Konstanz, mit Ellen Weinstein (New York), Marc Burckardt (Houston), Gary Taxali (Toronto), Greg Mably (Toronto) und Thomas Fuchs (Berlin) international herausragende Vertreter der zeitgenössischen Illustration eingeladen. Außerdem nimmt Thilo Rothacker daran teil; als Illustrator hat er sich international bereits einen Namen gemacht, lange vor seiner Professur in Konstanz (seit 2010).
So sind von ihm in zwei größeren gemischten Ensembles jeweils am Ende der zweiten und dritten Etage signifikante Werke zu sehen, etwa der personifizierte Tod im grauen Anzug, Augenhöhlen und Nasenöffnung werden durch ein übergroßes Prozentzeichen gebildet. Oder das feiste rosa Schweinchen, das selbstzufrieden in den Handspiegel grinst, der Betrachter erblickt im Spiegel statt Gesichtszüge eine Wurst. Auf einem anderen Bild greift die zur Hand verlängerte Krawatte eines Mannes in die Handtasche einer Frau: ob die Illustration damit ihren Bezug auch ohne Worte zum deutlichen Lohngefälle zwischen Männern und Frauen bei gleicher Arbeit nimmt? Beide Figuren sind stilisiert und ohne Gesicht dargestellt. Andere Optionen?
Tendenz zum Werbeplakat
Abgesehen von Taxalis Illustrationen, die in ihrer sequenzartigen Machart im Cartoon-Stil und mit einzelnen Textfragmenten versehen „eine leichte Tendenz zum frühen französischen Werbeplakat der 1920er Jahre haben“, wie Kuratorin Anna Martinez findet, verzichten die übrigen Illustrationen weitgehend auf Text.
Wozu auch? Einzeln herausgestellte und manchmal erst auf den zweiten Blick sichtbare kleinere Bildelemente drücken die allein bildlich vermittelte Botschaft deutlich genug aus. Und nach dreimal aufmerksamen Umschauens können die gezeigten Werke außerdem auch ohne Begleittexte zur Ausstellung namentlich und fast vollständig zugeordnet werden; schnell ist eine persönliche Handschrift ersichtlich. Der allgemeine Textverzicht sowie die augenscheinliche Tendenz in den Bildkompositionen nach Akzentuierung, Konzentration und Reduktion sind weitere gemeinsame Merkmale der präsentierten Werke.
Surreal und Fantastisch
Allerdings besteht auch hier eine Abweichung: in seinen surrealen und fantastischen Illustrationen mit ihren zahlreichen und erzählenden Bildelementen bevorzugt Marc Burckhardt ausdrücklich eine grafisch angereicherte, eher dichte Bildsprache. So vermag sie ebenso zu erzählen – wie in seinen gruselig ausgeschmückten Illustrationen zu „Dantes Inferno“ – oder mit Witz und Ironie knapp und treffend zu überraschen, wie zum Beispiel mit dem Reiter im Sauriermaul, dem Pferd im Pferd oder der Pflanzenarche mit geschickt im Hintergrund platzierten Fabrikschloten.
Und ein „Aber“ zur „Wortlosigkeit“. Einige der Illustrationen, die grundsätzlich keine Textkörper aufweisen, sind Auftragsarbeiten zu einem vorgegebenen Thema und kommen so in Zeitungen und Magazinen am Ende wieder mit Text zusammen. Auch dafür hält die Ausstellung in Vitrinentischen Beispiele bereit.
Bis 17. November 2019. Öffnungszeiten: Di – Fr 10 – 18 Uhr, Sa und So 10 – 17 Uhr. Mit Begleitprogramm. Weitere Informationen: http://www.konstanz.de