Als die Welt noch in Ordnung war und der Schweizer Franken weniger wert als die Deutsche Mark (Gott hab‘ sie selig), da stürmten die Deutschen über die Grenze, um in der Schweiz Kaffee, Zigaretten und andere überlebenswichtige Güter zu kaufen. Am 1. August herrschte dann Frust: Ups, alle Läden geschlossen, keine klingelnden Kassen, was ist denn mit den Eidgenossen los?

Ganz einfach: Der Schweizer Nationalfeiertag war los, erstmals 1891 gefeiert und seit 1994 schweizweit arbeitsfrei. Weil das so ein Deutscher nicht wissen kann, informiert das deutsche Fernsehen immer mal wieder über die Schweiz, wenn es nichts anderes zu tun hat.

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Erste Sendung: „Das archaische Leben auf der Alp.“ Zweite Sendung: „Fasnachtsbräuche.“ Dritte: „Ur-Musig aus der Innerschweiz.“ Vierte: „Moderne Alphorn-Klänge.“ Und so weiter.

Was fällt an diesem Schweiz-Bild auf? Rein gar nichts. Und genau das ist es. Die Schweiz bleibt Schweiz und vor allem Deutschschweiz. Dass es hierzulande ein Tessin und eine Romandie gibt, findet selten Erwähnung, aber das ist auch bei Deutschschweizer Medien so.

Von wegen Heidiland

Im deutschen Fernsehen bleibt die Schweiz ein Heidiland, fabrikfrei und bankenlos, verteidigt von Wilhelm Tell. Da darf sich der Deutsche freuen: Von den Schweizern droht Konkurrenz allerhöchstens in der Disziplin des Armbrustschießens. Womit wir, hier geht halt alles etwas langsamer, endlich beim Thema wären: Wilhelm Tell.

Jedes Volk hat die Nationalhelden, die es verdient. Österreich hat Mozart, Arnold Schwarzenegger und Sebastian Kurz. Deutschland hat absolutes Heldenverbot wegen eines Österreichers.

Gab es Wilhelm Tell überhaupt?

Die Schweiz bleibt konsequent neutral, sie hat Wilhelm Tell, also gar keinen leibhaftigen Helden. Regelmäßig verblüffen die Medien mit dem Schocker: Wilhelm Tell ist nie gestorben, weil er nie gelebt hat. Echt jetzt? Die Basler Tell-Spezialistin Barbara Piatti setzt noch eins drauf: Weder war Tell beim Rütlischwur noch war Schiller je in der Schweiz, sogar die hohle Gasse ist ein Fake.

Aber natürlich, der Mythos lebt und ist politisch vielseitig einsetzbar. Die Spannbreite ist enorm: General Guisan versammelte 1940 die Armeeführung auf dem Rütli, der damalige Bundesrat Moritz Leuenberger holte 2001 den schwulen Männerchor Zürich aufs Rütli zu Václav Havels Staatsbesuch.

Na dann, guten Appetit!

So ändern sich die Zeiten und die Sitten. Der sympathische Schriftsteller Peter Stamm findet es sympathisch, dass der Wilhelm Tell den Hermann Gessler nicht aus höheren Gründen erschießt. Sondern nur, um die eigene Familie zu schützen. So ergehe es allen Völkern. Stamm: Im Grunde habe der Mensch „keinen Drang zum Heldentum, sondern zum Abendessen mit der Familie“. Bon appétit, buon appetito.