„Schweizer halten sich leider für etwas Besonderes.“ Das sagt nicht etwa ein Deutscher, der sich vom Einkaufstourismus geplagt sieht. Mit Hubert Baumgartner sagt das ein Schweizer.

Banken und Gewehre

Der Geschäftsführer einer Unternehmensberatung ist Regionalleiter des Swiss-German-Clubs für die eidgenössische Bodensee-Region und macht einen Minderwertigkeitskomplex seiner Landsleute gegenüber den deutschen Nachbarn aus. Verantwortlich für diese Selbstwahrnehmung sei seiner Meinung nach „diese hochgehaltene Neutralität“. Dazu gesellen sich laut Baumgartner „das frühere Bankgeheimnis, der Irrglaube, wir hätten eine Sonderstellung und der Umstand, dass früher jeder ein Gewehr zu Hause hatte“.

Um seine Worte einzuordnen, bedarf es eines Rückblicks.

Zu viele Deutsche

2012 sorgte Natalie Rickli, Nationalrätin der Schweizerischen Volkspartei (SVP), in einem TV-Interview für Aufsehen. 280.000 Deutsche seien zu viele für ihr Land, sagte die heute 42-jährige Abgeordnete der rechtspopulistischen und nationalkonservativen Partei. Wenige Zeit später ergänzte sie: Um den einzelnen Deutschen gehe es nicht, sie störe sich vielmehr an der Masse. Immerhin jeder dritte Befragte in einer Umfrage der Schweizer Boulevard-Zeitung „Blick“ stimmte dieser Aussage damals zu.

Bild 1: Die Grenzen zur Schweiz sind vor über zehn Jahren verschwunden. Aber was ist mit den Grenzen in unseren Köpfen?
Bild: Roth

„Rickli und Co.“, so sieht es der grenzübergreifende Netzwerker Hubert Baumgartner, „sehen Fremde nicht als Bereicherung, sondern als Bedrohung“. Das seien keine Einzelmeinungen, sagt Baumgartner.

Und bei uns?

Diesseits der Grenze erlebe er eine solche Haltung nicht. „Meist werden wir mit offenen Armen empfangen. Man ist erfreut darüber, wenn man sich mit uns austauschen kann“, sagt der Schweizer über die Deutschen.

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Bei diesen Worten scheint es schwer vorstellbar, dass sich die Menschen im Landkreis aufregen: über Staus in den Innenstädten, lange Schlangen an den Kassen beim Einkaufen oder dreistes Verhalten auf der Straße. Gerne schallt es dann: „Typisch Schweizer, muss man ja nur aufs Autokennzeichen schauen!“

Händeschütteln für zehn Jahre Schengen

Sechseinhalb Jahre nach Natalie Ricklis Provokation geben sich Uli Burchardt, Oberbürgermeister von Konstanz, und sein Kreuzlinger Amtskollege, Stadtpräsident Thomas Niederberger, symbolisch die Hand. Grenzüberschreitend, im buchstäblichen Sinn. Die beiden Stadtoberhäupter stehen Mitte Dezember 2018 bei klirrender Kälte an der sogenannten Kunstgrenze.

In dieser Zone direkt am Ufer des Bodensees ist von Schlagbäumen oder Zäunen schon lange nichts mehr zu sehen. Burchardt und Niederberger feiern – gemeinsam mit Beamten der Bundespolizei und des eidgenössischen Grenzwachtkorps – den Beitritt der Schweiz zum Schengen-Raum der Europäischen Union zehn Jahre zuvor. Für die Bürger beider Länder bedeutete dies: Sie mussten sich beim Grenzübertritt nicht mehr ohne konkreten Verdachtsfall ausweisen.

Thomas Niederberger sagt: „Unser Lebensraum kennt keine Grenzen.“ Für Uli Burchardt ist die geöffnete Grenze ein Zeichen gegen den grassierenden Abschottungsgedanken in Europa: „Deshalb ist es wichtiger denn je, daran zu erinnern, wie und warum wir diese Grenze öffneten.“

Vertrauen und Verlässlichkeit

Reiner Horlacher ist Mitglied der Geschäftsleitung für das Bodensee Standort Marketing. „Für die Wirtschaft“, erklärt er, „sind nationale Egoismen nie zielführend“.

Bei Gesprächen mit deutschen wie Schweizer Geschäftsleuten werden ihm bei der Zusammenarbeit meist zwei Vorteile genannt: Vertrauen und Verlässlichkeit. „Das ist in der Wirtschaft ein Pfund, mit dem Angebote aus weit entfernten Ländern erst einmal mithalten müssen.“

Doch nicht nur Wirtschaft und Politik haben vom symbolischen Wegfall der Zäune und Schranken profitiert, erklärt der Netzwerker zwischen Deutschen und Schweizern, Hubert Baumgartner. Er zählt auf: Touristen müssten dank Schengen-Abkommen bei Reisen nach Europa keine zusätzlichen Visa für die Schweiz beantragen, in der Forschung seien Wissenschaftler deutlich mobiler geworden.

Woher kommen sie also, die Frotzeleien zwischen Deutschen und Schweizern?

Langsam, spießig, reich und dreist im Straßenverkehr – Deutsche über Schweizer.

Uschaflig (unverschämt), hoffärtig (arrogant), und immer ulydig (missmutig) – Schweizer über Deutsche.

Marc Helbling hat eine mögliche Deutschenfeindlichkeit in der Schweiz wissenschaftlich untersucht. Die Ergebnisse hat der Schweizer Sozialforscher, der in Berlin arbeitet, in einer Studie zusammengefasst.

Deutsche seien, im Vergleich zu anderen Westeuropäern – zum Beispiel aus Frankreich oder Italien – deutliche unbeliebter im Nachbarland. Darauf ließe zumindest eine Umfrage in Zürich schließen, die Helbling auswertete.

Seine Studie lässt aber Spielraum für eine versöhnliche Interpretation. So nennt er als eine Ursache für die mögliche Ablehnung von Deutschen unter Schweizern: Die beiden Länder seien sich eben ziemlich ähnlich – Konkurrenzdenken bleibt da wohl nicht aus.