Manche sind so klein, dass niemand weiß, wo sie überhaupt liegen. Andere wieder hat längst der Erdboden verschluckt. Und wieder andere hat es nie gegeben. Sie heißen „Buxtehude“, „Gomorrha“ oder „Wolkenkuckucksheim“: Orte, die das große Glück hatten, fester Bestandteil unserer Sprache zu werden – ohne dass wir überhaupt wissen warum. Der Autor Rolf-Bernhard Essig hat sie zusammengetragen („Ich kenn doch meine Pappenheimer! Wunderbare Geschichten hinter sprichwörtlichen Orten“, Duden-Verlag). Im Folgenden eine kleine Auswahl:
- Hornberg: Wissen Sie eigentlich, wie das Hornberger Schießen ausgegangen ist? Nein? Das ist schlecht. Denn oft genug wird ihnen schon die Redewendung „Das ist ausgegangen wie das Hornberger Schießen“ über den Weg gelaufen sein. Und jedes Mal glaubten Sie zu wissen: Da ist etwas so richtig schön in die Binsen gegangen. Vielleicht simmte das aber nie. Denn um das beurteilen zu können, müsste man ja wissen, wie dieses ominöse Hornberger Schießen denn nun tatsächlich ausgegangen ist. Das Problem: Es weiß niemand! Von der Geschichte gibt es gleich drei Versionen.
Version Nummer eins: Irgendwann im 16. Jahrhundert hat sich der Herzog zu Besuch angekündigt. Und weil sich die cleveren Hornberger gut mit ihm stellen wollten, sorgten sie für einen gebührenden Empfang. Und so schossen die Kanonen beim Eintreffen des Herzogs Salut, dass es nur so krachte. Bloß war es leider gar nicht der Herzog, der da eintraf, sondern nur seine Vorhut. Und als wenig später tatsächlich der Herzog persönlich kam, war das Schießpulver schon leer.
Version Nummer zwei: Eines Tages im 17. Jahrhundert luden die Hornberger zum großen Schützenfest ein. Dumm nur, dass sie vergaßen, das Schießpulver zu besorgen – als Gastgeber wären sie dafür zuständig gewesen.
Version Nummer drei: Nun wieder im 16. Jahrhundert griffen Soldaten aus Villingen die Stadt Hornberg an. Deren Verteidiger feuerten aus allen Rohren, allerdings ohne Sinn und Verstand – kaum eine Kugel erreichte ihr Ziel.
- Pappenheim: Seine Pappenheimer sollte nun wirklich jeder kennen. Die wenigsten allerdings kennen ihre Herkunft. Pappenheim liegt im mittelfränkischen Altmühltal und zählt heute gerade einmal 4000 Einwohner. Wie viele es zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges waren, ist nicht bekannt. Fest steht, dass einer davon ein für seine Kaltschnäuzigkeit berühmter Reichserbmarschall war.
In Schillers Tragödie „Wallensteins Tod“ schickt dieser Mann seine Kürassiere zum Feldherrn Wallenstein: Sie sollen ihn persönlich auf Gerüchte ansprechen, wonach er heimlich Verhandlungen mit den feindlichen Schweden führe. Wallenstein gefällt diese direkte Art außerordentlich, zeigt sie ihm doch, dass der Reichserbmarschall aus Pappenheim offenbar ihm mehr Glauben schenkt als den Verleumdern. „Daran erkenne ich meine Pappenheimer“, sagt er und will das als Lob verstanden wissen. Seither ist diese Wendung so oft ironisch gebraucht worden, dass man heute statt des Lobs eher eine kritische Intention heraushört.

- Bodensee: Die Geschichte vom Ritt über den Bodensee geht auf ein Gedicht zurück. Es heißt „Der Reiter und der Bodensee“, wurde 1826 veröffentlicht und stammt von Gustav Schwab. Da reitet ein Mann im Winter bei Nebel durch den schneebedeckten Hegau. Sein Ziel: der Bodensee. Er will noch rechtzeitig die Fähre erreichen, die ihn ans andere Ufer bringt. Und so reitet er und reitet und reitet. Immer nur Nebel, immer nur Schnee, wann kommt er bloß endlich an? Endlich sieht er Häuser, an einem Fenster schaut ein Mädchen heraus. Er fragt es: „Willkommen am Fenster, Mägdelein, an den See, an den See, wie weit mags sein?“
Da schaut ihn das Mädchen an, als sei er nicht ganz bei Trost. Der See, sagt sie, liege doch gerade hinter ihm. Herrgott, er wird doch nicht etwa über das blanke Eis ans andere Ufer geritten sein? Da erstarrt der Reiter, wird bleich, fällt tot vom Pferd. Den Ritt über den See hat er überlebt – den Schreck darüber nicht mehr. Seither sprechen wir vom „Ritt über den Bodensee“, wenn wir eine gefährliche Situation gemeistert haben. Anders als der Gustav Schwabs Reiter dürfen wir sie auch ruhig überleben.
- Athen: Ja, auch ausländische Städte haben sich in unsere Redensarten eingeschlichen. Wer etwa Eulen nach Athen trägt, der könnte ebenso gut Weißwürste nach München oder auch Peter-Lenk-Skulpturen in den Bodenseeraum bringen. Aber in Athen gibt es doch gar nicht so vielen Eulen?
Heute vielleicht nicht. Zu Zeiten des antiken Dramatikers Aristophanes aber schon. Die Eule war nämlich Begleittier der Schutzgöttin Athene. Deshalb hielten sich viele Athener zahme Eulen oder stellten sich entsprechende Steinskulpturen ins Haus. Der Ausspruch findet sich übrigens in einer Komödie von Aristophanes. Ihr Name lautet – wie sollte es anders sein: „Die Vögel“.

- Frankreich: Manche Redewendung gilt sogar einem ganzen Land. „Leben wie Gott in Frankreich“ zum Beispiel. Was hat es damit auf sich? Ganz klar liegt der Fall nicht. Lange glaubte man, die Redewendung beziehe sich auf die Französische Revolution und der Entmachtung Gottes. Der habe seither in Frankreich nichts weiter zu tun, als es sich gut gehen zu lassen. Tatsächlich aber findet sich ein ähnlicher Ausspruch bereits in einem bereits lange vor der Revolution erschienenen Buch des Schriftstellers Moritz August von Thümmel. So ist wohl folgendes wahrscheinlicher: Weil geistliche Herren im vorrevolutionären Frankreich besonderen Luxus genießen durften, war wohl der Ausspruch „Leben wie ein Herr in Frankreich“ geläufig. Irgendwann muss jemand den Herrn gleich mit dem Allerhöchsten verwechselt haben: Bis heute ist der Irrtum nicht aufgefallen.
Rolf-Bernhard Essig: „Ich kenn doch meine Pappenheimer! Wunderbare Geschichten hinter sprichwörtlichen Orten“, Duden-Verlag: Berlin 2018, 144 Seiten, 10 Euro.