Josef Tutsch

Eine junge Mutter wiegt ihre Tochter auf dem Schoß, dabei zeigt sie ein charmantes Lächeln, der Mund ist leicht geöffnet. Nach unseren heutigen Vorstellungen ist an dem Selbstporträt, das die Malerin Élisabeth-Louise Vigée Le Brun 1787 im Pariser Salon ausstellte, nichts Aufsehenerregendes – außer eben, dass es brillant gemalt ist.

Aber damals erregte es einen Skandal. „Dass Madame Vigée Le Brun beim Lächeln ihre Zähne zeigt“, zitiert der Londoner Historiker Colin Jones einen Journalisten, „ist eine Affektiertheit, die Künstler, Kenner und Leute mit gutem Geschmack einhellig verurteilen.“ Für eine solche Darstellung würde sich in der Antike, der vorbildlichen Epoche für den guten Geschmack, kein Beispiel finden.

Der ernste Sonnenkönig

„Die Revolution des Lächelns“ hat Jones seine Studie über das Frankreich des 18. Jahrhunderts betitelt. Revolution und Lächeln – zwei Begriffe, deren Zusammenstellung verblüfft. Jones konfrontiert das Selbstporträt von Vigée Le Brun mit dem berühmten Bild, das ihr Kollege Hyacinthe Rigaud 1701 von Ludwig XIV. anfertigte.

Darauf hält er seinen Mund fest geschlossen – er hatte bereits mit etwa 40 keinen einzigen Zahn mehr, was bei dem niedrigen Niveau der Mundgesundheit und Mundhygiene damals völlig normal war, wie Jones feststellt. Der Sonnenkönig hatte aber noch einen anderen Grund, auf dem Staatsporträt seinen Mund nicht zu öffnen: Vornehme Leute taten so etwas einfach nicht – auch dann nicht, wenn ihre Zähne vorzeigbar waren.

Von einem Lächeln keine Spur – Hyacinthe Rigaud malte den Sonnenkönig Ludwig XIV. im Jahr 1701 mit fest geschlossenem Mund. Das Gemälde ...
Von einem Lächeln keine Spur – Hyacinthe Rigaud malte den Sonnenkönig Ludwig XIV. im Jahr 1701 mit fest geschlossenem Mund. Das Gemälde hängt im Pariser Louvre. | Bild: Wikimedia Commons

So stand es 1528 im „Buch vom Hofmann“ des italienischen Schriftstellers Baldassare Castiglione, bis in die Zeit der Aufklärung ein Leitfaden der höfischen Gesellschaft. Castiglione wollte die laute Fröhlichkeit zurückdrängen, wie sie der französische Romancier François Rabelais in „Gargantua und Pantagruel“ zum Ausdruck brachte. Nur das niedere Volk, verkündete er, zeige „nach Art von Narren, Betrunkenen, Dummköpfen, Tölpeln oder Gauklern“ ein wildes Gelächter mit offenem Mund.

Dutzende weiterer Anstandsbücher folgten dieser Maßgabe, zum Beispiel das „Traktat über das Lachen“ (1579) von dem Arzt Laurent Joubert aus Montpellier: Ein ausgelassenes, zwerchfellerschütterndes Lachen mit offenem Mund, bei dem man sich auf die Schenkel schlug, konnte man den breiten Volksmassen vielleicht durchgehen lassen. Aber es war unter der Würde eines Höflings. Zur Zeit des Sonnenkönigs verkündete Kunsttheoretiker André Félibien: „Das Lachen variiert je nach gesellschaftlicher Stellung.“

Colin Jones' Buch "Die Revolution des Lächelns. Ein Lebensgefühl im 18. Jahrhundert" (Reclam-Verlag Stuttgart, 325 Seiten, 46 ...
Colin Jones' Buch "Die Revolution des Lächelns. Ein Lebensgefühl im 18. Jahrhundert" (Reclam-Verlag Stuttgart, 325 Seiten, 46 Abbildungen, 34 Euro) erklärt, warum auf Gemälden lange Zeit so wenig gelächelt wurde. | Bild: Reclam-Verlag

Jones macht darauf aufmerksam, dass damals zwischen Lachen und Lächeln kaum unterschieden wurde: Auch ein Lächeln galt nur dann als anständig, wenn die Lippen geschlossen blieben. Wenn Gott gewollt hätte, dass die Zähne zur Schau gestellt würden, hätte er den Menschen keine Lippen gegeben, argumentierte 1703 der Geistliche Jean-Baptiste de La Salle.

Erlaubt war ein Lachen oder Lächeln als Ausdruck intellektueller und sozialer Überlegenheit – da war es nur konsequent, dass es sich auch im Ausdruck von der verachteten Kultur des Volkes unterscheiden musste. Begünstigt wurde die Entwicklung zur Ernsthaftigkeit durch den Umstand, dass König Ludwig XIV. mit fortschreitendem Alter zum Trübsinn neigte. Die Höflinge versuchten, seinem Beispiel zu folgen.

Nach Trübsinn kommt Heiterkeit

Nach dem Tod des Königs 1715 änderte sich das. Sein Neffe Philippe d’Orléans, der für den minderjährigen Ludwig XV. die Regentschaft übernahm, zog von Versailles nach Paris und pflegte dort eine „urbane Geselligkeit“. Voltaire idealisierte diesen Wandel: „Nach den trübseligen letzten Jahren von Ludwig XIV. verwandelte sich alles in Fröhlichkeit und Spaß.“ Während unter dem Sonnenkönig der spöttische, nahezu aggressive „Scherz“ regierte, so Jones, wurde die Zeit danach durch Heiterkeit bestimmt – für die Spitzen der Gesellschaft, die es sich leisten konnten.

Nachdem der Regent 1723 gestorben war, kehrte Ludwig XV. zum Stil seines Urgroßvaters zurück. Doch es zeigte sich, dass die Pariser Gesellschaft sich längst in eine andere Richtung entwickelte als der Hof. Vielleicht noch früher als beim Lachen und Lächeln wurde das beim Weinen deutlich.

Lächeln unter Tränen

1723 wurde am Theâtre Français die Tragödie „Inès de Castro“ uraufgeführt. An einer Stelle fingen sämtliche Darsteller auf der Bühne zu weinen an, und „das gesamte Publikum ließ seinen Tränen freien Lauf“. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die Kombination von Weinen und Lächeln, das „Lächeln unter Tränen“, zum repräsentativen Gefühlsausdruck.

Dabei wurde es Mode, die Zähne sehen zu lassen. Die Zahnärzte in Paris erlebten einen Aufschwung – umgekehrt machten sie es überhaupt möglich, dass sich die neue Mode verbreiten konnte. Nur der Hof von Versailles fiel aus seiner Zeit. Königin Marie-Antoinette ließ sich immer wieder porträtieren, doch immer blieben ihre Lippen geschlossen.

Nur Kontrarevolutionäre lächeln

Der politischen Revolution von 1789 ging eine „Revolution des Lächelns“ voraus, schreibt Jones. Aber sie blieb flüchtig. Unter der Herrschaft der Jakobiner verbreitete sich ein Misstrauen gegen jedes öffentliche Lächeln: „Die Heuchelei lächelt, die Unschuld trauert.“ Wenn jemand vor Gericht und womöglich noch im Angesicht der Guillotine lächelte, galt das als sicheres Zeichen kontrarevolutionärer Gesinnung.

Auch unter Napoleon gab es keine Rückkehr zum Lächeln: Es passte nicht zum heroisch-theatralischen Stil des Regimes. „Erst im 20. Jahrhundert sollte das Lächeln ein spektakuläres Comeback erleben“, schreibt Jones. Wegweisend dafür dürfte die Großaufnahme im Film gewesen sein. Zunächst waren es eher Frauen, die Zähne sehen ließen, ab etwa 1940 begannen auch männliche Stars damit – das „amerikanische Lächeln“ samt „amerikanischen Zähnen“ wurde zum weltweiten Standard.