300 Koalitionsverhandler geben alles, volle Kraft für eine neue Regierung. Volle Kraft auch für Angela Merkel. Wenn es gut läuft, verbringt sie die Weihnachtsfeiertage in der heimatlichen Uckermark, vielleicht in ihrer Datsche, statt mit der Aufzeichnung einer weiteren Neujahrsansprache.

Soll doch der Nächste den Menschen gut zureden in der andauernden Krise. Schon vor der Wahl sagte Merkel über ihre Pläne nach der Kanzlerschaft: Versuchen zu lesen, dabei vor lauter Müdigkeit einschlafen, „und dann schauen wir mal“.

Spannend klingt das nicht, aber man nimmt es dieser Frau sofort ab. Mal schauen, es eher gelassen und bieder angehen, das zieht sich durch 16 Jahre Kanzlerinnenschaft. Wie kann eine solch mächtige Frau, wahrscheinlich die mächtigste der Welt, nur ein solch langweiliges Leben führen? Das tut sie zweifellos nicht. Aber es ist Teil ihrer Inszenierung, deren Erfolg mehr über die Menschen im Land als über sie selbst aussagt.

Wir schaffen das? Ihr schafft das!

Spötter sagen: Das Nichtstun habe sie mehr ausgezeichnet als das Zupacken. Das ist freilich Quatsch, Angela Merkel war und ist sicher nicht arbeitsscheu. Aber hat man sie jemals beherzt oder energisch erlebt? Selbst einer ihrer legendärsten Sätze – „Wir schaffen das!“ – war ehrlicherweise ein Auftrag: Ihr schafft das, ihr Kommunen, ihr Vereine, ihr Bürger.

Den Wählern vermittelt sie mit ihrem bodenständigen Habitus: Ich bin eine von euch. Ich kaufe im Supermarkt bei mir um die Ecke ein, lasse mich mit Otto-Normal-Produkten im Einkaufswagen wie zufällig fotografieren; als Urlaub reicht die Wanderung in Tirol, ich trage dort sogar dieselben grausigen Outdoor-Kleider, für die Deutsche weltweit bekannt sind.

Höchstens mal im Kleid bei den Bayreuther Festspielen

Unvergessen bleiben Diskussionen um ihren Stil, wegen dessen Fehlens ihr das Zeugs zur CDU-Chefin, geschweige denn zur Kanzlerin abgesprochen wurde. Dabei war der gewünschte Nebeneffekt doch auch immer: Es gibt Wichtigeres als meine Frisur oder meine Kleidung.

Welch Unterschied zu den vielen – mehrheitlich männlichen – Politikerkollegen, die sich genau andersherum darstellten. Die hochgekrempelten Ärmel müssen es mindestens sein. Ihr direkter Vorgänger ließ sich, Sozi hin oder her, mit teurer kubanischer Zigarre und italienischem Edel-Kaschmiranzug in Szene setzen. Bei Angela Merkel waren die Paparazzi schon froh, wenn man sie in Bayreuth mit leuchtendem Kleid statt Hosenanzug im Pastellton ablichten konnte.

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dpatopbilder – 23.09.2021, Mecklenburg-Vorpommern, Marlow: Angela Merkel (CDU), Bundeskanzlerin, füttert australische Loris im Vogelpark Marlow und wird dabei gebissen. Foto: Georg Wendt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Bild: Georg Wendt

Dass sich hinter der vermeintlich langweiligen und biederen Frau Doktor (einmal wissenschaftlich, 19-mal ehrenhalber) Merkel eine lustige Angela verbirgt, blitzte erst zum Ende ihrer Amtszeit durch. Schon jetzt ist das Bild der kreischenden Kanzlerin aus dem Marlower Vogelpark eine Ikone. Wer musste nicht darüber schmunzeln, als sie ihrem Wahlkreis „noch mal Arrivederci“ sagen wollte und überraschend auf dem Wochenmarkt in Greifswald auftauchte?

Scholz als logische Fortsetzung von Merkel

Wie sehr Deutschland sich an trutschige wie ernsthafte Beständigkeit gewöhnt hat, beweist das Wahlergebnis. Mit Olaf Scholz zöge nicht etwa ein zweiter, impulsgetriebener Gerhard Schröder mit Hang zum Poltern ins Kanzleramt. Sondern ein Mann, bei dem man schon froh wäre, wenn seine Mimik so viel hergäbe, wie die berüchtigten Merkel‘schen Mundwinkel.