Im Deutschen gibt es kaum einen Satz, der schöner ist. Fünf magische Wörter. Nein, nein, nicht „Ich liebe dich“, das sind nur drei – und der Satz hat ja längst nicht jedem Sprecher und Zuhörer das Leben leichter gemacht. Ganz im Gegensatz zum tatsächlich gemeinten Ausspruch: „Ich kenne hier den Wirt.“ Oh, es ist der Schlüssel zu einer Wunderwelt. Er garantiert netten Empfang, guten Tisch, vielleicht noch eine Spezialität, die auf der Speisekarte gar nicht auftaucht, und im Zweifel, klar, einen Espresso aufs Haus.

Wer den Wirt kennt, dem kann es nicht schlecht ergehen. Doch leider gibt es immer weniger Wirte und Wirtinnen, die man überhaupt kennen könnte, zumindest auf dem Land. Wo einst drei, vier Wirtshäuser standen, gibt es heute teilweise gar keines mehr. In Dutzenden Orten in Baden-Württemberg ist das mittlerweile so, zeigte vor Kurzem eine Dehoga-Auswertung. Die Gründe sind bekannt – nicht unbedingt ausbleibende Kundschaft, sondern Personalmangel und Preissteigerungen.

Ein Imbiss ersetzt kein Restaurant

Bezeichnend sind die Folgen. Selbst aus gastronomisch vollständig verwaisten Regionen sind keine Berichte überliefert, wonach Menschen in der Folge verhungert oder verdurstet wären.

Wohl aber ist bekannt, dass Menschen in der Folge einsamer geworden sind – weil der Kegler-Stammtisch nicht mehr existiert, weil die Landfrauen-Runde keinen Treffpunkt mehr hat. Gastwirtschaften sind mehr als Essensräume, Wirte mehr als Nahversorger, es geht vielmehr um seelische als rein um körperliche Nahrung. Deswegen ersetzt ein Imbiss auch kein Restaurant.

Berater, Seelsorger, Freund

Der Wirt und die Wirtin haben dabei einen großen Vorteil – zumindest für die Gäste. Während etwa der Bäcker gleich einen ganz anderen Lebenstakt hat als seine Kunden, der Metzger eher hinten in der Wurstküche steht, arbeitet der Wirt exakt dann, wenn seine Gäste da sind (und noch länger). Das Geschehen läuft radial auf ihn zu, er ist Berater, Seelsorger, zumindest gefühlter Freund seiner Besucher.

Wie erfüllend es für Wirte selbst ist, an einem Dienstag um 21 Uhr zum vielleicht auch nicht allerersten Mal die Lebensgeschichte ihrer Kunden zu hören, mag sich dagegen von Fall zu Fall unterscheiden. Die meisten anderen Berufstätigen dösen um diese Zeit auf dem Sofa weg, die Wirtin bleibt wach.

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Und man darf ja nicht vergessen: Wir bewegen uns in Deutschland, seit Hunderten von Jahren sehen sich Wirte den Auswirkungen eines Wundergetränks namens Bier ausgesetzt, das sie ausschenken müssen, um zu überleben. Aber sie müssen dann eben auch die so teuflischen Folgen ertragen, die übermäßiger Konsum auf Körper und Geist seiner Konsumenten haben kann. An dieser Stelle sind natürlich auch die Kellnerinnen und Kellner zu erwähnen, die ebenso hart buckeln und ohne die alles eh nicht möglich wäre.

Unsere Gastgeber in Wirtschaften, sie machen einen Knochenjob, einen, der selten reich macht. Kein Wunder, dass sie vom Aussterben bedroht sind. Jeder dritte Euro in der deutschen Gastronomie wird mittlerweile in der Systemgastronomie verdient – sagt jedenfalls der Lobbyverband Bund der Systemgastronomie selbst. In der Systemgastronomie gibt es in aller Regel keinen echten Wirt mehr, es sind oft große Ketten mit einzelnen Filial-Unternehmern.

Die Wirtin der „Turmstube“ in Markdorf, Anita Jegler-Sinzig, zapft ein Pils – und hört sich nebenbei die ...
Die Wirtin der „Turmstube“ in Markdorf, Anita Jegler-Sinzig, zapft ein Pils – und hört sich nebenbei die Lebensgeschichten ihrer Kunden an. | Bild: Toni Ganter

Es ist ja auch erst einmal nichts schlimm daran, dass ich mir zwischen Birkenstämmchen einen immerhin soliden Burger reinstopfe und alles gleich aussieht, ob ich nun in Konstanz oder Cuxhaven sitze. Bin auch absolut fein damit, mir in einem italienischen Fantasie-Ambiente eine wagenradgroße Pizza auf einem zu kleinen Teller servieren zu lassen. Da hatten Leute bestimmt auch schon gute Dates und super Gespräche. Aber eine Heimat, ein Herzensraum? Dazu fehlt die wirtliche Wärme.

Die wiederum strahlt noch eine ganz andere Kategorie von Gastwirten aus: Ddie von Restaurants mit ausländischer Küche. Kennen Sie etwa den italienischen Außenminister? Nein, aber Antonio von der Trattoria nebenan! Oder ist Ihnen der türkische Generalkonsul in Deutschland bekannt? Wohl kaum, dann doch eher Hassan vom Döner-Laden Ihres Vertrauens. Diese Wirte sind die wahrscheinlich machtvollsten Botschafter ihrer Heimat. Kann man ein Land hassen, das einem köstliche Speisen schenkt? Schwerlich.

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Eine gewisse Gefahr darf man zwar nicht verschweigen: Die nämlich, dass Menschen dann denken, dass die Türkei ein Land von Döner-Männern ist, wo es doch genauso auch ein Land von Bilanzbuchhalterinnen, Hochschulprofessoren und Dachdeckern ist wie Deutschland auch.

Und freilich: „Auch Neonazis essen Döner“, wie die Soziologin Maren Möhring einmal im Gespräch mit dem SÜDKURIER sagte. Sie, die sich mit dem Einfluss von Migranten auf die Essgewohnheiten in Deutschland beschäftigt hat, betont aber vor allem, dass Essen eben doch ein Weg ist, wie sich Menschen unterschiedlicher Kulturen begegnen können. Wirtinnen und Wirte im Dienste der Völkerverständigung.

Das Gasthaus als Lebensklammer

Ob heimelige Pizzaofen-Wärme oder holzvertäfelte Gemütlichkeit, unterschätzen darf man die Wirkkraft eines Gasthauses nie. Was für eine Klammer setzt es doch um das eigene Leben, wenn ein Mensch seinen 90. Geburtstag in exakt der gleichen Wirtschaft, exakt der gleichen Wirtsfamilie feiern kann, wo er schon seinen 30. Geburtstag gefeiert hat.

Wo dazwischen kaum zählbare Familienfeste zu Erinnerungen geworden sind, Taufen, Silberne, Goldene, Diamantene Hochzeiten. Wo in diesen Gasträumen so viele Menschen willkommen geheißen wurden in der Familie, wo andere schon für immer verabschiedet werden mussten. Und die Wirte schütteln die alternden Hände, überreichen Sekt und Glückwunschkarten. Dieser Raum ist nicht zu ersetzen.

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Doch wie schaffen wir es, dass die gerade erzählte Geschichte nicht nur die meines Großvaters bleibt, sondern auch die unserer Nachkommen sein könnte? Ja, klar, die Sachseite: Mehrwertsteuer-Vorteile, bezahlbare Energie, verträglicher Mindestlohn, das tagespolitische Klein-Klein. Viel wichtiger: die Anerkennung für diesen Beruf. Immerhin, das dämliche „Wer nichts wird, wird Wirt“, das sagt heute hoffentlich keiner mehr ernsthaft.

Und damit verbunden: Auch nicht auf jede zehn Cent zu schauen, die das Bier nun mehr oder weniger kostet. Nicht, dass man jeden Mist mitmachen müsste, für einen Zwiebelrostbraten, der in Größe, Konsistenz und Farbe an einen alten Bierdeckel erinnert, 50 Euro zahlen müsste. Aber so sind die wenigsten Wirte, viele kalkulieren knapp, weil sie es müssen, damit Kunden kommen. Glauben Sie mir, ich kenne hier den Wirt.