Zwei Kugeln Eis 3,60 Euro. Ein Hefeweizen 5,10 Euro. Abendessen für eine vierköpfige Familie in einem normalen Restaurant ohne Vor- oder Nachspeise: 81,50 Euro. Ganz schön viel Geld, schluckt so mancher Gast. Noch viel zu wenig, um unsere Kosten zu decken, erwidern viele Gastronomen.

Einig sind sich Gast wie Gastronom aber darin: Es hat schon mal mehr Freude bereitet, essen zu gehen oder Essen zu servieren. Damals, in einer Vor-Corona-Zeit, als noch nicht allenthalben das Personal fehlte, die Inflation die Lebensmittel noch nicht so teuer machte und Gasrechnungen nicht für schlaflose Nächte sorgten. Als Gast kann man das Essengehen sein lassen, zu Hause kochen, sein Bier im Supermarkt kaufen. Was aber macht dann der Gastronom?

Guter Service kostet Geld – das Foto zeigt den Außenbereich eines Restaurants.
Guter Service kostet Geld – das Foto zeigt den Außenbereich eines Restaurants. | Bild: Christophe Gateau/dpa

Mehr als 5000 gastgewerbliche Betriebe in Baden-Württemberg haben zwischen 2019 und 2021 dichtgemacht, das ist ein Minus von 18 Prozent. Bleiben trotzdem noch mehr als 25.000 Betriebe, die weitermachen. Weitermachen müssen, weil sie jede Menge Geld in ihr Restaurant gesteckt und Kredite zu tilgen haben. Weil sie Verantwortung für ihre Mitarbeiter tragen, die nicht selten Familienmitglieder sind.

Es sind Menschen, die weitermachen wollen, weil sie schon bei der Berufswahl wussten, dass man in der Gastronomie nicht unbedingt reich wird und familienunfreundliche Arbeitszeiten hat. Die sich aber trotzdem für den Job entschieden haben, weil sie sich keinen besseren vorstellen können. Die auch jetzt nicht ins Jammern verfallen. Und, ja, die sogar noch Geld verdienen.

Nachhaltiges Wirtschaften ist Standard

Nicht selten sind das alteingesessene Familienbetriebe, die seit Generationen leben, was die moderne Arbeitswelt erwartet: mit Familie und Freizeit halbwegs vertretbare Arbeitszeiten. Einen wertschätzenden Umgang. Eine erkennbare Unternehmenskultur. Und vor allem: nachhaltiges Wirtschaften, denn die nächste Generation soll den Betrieb ja möglichst weiterführen. Dabei geht es natürlich auch ums Geld. Aber eben nicht nur.

Antje de Vries, Gesellschafterin des Gastro-Unternehmens F&B Heroes spricht von corporate identity, good vibes, comittment – lauter Begriffe, die im Marketing größerer Firmen längst an der Tagesordnung sind. Was sie damit meint, ist: Das Personal weiß, warum es im Gasthaus „xy“ arbeitet und orientiert sich trotz einer Corona-Krise nicht gleich um. Und der Gast weiß, warum er ins Gasthaus „xy“ geht. Egal, ob das Hefeweizen dort dann 4,20 Euro oder 5,10 Euro kostet.

Ein Paradebeispiel: der „Sternen“ in Mühlhofen

Ein solches Gasthaus findet man beispielsweise in Mühlhofen. Der „Sternen“ ist Hotel-Restaurant, alteingesessener Familienbetrieb, fest im Ort verankert und weit darüber hinaus bekannt. Warum ist das so?

Weil man dort nach einer Beerdigung noch einen Leichenschmaus abhalten kann, bei mitgebrachtem Kuchen. Ein absolutes Verlustgeschäft für jeden Gastronomen. Weil es einen großen Saal gibt für Vereinssitzungen – obwohl Hotelzimmer an gleicher Stelle mehr Geld einbringen würden. Oder weil Töpfchen mit echtem Lavendel auf den Tischen stehen. „Wenn ich mir das nicht mehr leisten kann und Plastikblumen kaufen muss, höre ich auf“, sagt „Sternen“-Wirt Martin Möcking, 45.

Martin Möcking, 45, ist Wirt des „Sternen“ in Mühlhofen.
Martin Möcking, 45, ist Wirt des „Sternen“ in Mühlhofen. | Bild: Sandra Markert

Seit er vor 15 Jahren in den Betrieb seiner Eltern eingestiegen ist, spürt er täglich die Verpflichtung gegenüber langjährigen Gästen und Einheimischen, das aufrechtzuerhalten und weiter zu entwickeln, was die Familie in dem historischen Gasthaus aufgebaut hat. Während der Corona-Lockdowns hatte sein Haus keinen Tag geschlossen („Das hätten wir den Mitarbeitern nicht antun können.“).

Es gab einen Lieferservice und ein Wohnmobil-Dinner auf dem Restaurant-Parkplatz, über das deutschlandweit berichtet wurde. Corona-bedingte Kündigungen blieben dadurch aus. Viele Mitarbeiter sind seit mehr als 30 Jahren dabei, sie dürfen auch während der Hauptsaison Urlaub nehmen („Wie soll das in den Sommerferien sonst gehen, wenn man Kinder hat?“).

Die Bewerber kommen von sich aus

Neue Mitarbeiter und Azubis bewerben sich noch einfach so, ohne dass man monatelang nach ihnen suchen muss. Warum? Da zuckt Martin Möcking nur mit den Schultern und erzählt dann von seiner eigenen Ausbildung. „Da sind noch die Bratpfannen geflogen, ich musste auf einer Bierkiste essen, das war damals einfach so und hat trotzdem Spaß gemacht. Aber mir war früh klar, dass ich mal einen anderen Umgang mit meinem Personal haben möchte.“

Dazu gehört für ihn auch, in schwierigen Zeiten wie derzeit eben nicht ins Jammern zu verfallen („Das geht gar nicht, das steckt ja alle an.“). Und sollte das Personal doch mal knapp sein, springt Möcking wie in Familienbetrieben üblich immer und überall selbst ein. „Ich habe das bei meinen Eltern erlebt, die sind nie zu Geburtstagseinladungen von Freunden gegangen, weil es dafür einfach nie Zeit gab. Bei mir ist das ähnlich, aber das weiß man in diesem Beruf einfach auch.“

Die Krisen allein sind nicht Schuld

Aber reichen eine optimistische Lebenseinstellung, eine Portion Mut für Neues und ein ordentlicher Schuss Selbstausbeutung, um Personalmangel, hohe Inflation, Corona-Steuernachzahlungen und explodierte Energiekosten einfach wegzulächeln? Und um am Ende des Monats keine roten Zahlen zu schreiben? Hört man sich in der Branche um, wird schnell klar: Ja, das reicht – vorausgesetzt der Betrieb stand vor der Krisenzeit solide da.

„Pandemie, Inflation und Energiekrise haben wie ein Brennglas gewirkt für Probleme, die ohnehin schon da waren“, sagt Gastro-Beraterin Antje de Vries. Sprich, früher oder später hätte man die Betriebe, die jetzt schließen mussten, vermutlich ohnehin verloren. Weil sie kein klares Konzept hatten, keinen Wiedererkennungswert und ja, kein Herz, welches aus einem x-beliebigen Gasthaus für den Gast ein vorübergehendes Zuhause macht. Und weil sie nicht nachhaltig gewirtschaftet haben.

Ein Kellner räumt einen Tisch in einem Restaurant ab. In der Gastro-Branche gibt es viele offene Stellen.
Ein Kellner räumt einen Tisch in einem Restaurant ab. In der Gastro-Branche gibt es viele offene Stellen. | Bild: Sebastian Gollnow/dpa

Dazu gehört neben regelmäßigen Investitionen auch, sich ehrliche Fragen zu stellen: Kann an meinem Standort ein Restaurant überhaupt funktionieren? Braucht es vielleicht ein zweites Standbein, mit dem sich besser Geld verdienen lässt, weil der teure Personaleinsatz geringer ist (wie ein Hotel oder Essen-Lieferservice für Betriebe)?

Gibt es die Möglichkeit, mit anderen Gastronomiebetrieben Kooperationen einzugehen – etwa bei der Essensauslieferung oder auch beim Personal, gerade, wenn man kein Ganzjahresbetrieb ist? Und wie gehe ich mit dem immensen Personalproblem generell um?

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Allein im Bodenseekreis gibt es rund 400 offene Stellen in der Gastronomie. Und das ist nur die Zahl derer, die über die Arbeitsagentur sucht, viele Betriebe nutzen andere Kanäle.

Sie alle wollen möglichst gut ausgebildetes Personal einstellen. Möglicherweise müssen aber auch Restaurants künftig damit leben, dass sie die Tätigkeiten an die Fähigkeiten der Mitarbeiter anpassen, die noch zu kriegen sind. Ein guter Kellner schmeißt eine volle Terrasse allein, die Sommeraushilfe nicht. Eine Selbstbedienungstheke bekommt sie aber vielleicht hin.

Und klar ist es wünschenswert, dass eine Bedienung drei Apfelschorle, zwei Wasser und fünf Bier im Kopf zusammenrechnen kann. Aber notfalls muss sie eben einen Taschenrechner nehmen. „Ein bisschen mehr Pragmatismus und Kreativität dürften sich manche in der Branche schon noch zutrauen“, findet Antje de Vries.

Auch an den Gast gibt es Erwartungen

Und dann ist da noch der Gast, der natürlich nicht essen oder ein Bier trinken gehen muss. Wenn er sich aber dafür entscheidet, sollte er sich auch wie ein Gast benehmen. Dazu gehört ein anständiger Umgangston mit dem Gastro-Personal. Dazu gehört ein gewisses Verständnis dafür, dass es mit der Bestellung auch mal länger dauert, wenn viele Menschen zur gleichen Zeit essen wollen.

Und dazu gehört auch die Tatsache, dass man als Gast eben nicht nur das Hefeweizen für 5,10 Euro bezahlt, das es im Supermarkt für einen Euro gibt. Sondern vor allem den Stuhl, die Terrasse, die Bedienung, die Spülmaschine, die Toilette, die Pflanzen, die Musik. Und ja, all das ist nun mal teurer geworden. Leider – für Gast wie Gastronom.