Michael war ein einfaches Gemüt. Aber er glaubte an und liebte fest Recht und Gerechtigkeit. Seine Liebe zu Regeln war überstark ausgeprägt. So stark, dass man ihn schon als kleinen Jungen in der Straße den „Sheriff“ nannte. Parksünden, zu lange Sträucher, Zigarettenkippen – all diese Tatbestände notierte er fein säuberlich in sein Notizbuch und verbrachte seine Freizeit mit ihrer Aufklärung.
Am Erwerb eigenen Wissens zeigte er kein großes Interesse, so schrieb es der Lehrer in die Grundschulempfehlung für die Realschule. Seinen eigenen Vater zeigte Michael bei der Polizei an, als er innerorts die erlaubte Geschwindigkeit um mehr als 15 km/h überschritt. Man belobigte ihn und riet ihm fröhlich, doch Polizist zu werden. Michael teilte mit, dass er genau dies nach Abschluss der Schule vorhabe.
Die Zeit auf der Realschule war dadurch gekennzeichnet, dass Michael wegen seiner Ordnungs- und Regelliebe schnell zum Außenseiter wurde. Die Lehrer schätzten ihn nur teilweise, weil er auch sie beim Rektor zur Anzeige brachte, wenn sie außerhalb des vorgegebenen Bereiches rauchten oder gar mehr als drei Minuten zu spät zum Unterricht erschienen. Alle nannten ihn den Schulpolizist.
Sein Hobby neben der Kontrolle der eigenen Straße und den Straßen der Nachbarschaft war Fußball. Seine Funktion war schnell Schiedsrichter, weil kein Team auf Dauer seine Regelwut und sein Beharren auf korrekter Befolgung der Fußballregeln ertragen konnte. Sein Verein, der VfL Bochum, hatte in ihm einen treuen Fan, der im Stadion auf Ordnung bedacht war.
Nach einem mäßigen mittleren Schulabschluss absolvierte Michael die Ausbildung zum Polizisten im mittleren Dienst. Mit großer Fokussierung meisterte er die körperlichen Ausbildungsinhalte, die Theorie beherrschte er in weiten Teilen bereits. Seine erste Freundin hatte er im Alter von 19 Jahren, die Beziehung währte nur kurz.
Monika gab gegenüber Freunden an, sie habe keinen Zugang zu Michael gefunden. Sie habe außerdem sein Ansinnen, sie dauernd beschützen zu müssen, nicht ertragen. Michael war ein guter Polizist von einfachen Geistesgaben und großer Strukturtreue. Doch sein Verderben hieß Barbara.
Töten zur Rettung der Menschheit
Barbara war schön, gebildet und klug; für andere wie ihren Ex-Freund Ulf schwätzerisch und berechnend. Michael war ihr schnell verfallen. Er wusste, dass er ihre Nähe und ihre Körperlichkeit nur erhalten durfte, wenn er ihren zweiten Freund Peter hinnahm.
Dabei stellte sich heraus, dass auch Peter Vorstellungen hatte. Barbara und Peter erkannten das Potenzial, das in Michael, seiner Regelliebe und seinem Beschützerinstinkt steckte. Seine Ordnungsliebe half nicht nur der Wohngemeinschaft aus den Dreien. Michael würde alles für Barbara tun, wenn es der Abwehr einer Gefahr, dem Kampf gegen das Böse dienen würde. Und mit dem Bösen kannte Barbara sich aus, Peter auch.

Barbara erzählte Michael, dass es in der Welt neben dem Guten ein Böses gebe. Das Böse sei der Katzenkönig, manche Katzen, die schwarzen mit grauem Ohr, seien seine willigen Helfer. Dem Katzenkönig müsse immer wieder in einem Menschen, Mann oder Frau, ein Opfer gebracht werden. Die Menschheit könne nur gerettet werden, wenn ein wahrer Held diesen Menschen töte, sonst vernichte der Katzenkönig die Welt, oder eben doch Millionen von Menschen.
Bisher habe sich dieser Held immer gefunden und habe sich dann mit der Person vereint, von der Barbara abstamme, die allein die Fähigkeit besitze, mit dem Katzenkönig zu sprechen, wie ihre Vorfahren. Nur so habe die Welt bisher überlebt.
Nun werde der Katzenkönig in Bälde wieder ein Menschenopfer verlangen. Es werde also wieder ein Held gebraucht, der das Opfer mit dem heiligen Messer mit dreizehn Stichen töten müsse. Und mit diesem Helden werde sie sich ohne Zögern vereinigen, für immer. Peter sei nur ein Zeitvertreib und ein Helferlein, das ihr helfe, das Opfer zu finden, das ihr der Katzenkönig offenbare.
Michael, so Barbara, habe das Potenzial zum Helden. Gleichzeitig könne er sich aber nur so von allen seinen Fehlern reinwaschen, um derentwillen er bisher keine Freunde gefunden habe. Michael lauschte fasziniert. Denn vom Bösen sprach schon die Bibel, und er hatte nun das Glück die Frau zu kennen, die das Böse mit ihm bannen konnte und ihm seine Fehlerhaftigkeit vergeben würde.
Eine Blumenhändlerin soll sterben
Barbara fand das Opfer, das sich der Katzenkönig auserkoren hatte. Er war Annemarie, die schöne Blumenhändlerin. Barbara offenbarte sich Michael. Peter bestätigte. Er übergab in einem Kerzenkreis das heilige Messer. Michael zögerte; er konnte nachts nicht schlafen. Meldete sich krank vom Dienst ab.
Barbara sagte, sie bewundere seinen inneren Kampf. Michael dachte an die rechtfertigende Notwehr. Einen Menschen zu töten, um viele Millionen vor dem Katzenkönig zu retten. Aber es war doch verboten, zu töten. Eine Abwägung Mensch gegen Mensch gab es nicht. Es wäre eine Straftat.
Doch Barbara drängte. Der Katzenkönig habe keine Geduld mehr, er quäle sie im Traum. Und wenn Michael nicht handle, müsse er Peter und sie verlassen, damit ein anderer Held kommen könne. Er müsse dann mit allen seinen Fehlern seine klägliche Existenz fortführen. Das Tötungsverbot gelte nicht, Barbara handle im göttlichen Auftrag. Schließlich schwor er Barbara unter Berufung auf Jesus, einen Menschen zu töten. Barbara ermutigte Michael, denn bei Bruch des Schwurs sei seine unsterbliche Seele auf Ewigkeit verflucht.
An einem wolkenlosen Sommermorgen, dem 30. Juli, betrat ein bleicher, verwaschen und übernächtigt aussehender Mann den Blumenladen von Annemarie N. Ohne zu grüßen, verlangte er aufgekratzt einen Rosenstrauß. Dreizehn rote Rosen sollten es sein. Annemarie N. drehte sich vor dem Kunden zur Seite und fragte im Bücken, ob das nicht eine Unglückszahl sei.
In diesem Moment stach der Kunde zum ersten Mal zu; mit einem Fahrtenmesser kräftig in ihre linke untere Flanke. Sie drehte sich verständnislos um. Der Kunde stach ihr in den Hals und ins Gesicht; das Messer drang durch Teile des Halses und prallte mehrfach am Schädelknochen ab, mit letzter Entschiedenheit stach der Kunde nicht zu.
Annemarie N. kroch auf dem Boden rückwärts in Richtung ihrer Ladentheke und zog dabei Blutspuren auf dem hellen Fliesenboden. Der Angreifer setzte ihr nach. Dabei schlug nach dem zwölften Stich ein weiterer im Laden befindlicher Kunde mit einem blechernen Blumeneimer heftig auf den Kopf des Angreifers. Ein weiterer Kunde warf einen frisch umgetopften Kaktus nach dem Angreifer und griff nach einem größeren Exemplar. Zwei andere Kunden begannen laut nach der Polizei zu rufen. Der vor allem von den Dornen in seinem Nacken stark verunsicherte Angreifer ließ von Annemarie ab, warf das Fahrtenmesser aus der behandschuhten Hand und verließ das Ladenlokal.
Der zufällig anwesende Notarzt Walter P., der den Angreifer mit dem Blumeneimer mehrfach heftig auf den Kopf geschlagen hatte, konnte die starke Blutung im Halsbereich stillen, noch bevor die Rettungsdienste eintrafen. Vier Kunden standen zwischen roten Rosen auf rotem Boden. Annemarie N. überlebte den Angriff schwer verletzt.
Abnormale Persönlichkeitsstruktur
Michael teilte Barbara mit, er habe seinen Auftrag erfüllt. Seinen Liebeslohn konnte er nicht entgegennehmen. Binnen weniger Stunden war er festgenommen worden. Binnen weniger weiterer Stunden waren Barbara und Peter festgenommen.
Der gerichtlich bestellte Gutachter stellte bei Michael R. eine hochgradig abnormale Persönlichkeitsstruktur fest. Er sei aber in der Lage, Recht und Unrecht zu unterscheiden und daher schuldfähig. Michael R. bestätigte dies.
Die Gerichte gingen davon aus, dass die subjektive Annahmen einer Art übergesetzlichen Notstandes grundsätzlich die Strafbarkeit eines Angeklagten begrenzen kann, aber nur für den Fall, dass er den Irrtum über die Voraussetzungen des Notstandes nicht vermeiden konnte.
Michael R. als Polizeibeamter habe unter Berücksichtigung seiner individuellen Fähigkeiten und auch seiner Wahnideen bei gebührender Gewissensanspannung und der ihm zumutbaren Befragung einer Vertrauensperson die rechtliche Unzulässigkeit einer quantitativen Abschätzung menschlichen Lebens als des absoluten Höchstwertes erkennen können.
Die Einsicht, dass Annemarie N. lediglich das Opfer des Katzenkönigs werden musste, weil Ulf Barbara ihretwegen verlassen hatte und die beiden geheiratet hatten, drang wahrscheinlich zu Michael durch. Es ließ sich aber nicht sicher feststellen, ob er sich für ein Opfer und die staatlichen Vollstreckungsorgane für Sklaven des Katzenkönigs hielt oder ob er eine Art Unrechtseinsicht entwickeln konnte. Er wurde rechtskräftig wegen versuchten heimtückischen Mordes verurteilt. Die Gerichte ordneten seine dauerhafte Unterbringung an.
Barbara und Peter sind ebenfalls wegen versuchten heimtückischen Mordes zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt.
Wer sich eines ersichtlich irrenden Menschen wie eines Werkzeuges bedient und den Willen des Täters als eigenen steuert, ist als Hintermann nicht Anstiftender, sondern mittelbarer Täter. Menschliche Werkzeuge sind für sich betrachtet stets gefährliche Werkzeuge, gefährlich nicht nur für andere, sondern auch für sich selbst.
Das Urteil
Der Bundesgerichtshof stellte zu dem Fall fest: „Mittelbarer Täter eines Tötungs- oder versuchten Tötungsdelikts ist jedenfalls derjenige, der mithilfe des von ihm bewusst hervorgerufenen Irrtums das Geschehen gewollt ausgelöst und steuert, sodass der Irrende bei wertender Betrachtung als ein – wenn auch (noch) schuldhaft handelndes – Werkzeug anzusehen ist.“ BGHSt 35, 347