Der Schweizer hatte etwas Lustiges und doch auch etwas zum Fürchten. Er hatte sich mehrmals in den Hegau auf eine Poststation Amphetamin zum Eigenverbrauch aus dem Internet schicken lassen, was zu seiner Hibbeligkeit passte. Als Kind wurde ihm Ritalin verpasst, und der Abstieg in die Gegenwelt des Amphetamins war vorgezeichnet. Ritalin als Einstiegsdroge ist nichts Neues.
Bis zum Prozessbeginn saß er wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft, er würde, weil geständig, freikommen. Seinem viereckigen Kopf rutschte während der Verhandlung immer wieder das Kinn auf die Brust. Das Gericht sah er nie direkt an. Er trug einen weißen handgestrickten Pullover mit einem Zopfmuster und wirkte wie ein Bergführer, der sich tief verlaufen hatte.
Das Schöffengericht hatte eigentlich keinen großen Fall vor sich, es sind Jahrzehnte seitdem vergangen, nur durch die Aussage des Polizisten aus Nordrhein-Westfalen, der die Drogen auf dem Postweg abgefangen hatte, leuchtete in dieser Sache toxisch die Zukunft auf. Damals war es noch nicht in unserem Bewusstsein verankert, dass Drogen im großen Stil per Anzeige im Netz verkauft und das Internet auch für Drogen die größte Ladentheke der Welt werden würde.
Eine niederländische Bande hatte in Deutschland Wohnungen angemietet und sich Firmenlogos drucken lassen, von dort bedienten sie die Bestellungen, die aus dem jungen Darknet abgesandt worden waren. Die Adressen der Käufer waren fein säuberlich in Namenslisten mit Adresse aufgelistet, sodass die Polizei nach der Hausdurchsuchung die einzelnen Fälle wie aus dem Telefonbuch abarbeiten konnte.
So ging auch der Schweizer ins Netz. Beim Lesen der Akte war der Verdacht offensichtlich, dass diese Preisgabe der Kunden ein Schachzug der Händler war. Sie hinterließen so viele rasche und präzise Informationen und Spuren über Dritte, dass sich die Fahndung nach ihnen selbst nach hinten verschob.
25 000 Euro allein fürs Porto
Die Bande verbrauchte im Monat 25.000 Euro an Porto, die Drogen zu versenden, meist Amphetamin, zu einem Preis, der auf dem Markt unschlagbar war. Die Verkäufer in der angemieteten Wohnung waren sämtlich aus Afrika stammende Migranten, die in den Niederlanden gemeldet waren.
Die Bande hatte sie eingesetzt, die Ware zu versenden, also in einen Umschlag zu stecken, zur Post zu tragen, das Geld von den Konten abzuräumen und an Unbekannte weiterzugeben. Bitcoins waren noch nicht in Mode.
Diese Afrikaner hatten keine andere Bedeutung, als die niederen Geschäfte abzuwickeln. Und es war, wenn nicht auf den Tag, so doch auf den Monat einkalkuliert, wann die Drogenbude hochgehen würde und die vor Ort agierenden Personen verhaftet und verurteilt werden würden. Geschah dies, so öffneten die Hintermänner in einer anderen Stadt, in einem anderen Bundesland, eine neue Filiale, die wieder mit Afrikanern besetzt wurde.
30 Milliarden, tief geschätzt, erwirtschaftet die Drogenbranche jährlich in Europa. Sie agiert wie eine große unabhängige Firma, souverän wie ein kleiner Staat, in einem Meer von Staaten. Es herrschen postkoloniale Regeln dort. Afrikaner, weil diese am wenigsten der Freiheit bedürfen und am wenigsten daran verlieren, sind, in der Ansicht ihrer Herren, das Vieh zum Verhaften. Sie bilden mit entwurzelten Jugendlichen die erste Reihe, die man im Straßenhandel aufgreift und verurteilt.
Es war dieser Fall, der mein Denken umleitete. Ohne es verifizieren zu können, versuchte ich fortan, den Drogenhandel als Ganzes zu verstehen, in meinen kleinen Fällen Attribute zu entdecken, die sein Wesen verdeutlichen. In meiner Jugend galt es als Protest, Drogen zu nehmen. Kluge Leute und Künstler waren das Werbeschild. Heute ist es umgekehrt, dies ist das vorweggenommene Fazit.
Nach dem Urteil damals wurden dem Schweizer die Fußfesseln abgenommen, und er war frei – was immer dies bei einer Sucht bedeutet. Der Geldbeutel und Ausweis waren ihm ausgehändigt, er fragte nach dem Bahnhof. Ich deutete die Erzbergerstraße hinunter, nach Süden. Er ging mit knappem Gruß, ohne Gepäck, und ich sah ihn nie wieder.
Die Nazis haben Amphetamin und Christel Meth groß gemacht. Im Wesentlichen ist der Handel mit harten Drogen noch immer das größte existierende totalitäre System. Die Gewalt und die Strafen treffen immer die Kleinen. Diese Begegnung mit dem Schweizer wiederholt sich jedes Jahr in meinem beruflichen Leben Dutzende Male. Und sinngemäß sage ich jedes Mal: „Der Bahnhof ist im Süden.“ So auch in der nächsten Geschichte.
Mit Drogen unter Kontrolle gehalten
Man hatte diese Frau mit kleinen Mengen Heroin erwischt. Ein mageres Gesicht mit großen dunklen Augen sah in meinem Büro mich an, als könnte ich alles unschädlich machen. Sie erzählte ganz ruhig, ohne die Schuld ihm zu geben, vom unglaublichen Talent ihres ehemaligen Freundes, der Heroin schon als Student spritzte, aber es immer unter Kontrolle hielt. Sie unter Kontrolle zu halten, hatte er sie angefixt und abgestoßen, als sie stark abhängig wurde und seinen beruflichen Aufstieg belastete.
Weil Beziehungsgewalt in Form von Drogen tabuisiert und unsichtbare Ketten als selbstverschuldet gelten, beschreiben auch Dunkelziffern solche Fälle nicht, sie werden ignoriert. Für fast alle meth- und kokainabhängige Frauen, die ich betreute, war die Beziehung die Einstiegsdroge.
Diese Frau mir gegenüber war jetzt über vierzig. Sie war in einem Suchtprogramm, aber es wurde Beikonsum festgestellt. Ihre Lebensschuld, abgewogen mit der des ehemaligen Freundes, fiel in meiner Bewertung nicht ins Gewicht.
Konsumenten, die mit Drogen umgehen können, bleiben oft straffrei, die Süchtigen nie. Auch das ist ein moralischer Widerspruch, der sich so oft vor meinen Augen wiederholt. Die Nichtschuld in der Schuld überhaupt zu begreifen, ist das Unmögliche.
Diese Frau hatte dunkle Zähne, bei denen man die Hälse sah. Sie lachte grob und rieb sich dauernd die Hände. Ich überlegte, ihr eine Geschichte über das Heroin zu erzählen. Ich hatte sie selbst von Polizisten gehört. In einer Halle in Deutschland sollen heuhaufengroß 500-Euro-Scheine aufgeschichtet sein, die darauf warten, gewaschen zu werden. Es ist so eine Art modernes Märchen.
Afghanistan ist der größte Opiumproduzent, gleich unter welchem Regime. Und das Geld gehört der afghanischen Regierung. Die Duldung durch Staaten wird durch Staaten geduldet. Mit jeder Einheit Heroin finanziert man also ein unmenschliches Regime. Sie hätte es nicht verstanden.
Diese Frau würde keine hohe Strafe bekommen. Ihre Leber war zerstört. Frauen leiden unter der Sucht stärker als Männer. Sie hatte alle Therapien durchlaufen und war resistent gegen den Schmerz. Sie war einfach zu naiv für dieses Leben, das ist alles. Betäubungsmittel und Naivität sind wie Geschwister. Dies trifft auf so viele meiner Geschichten zu.
An der Konstanzer Grenze war Schluss
Der Mann steckte in einem Latzanzug aus Jeansstoff. Ich hatte ewig keinen Mann in einem Latzanzug gesehen und mit diesem fuhr er zur Grenze und wurde prompt kontrolliert. Sein Gesicht war glattrasiert und er benutzte ein zu starkes billiges Rasierwasser. Er hätte auch ein Schild auf seinem Wagendach anbringen können: „Bitte kontrollieren!“ Sie haben ihn kontrolliert und verhaftet. Die Drogen lagen unter einer Decke auf dem Rücksitz.
Er war der kleine Kurier. Der Fall ist mir deshalb in Erinnerung, weil er vor dem Gericht lachte. Er hatte die Gefahr für seine Freiheit in keiner Weise begriffen. Bei der Haftbefehlseröffnung wurde ihm vorgeworfen, versucht zu haben, im Kilobereich präparierten CBD-Hanf aus der Schweiz nach Polen zu transportieren, an der Konstanzer Grenze war Schluss.
Mein Mandant kam in Haft. Er hätte der U-Haft entgehen können, hätte er seine Auftraggeber benannt. Er schwieg. Die Richterin fragte ihn zum Schluss, wer von seiner Familie zu benachrichtigen sei. Da wurden seine Wangen und Stirne kreidebleich und er nannte die Nummer seiner Frau.
Auch ich rief später dort an, die junge Ehefrau und Mutter war noch ahnungsloser als ihr Mann und nicht vorbereitet. Für den Transport waren ihm tausend Euro versprochen.
Immer wieder erstaunt es, für wie wenig Geld Menschen ihre Freiheit wegwerfen. Geld selbst hat im Drogenhandel keinen Wert, sowohl nach oben als auch nach unten. Dies verdeutlicht eine Anklage, die in Konstanz unlängst verhandelt wurde. Eine Tonne Koks war aufgerufen. Etwas, was nicht vorstellbar ist.
Es herrscht ein Überangebot an Kokain derzeit, der Markt wird geschwemmt. In Ecuador kostet das Kilo Kokain 200 Dollar, nach der Dominikanischen Republik versandt kostet es noch immer nur 2000 Dollar, der Preis der Straße in Europa liegt stabil bei 60 Euro pro Gramm, so führte es der ermittelnde Polizist im Prozess aus.
Warum der Preis des Kokains trotz dem Überangebot an Material für den Endabnehmer nicht fällt, ist volkswirtschaftlich mit den marktwirtschaftlichen Theorien nicht zu erklären. Wahrscheinlich liegt es an der Latenz der Gewalt, die diesen Stoff umschwebt,
Großdealer sind das Spinnennetz, das die entfernteste Abweichung registriert. Kleindealer haben den Status von Fliegen. Die Abhängigen schweben über der Wirklichkeit, wie die Bilder auf Instagram über der Realität. Und die Kuriere träumen den fremden Reichtum, der sich nie einstellt.