Dalí – dieser Künstlername steht stellvertretend für eine ganze Stilrichtung, den Surrealismus, und zugleich für eine der schillerndsten Persönlichkeiten in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Ob als Schöpfer geheimnisvoller Bildwelten, exzentrischer Provokateur oder genialer Vermarktungsstratege: Leben und Person von Salvador Dalí halten den Betrachter bis heute in Atem.
Sonderausstellung „Dalí – Paradies und Paranoia“ in Stockach
Dieser ebenso faszinierenden wie irritierenden Künstlerfigur widmet das Stadtmuseum in Stockach eine große Sonderausstellung. Unter dem Titel „Dalí – Paradies und Paranoia“ präsentiert die Schau ausgewählte Werke aus der Sammlung des Stockacher Unternehmers und Sammlers Heinrich Wagner, ergänzt um weitere Leihgaben aus Privat- und Museumsbesitz.
Über zwei Etagen des Dachgeschosses breitet sich die reich bestückte Ausstellung aus. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Dalís umfangreichem druckgrafischen Schaffen: Über 60 Radierungen sowie weitere Objekte und Medienstationen beleuchten das vielseitige Wirken des Künstlers und binden seine starke Selbstinszenierung in diesen Kontext ein.

„Paradies und Paranoia“: In diesem Spannungsfeld zwischen Harmonie, Liebe und Erotik sowie Angst, Vision und wahnhaften Vorstellungen entfaltete sich der vieldeutige und symbolgeladene Bilderkosmos des Spaniers. Dalí selbst sprach von einer „kritischen Paranoia“ als einer „spontanen Methode irrationaler Erkenntnis, die auf kritischer und systematischer Objektivierung wahnhafter Assoziationen und Interpretationen beruht“.
Dies übertrug Dalí in eine hyperrealistische Bildsprache, die das Dargestellte seltsam unwirklich wirklich erscheinen lässt. Überlängte Figuren in weiten leeren Ebenen, Linien, die zu unendlich scheinenden Horizonten fluchten, einsame Felslandschaften unter greller Sonne, zerfließende Uhren, schwebende Eier, Elefanten auf Insektenbeinen, harte Schlagschatten, prägen sein Motivrepertoire. Verschobene Realitäten und bizarre Metamorphosen von Formen und Figuren, Gegenständen und Umwelt, sind typische Merkmale seines gewaltigen Œuvres.
Dalí war bekannt für skandalöse Bilder und exzentrischen Lebensstil
Mit den aufsehenerregenden, nicht selten als skandalös empfundenen Bildern und seinem exzentrischen Lebensstil, zu dem auch der berühmte Schnurrbart gehörte, wurde Dalí schon bald sehr bekannt und erfolgreich: Ausstellungen in Europa und den USA, Zusammenarbeit mit Filmgrößen wie Alfred Hitchcock, Freundschaften mit Coco Chanel und Helena Rubenstein, Bekanntschaften mit Sigmund Freud und Ernest Hemingway, Auftritte in TV-Shows, Entwürfe für Mode, Möbel, Parfums und Werbung kennzeichnen sein überaus vielfältiges Schaffen.

All diese Facetten lässt die in einzelne Kapitel untergliederte Ausstellung anklingen und der Betrachter kann mit allen Sinnen in Dalís ganz eigene Lebens- und Schaffensatmosphäre eintauchen. Der Fokus liegt auf den Kaltnadelradierungen vom Beginn der 60er bis zum Ende der 70er Jahre, als Dalís Druckgrafik ihre stärkste Phase erlebte. Darin übertrug er sein Bildrepertoire auf die Technik des Tiefdruckes, bei dem das Motiv mittels Stahlnadel in eine Metallplatte eingeritzt wird.
Teilweise kombinierte Dalí dieses Verfahren mit der Lithografie. Ein dynamischer, zeichnerischer Strichgestus und das Experimentieren mit intensiven Farbkontrasten prägen den lebhaften Ausdruck der Blätter. Die im Sommer in Spanien bearbeiteten Druckplatten, von denen die Schau ein Exemplar zeigt, gab Dalí in Paris und New York in Druck, prüfte Probeabzüge, nahm Veränderungen vor und signierte die fertigstellten Abzüge, die in immer größeren Auflagen für Kunsthändler und Sammler entstanden.
Dabei befasste er sich mit verschiedenen Themenfeldern, die den Parcours durch die Werkschau begleiten: Illustrationen zu Klassikern der Weltliteratur wie „Faust“ (1969) oder „Der alte Mann und das Meer“ (1974) finden sich darin ebenso wie Farbgrafiken zu Geschichten aus der Bibel (ab 1961) oder Bild-Serien zu „Odyssee“ und „Ilias“ von Homer (1977).
In all diesen Bereichen kombinierte Dalí zentrale Momente der Erzählungen mit eigenem Bildkosmos und schuf so spannungsvolle Neuinterpretationen, bei denen sich reale Versatzstücke der sichtbaren Welt unaufhörlich mit Fragmenten aus Träumen und seelischen Zuständen durchdringen und zu irrealen Fantasiegebilden steigern.
Hang zur Überinszenierung trübt Kunstgenuss
Auch dem heiklen, für Dalís Druckgrafik besonders relevanten Thema der Fälschungen widmet sich die Ausstellung. Denn mit wachsendem Ruhm und steigender Produktivität des Künstlers kamen zugleich immer mehr nicht-autorisierte Werke auf den Markt, vor allem Radierungen in den 80er Jahren in großer Anzahl und teils verblüffender Perfektion. Im Stockacher Museum machen didaktische Stationen auf die Besonderheiten solcher Fälschungen aufmerksam.
Ausgehend von den Arbeiten der Sammlung Wagner, die im Stockacher Museum eine Bleibe gefunden hat, konzentriert sich die Präsentation auf Dalís Grafik und eröffnet zugleich den Blick auf die Bandbreite von Werk und Vita. Etwas getrübt wird der Kunstgenuss von einem spürbaren Hang der Gestalter zur Überinszenierung der Räume mit teils störenden Lichtprojektionen und Toneffekten.
„Dalí – Paradies und Paranoia“: Bis 17. November im Stadtmuseum Stockach. Öffnungszeiten: Di.-Sa. 10-17, So. 10-13 Uhr. Weitere Informationen: www.stadtmuseum-stockach.de.