Mit klassischen Konzerten ist es so eine Sache: Um sich dem Genuss hingeben zu können, bedarf es der absoluten Stille, bevor der erste Ton erklingt. Leichter gesagt als getan. Kurz vor dem Auftritt des Musikers kramt der Nachbar ein Hustenbonbon hervor und wickelt es unter pompösem Rascheln aus. Die Nachbarin links zieht mehrfach die Nase hoch, den Herrn in der Reihe dahinter schüttelt eine garstige Hustenattacke. Alle Blicke wenden sich auf ihn, ohne dass es besser wird.
Es gibt Pianisten, die unter solchen Umständen sofort aufhören. Alfred Brendel ist einer davon. Oder Keith Jarrett, der bei geringsten Unaufmerksamkeiten des Publikums sein Spiel einstellte.
Anders die Musikerin Henriette Gärtner. Bühnenpräsenz ist ihre Stärke. Sie fürchtet die Nebengeräusche nicht, wenn sie die Bühne betritt. Ihre 14. Einspielung nennt sie „Erfüllte Stille“, denn nichts anderes will Musik: den Raum zwischen den Pausen mit Klang füllen. Dabei setzt die Musikerin, die in Meßkirch ihr Abitur machte, auf Bekanntes aus der Epoche der Romantik. Sie interpretiert zwei Zyklen der Klavierliteratur, an der sich schon viele Klavierschüler und fortgeschrittene Amateure abmühten. Gärtner zeigt, wie man es macht, dass Robert Schumanns „Kinderszenen“ zu kleinen gefühlvollen Miniaturen werden, ohne kitschig zu wirken.

Spannend auch die „Moments musicaux“ von Franz Schubert. Diese sechs Kompositionen entziehen sich einer exakten Einordnung. Schubert hat Glücksmomente geschaffen, Charakterstücke in einem oft sehr lebhaften Tonfall, die kräftig gegen die Stille anrennen. Wenn Henriette Gärtner den Wiener Komponisten spielt, passt einfach alles.
Die makellose Technik ebenso wie das bewegliche Tempo, das den Noten auf dem Papier erst ein Leben einhaucht. Wobei Schubert seine Interpretin postum um ihr Instrument beneiden dürfte: Der große Bösendorfer-Flügel donnert wild daher, sobald die Pianistin das will. Der Instrumentenbauer Bösendorfer begann seine Produktion im selben Jahr, in dem Schuberts Tod vermeldet wurde. Das war 1828.
Einen anderen Wiener stellt die Pianistin an den Beginn ihrer CD: Beethovens Sonate „Les Adieux“. Das temperamentvolle und rätselhafte Werk beschreibt Abschied und Wiedersehen eines Freundes. Eigentlich bedeutet es aber nur Musik, die aus der Stille tritt und nach dem letzten Ton in der Stille verschwindet.
In einem kleinen Essay im Booklet beschreibt Johannes Rubner die Geschichte dieser 26. Sonate von Beethoven. Er erklärt, wie wenig sinnvoll es ist, wenn über ein Musikstück ein programmatischer Titel gesetzt wird. Musik ist letztlich ihr eigener Zweck. Der Hörende lauscht den Romantikern und ihrem Ahnvater Beethoven, und dabei vergisst er die Zeit. Henriette Gärtner macht‘s möglich, die Glücksmomente springen aus der zierlichen CD wie Funken aus einem behaglichen Feuer.
Die CD „Erfüllte Stille“ kann bestellt werden bei: pianistin@henriette-gaertner.com (20 Euro; drei CDs kosten 50 Euro)