Das war sehr weitsichtig von Miss Sophie. Vier Gäste wollte die alte Dame damals einladen zur Feier ihres 90. Geburtstages: Sir Toby, Admiral von Schneider, sowie die Herren Pommeroy und Winterbottom.
Doch zusammen mit Butler James und der Gastgeberin selbst wären das sechs Personen aus fünf verschiedenen Haushalten gewesen. Das geht gar nicht.
Zwei Personen aus einem Haushalt
Miss Sophie muss es wohl 1961 schon geahnt haben, als ihr legendäres „Dinner for One“ zum ersten Mal im Fernsehen gesendet wurde. Und so kam sie auf die glorreiche Idee, ihren Butler in die Rolle der Eingeladenen schlüpfen zu lassen.
Jetzt waren es zwei Personen aus einem Haushalt und dagegen ist sogar in Sachsen, Berlin oder im besonders gebeutelten London nichts einzuwenden. Skol.
Dass der arme James in Personalunion mit vier Gästen zu jedem der vier Gänge auf die Jubilarin anstoßen musste, war nicht einfach, zumal die Speisen ja auch noch aufgetragen sein wollten.
Aber das muss James am Vorabend des Brexit wohl schon klar gewesen sein, dass dieser Jahreswechsel von ihm und seinen Landsleuten das Äußerste abverlangen wird. War er doch froh, dass es der Sherry aus Spanien, der Weißwein aus Italien, der Champagner aus Frankreich und der Portwein aus Portugal gerade noch rechtzeitig auf den Tisch des Hauses geschafft haben. Skol.
Und so wird der gute James wohl nicht der einzige Brite sein, der mit dickem Kopf das neue, völlig EU-freie Jahr begrüßen darf.
Alles geht schief fürs ZDF
Aber auch Miss Sophie ist nicht allein. Da gibt es noch einen deutschen Fernsehmoderator namens Johannes B. Kerner. Der ist zwar noch nicht 90, auch wenn sich das für viele TV-Zuschauer so anfühlen mag.
Zusammen mit Andrea Kiewel hat auch er sich, wie jedes Jahr, Gäste zur großen Abschluss-Sause vor das Brandenburger Tor eingeladen. Vor dieser Kulisse, einem Riesenfeuerwerk und knapp einer Million Partygästen aus aller Welt kann eigentlich nicht viel schief gehen. Oder doch?
Alles geht schief. Das Feuerwerk darf nicht sein, und das Publikum auch nicht. Nur Kerner, Kiewel und das Brandenburger Tor stehen noch. In Stein gemeißelt. „Kann man eigentlich nicht senden“ wäre die naheliegende Reaktion des Programmchefs gewesen.
Doch von Miss Sophie lernen heißt siegen lernen, dachte man sich beim ZDF. Einfach so tun, als seien sie alle da. Same Procedure as every Year.
Feiern im menschenleeren Tiergarten
Und da sind sie schon. Peter Maffay, Alvaro Soler, die Höhner, Tom Gregory „und viele mehr“ feiern sich einen ab im ansonsten menschenleeren und großräumig abgesperrten Tiergarten.
Live versteht sich, Europas größte Sendeanstalt wird doch an Silvester keine Konserven anbieten. Dazu die obligatorische Uhr zum Mitternachts-Countdown und das mächtige, aber absolut hygiene-konforme Geläut der Kirchenglocken.
In den Sektgläsern schäumt gefärbtes Wasser, denn in ganz Deutschland gilt ja striktes Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen.
Nicht viel zu sehen
Anders als in den heimischen Wohnzimmern. Dort sitzt das ZDF-Publikum in diesem Jahr. Und zwar als leibhaftiger Akteur. Feiernde Menschen sollen sich vom Sofa aus per Webcam in die Live-Sendung zuschalten. Ihr Völker der Welt, schaut in diese Wohnzimmer. Denn in Berlin gibt es draußen nicht viel zu sehen.
Der Alex menschenleer und mit Böllerverbot belegt. Kein Konzert in der Philharmonie oder am Gendarmenmarkt, kein Champagner-Empfang auf dem Kudamm, keine Party am Potsdamer Platz. Kein feines Silvester-Menü, nicht mal eine Currywurst im Stehen.
Die einschlägigen Berliner Etablissemangs, wie Wintergarten, Friedrichstadt-Palast, Tipi am Kanzleramt oder Bar jeder Vernunft, sonst seit Sommer für die Jahresendzeit-Fete bereits ausgebucht, sind geschlossen. Nichts, einfach nur Nichts.
Abstandslos bei Corona-Hotspots
Allenfalls in Kreuzberg-Friedrichshain und in der Jungfernheide werden sich rechtsextreme Maskengegner und linksextreme Staatsgegner abstandslos bei den großen Hotspot-Partys feiernd in den Armen liegen.
Besonders in der gespenstischen Stille, die über weiten Teilen Berlins liegt, wären die in bestimmten Kreisen so beliebten Polen-Böller noch viel wirkungsvoller explodiert.
Denn das überall geltende Verkaufsverbot für Feuerwerk war zunächst von eingefleischten Silvester-Pyromanen wirkungsvoll durch einen Einkaufbummel in Polen wirkungsvoll unterlaufen worden. Wenn in Berlin zwar gezündet, aber nicht verkauft werden darf, blieb eigentlich nur das knall-liberale Nachbarland zum Großeinkauf. Polizei, Feuerwehr und Rettungssanitäter befürchteten schon das Schlimmste. Doch in letzter Minute hat der Berliner Innensenator den Böller-Fahrten nach Polen noch einen Riegel vorgeschoben.
Und das ist gut so, denn in den Kliniken, jenen Orten in Berlin, die derzeit nicht menschenleer, sondern ohnehin schon überfüllt sind, kann das medizinische Personal auf die Behandlung blutender Platzwunden, verbrannter Haut oder gebrochenen Rippen gut verzichten. Wenn den Helfern hier das „Same Procedure as every Year“ erspart bliebe, wäre das doch wenigstens ein kleiner Lichtblick. Skol.