Thea Stroh

Die Coronakrise hat Deutschlands Kultur fest im Griff. Die ganze Kultur? Nein! Im südbadischen Wehr reißt die Künstlerin Elena Romanzin die Fenster ihrer Malschule auf: Gleich beginnt der Unterricht. „Ich will mir keinen anderen Beruf suchen!“, ruft sie und beginnt damit, die Tische in Desinfektionsmittel regelrecht zu ertränken.

Malkurse sind erlaubt

Richtig gehört, die Künstlerin arbeitet. Die Volkshochschule, mit der sie ihre Malschule führt, zählt als Bildungseinrichtung, also siehe da: Kurse sind erlaubt. Und das ist gut so, schließlich ist es das letzte Standbein, das ihr und ihrem Mann Frank von Düsterloh geblieben ist. Alle anderen liegen seit dem Frühjahr auf Eis.

Die beiden sind nicht nur privat, sondern auch professionell ein Team: Sie schafft, er organisiert und kommuniziert. Um die Hygiene, sagt Romanzin, kümmere sie sich „vielleicht schon zu streng“. „Das war sogar vor dem ersten Shutdown so. Es geht hier ums Vertrauen.“ Viele ihrer Schüler seien Risikopatienten. So lange es dauert, ein Sicherheitsgefühl aufzubauen, so schnell kann es zerstört sein: Ein Infektionsfall in ihrem Kurs könnte ihre Profession kosten. Trotzdem klingt sie unbeschwert, wenn sie darüber spricht.

Nur fürs Foto ohne Maske: Um das Vertrauen ihrer Schüler nicht zu verlieren, führt Elena Romanzin strenge Hygieneregeln in ihren Malkursen.
Nur fürs Foto ohne Maske: Um das Vertrauen ihrer Schüler nicht zu verlieren, führt Elena Romanzin strenge Hygieneregeln in ihren Malkursen. | Bild: Thea Stroh

Von Düsterloh kramt sein Handy heraus und zeigt, was er im Hintergrund leistet: Der Terminplan seiner Frau fürs kommende Jahr platzt aus allen Nähten. Die App hängt sich kurz auf, und er sagt: „Bei so einer Taktung kann es gerade mehr denn je passieren, dass alles wie ein Kartenhaus in sich zusammenklappt. Trotzdem sind wir dankbar dafür.“ Wie bitte? Dankbar für den Lockdown?

Von Düsterloh sorgt sich beruflich um das, was kommt. Der Organisationsaufwand ist seit März unentwegt gestiegen, hat das Privatleben beinahe vollständig gefressen. Auch der ersehnte Urlaub musste storniert werden – und hinter jedem Termin steht ein gedankliches Fragezeichen.

„Das hat uns Demut gelehrt“

Trotzdem: Er sieht den Lockdown nicht so tragisch, meint, wer sich für eine Karriere in der Kultur entscheidet, sei gewohnt, mit emotionalen wie finanziellen Unsicherheiten umzugehen. „Das hat uns Demut gelehrt“, betont er. Außerdem hätten sie schon in vielen Ländern gewohnt und können für die deutsche Politik nur lobende Worte finden.

Ingo Putz sieht das anders. Er schafft Platz an einem winzigen Holztisch im Wohnbereich seines Konstanzer Hauses. Wohnbereich, oder vielleicht doch Arbeitszimmer? An der Wand hinter ihm türmen sich Kinder- und Sachbücher, Reiseliteratur, Aktenordner. „Eigentlich möchte ich mich gar nicht mehr mit Corona beschäftigen“, sagt der Theaterregisseur. Aber die Worte sprudeln dann doch.

Bild 2: Der Lockdown trifft nicht alle freien Künstler gleich: Drei Beispiele aus der Region zwischen Dankbarkeit und Demütigung
Bild: Thea Stroh

Eigentlich wäre er gerade in Oldenburg, wo er mitten in den Proben für sein neues Stück „Heidi“ steckt. Die hätten nun die heiße Phase erreicht. Doch Corona zwingt ihn in einen ungeplanten Heimaturlaub. Bald geht es weiter, mit flexibler Premierenplanung.

„Zumindest habe ich nicht mit Motivationsproblemen zu kämpfen, ich mache meinen Job dafür zu gerne“, sagt Putz. Auch er habe sich ja aus freiwilligen Stücken zu seinem Karriereweg in der Freiheit entschieden. Aber der Stachel sitzt tief: Das Theater sei „herabgewürdigt, doppelt gestraft und für die nächsten Jahre gelaufen“. Er schiebt das Kinn vor, verschränkt die Arme.

Als Regisseur im Homeoffice

Putz macht sich schon länger Gedanken um die Stellung von Kultur in unserer Gesellschaft. Das Krisenmanagement angesichts der Pandemie zu deren Ungunsten ist für ihn nur die Spitze des Eisbergs. Größter Schlag ins Gesicht: die eigene Berufung nun legitimieren zu müssen. Die Frage, ob Kultur verzichtbar sei, findet Putz mehr als alles andere herablassend: „Man kann auf alles verzichten, wenn man will. Die Frage ist nur, ob das klug ist.“

Der Regisseur im Homeoffice hat es sichtbar satt, sich für die Kultur einsetzen zu müssen. Aber nicht, weil es nicht wichtig wäre, sondern weil er das schon seit vielen Jahren tut, ohne Ausblick auf Verbesserung. Und die Geschichten über Missstände mehren sich gerade.

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„Einer meiner Kollegen hat gerade hingeschmissen. Er wird jetzt Bestattungsunternehmer.“ Wenn das mal kein lebhaftes Beispiel ist! „Natürlich ist das ein Extremfall“, reflektiert Putz, aber sein Appell ist klar: Eine Gesellschaft, die es gewohnt ist, Kultur als „nicht systemrelevant“ zu klassifizieren, muss die Konsequenzen davon in Zukunft tragen.

Er poltert: „Sparen, sparen, sparen! Aber irgendwann ist es halt kaputt.“ Es folgt ein hilfloses Schulterzucken. Auch für die Zeit nach der Pandemie bleiben Putz‚ Gedanken finsterer als die von Düsterloh: „Mit dem Rückstau der verschobenen Stücke haben wir mindestens zwei, eher mehr verlorene Jahre.“ Das trifft die Freien besonders.

Musiker und Risikopatient

Doch nicht alle gleichermaßen. Das stellt Alexander Behning fest. Er ist der Optimist in der Runde, dabei trifft Corona ihn sogar doppelt: als Musiker und Mensch, denn er ist auch Risikopatient. Ein Sänger mit Asthma. Der sich nun einen Heizpilz für seinen Vorgarten zugelegt hat, unter dem er es sich bequem macht, und nicht ganz versteht, wieso er sich beschweren sollte: „Ich weiß gar nicht, ob ich der Richtige für das Interview bin.“

Bild 3: Der Lockdown trifft nicht alle freien Künstler gleich: Drei Beispiele aus der Region zwischen Dankbarkeit und Demütigung
Bild: Thea Stroh

Im beheizten Vorgarten verbringt er viel Zeit, auch um Freunde zu treffen. Als Musiker unterwegs sein – „das geht ja gerade wieder nicht“. Trotzdem dreht er nicht nur Däumchen, sondern nutzt die Zeit und plant einen Aufenthalt in den USA nächstes Jahr. Und immerhin: „Noch habe ich keine Sorgen, mir meine Brötchen nicht mehr leisten zu können.“ Er möchte nicht Sprachrohr für die Musiker sein, denn er hat noch ein zweites Standbein außerhalb der Musik.

Kreative Lösungen sind gefragt

„Ich empfinde großes Mitgefühl mit denjenigen, die die Krise härter trifft“, sagt er und fügt fast schuldbewusst hinzu: „Für mich sind die Beschränkungen beinahe gelegen gekommen. So bin ich als Risikopatient nicht als einziger ausgefallen.“ Was den Optimisten auch in Hochstimmung versetzt, ist die Aussicht auf einen Impfstoff. Und bis dahin sind kreative Lösungen gefragt. So hat der Musiker dem Virus im Sommer ein Schnippchen schlagen können.

Schelmisch grinst er und erzählt, wie er seine sieben Sachen ins Auto warf und Musik an die „nur so auf Kultur hungrigen“ Leute gebracht hat: „Das sah dann halt so aus, dass ich mit einem Plattenspieler getourt bin. Auf der Platte war eine Karaokeversion meines neuen Albums, zu der habe ich vor Plattenläden in ganz Deutschland gespielt.“

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Als er davon erzählt, was für Kooperationen sich auch gerade wegen der Krise ergeben, leuchten seine Augen, und er hält inne. Dann platzt er heraus: „Wie genial wäre bitte eine Plattform, auf der Künstler und Gastronomen Angebote einstellen, die man zu Weihnachten schenken kann? So könnte jeder helfen, nicht nur der Staat!“ Er plane ohnehin, kleine Gartenkonzerte anzubieten, aber so eine Übersicht fehlt seiner Meinung nach.

Mit dieser Idee ist er nicht allein. Auch Romanzin wünscht sich, dass das Weihnachtsgeschäft freie Künstler unterstützt: „So viele Menschen in der Kultur bereichern die Gesellschaft in schweren Zeiten mit Kunst, Büchern und mehr. Nun hat man die Möglichkeit, etwas zurückzugeben – und der Kunst Gutes zu tun.“