Gut möglich, dass wir bald wieder mehr zu lachen haben. Nach dem Sommer nämlich startet das neue Führungsteam des Konstanzer Stadttheaters in seine erste Spielzeit: Es stehen eine Menge Komödien auf dem Programm. „Im Theater lachen ist etwas sehr Schönes“, sagt die designierte Intendatin, Karin Becker, gegenüber dem SÜDKURIER. „Und zwar vor allem dann, wenn das Lachen im Halse stecken bleibt, man sich im Nachhinein vielleicht sogar ein bisschen darüber schämt.“

Ungewöhnliche Vorbereitung

Wie kann unschuldige Freude in Scham umschlagen? Und was soll daran schön sein? Die Antwort darauf will Becker nicht schuldig bleiben. Erst aber gibt sie Einblicke in die ganz und gar nicht amüsanten Umstände, unter denen die wohl ungewöhnlichste Spielzeitvorbereitung seit Jahrzehnten stattfinden musste.

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Kaum in Konstanz angekommen, mit Umzug Ende Februar, seien auch schon die Bürgersteige hochgeklappt worden, berichtet sie. Heimisch werden in einer Stadt, ohne Menschen begegnen zu dürfen, beruflich durchstarten, wenn alle Welt nur noch über Hygienevorschriften spricht: eine schwierige Aufgabe. Für Arbeitsgespräche, sagt Becker, habe sie sich meistens am Bodenseeufer zum Spazierengehen verabredet – „immer schön mit eineinhalb Metern Sicherheitsabstand“.

Die angehende Chefdramaturgin Doris Happl bezahlt bereits Miete für eine Wohnung, die sie noch nie zu Gesicht bekommen hat. „Ich sitze ja gerade in Wien und darf gar nicht nach Deutschland einreisen“, erklärt sie die skurrile Situation.

„Wir können nicht jede Woche einen neuen Terminplan machen, der Mangel an Planungssicherheit ist für Institutionen wie die unsrige ...
„Wir können nicht jede Woche einen neuen Terminplan machen, der Mangel an Planungssicherheit ist für Institutionen wie die unsrige eine Katastrophe.“Karin Becker | Bild: Theater Konstanz / Ilja Mess

Ob die Spielzeit überhaupt wie geplant starten kann, ist ungewiss. Einerseits arbeitet das Team unverdrossen weiter, als wäre nichts. „Wir müssen es manchmal einfach ignorieren, sonst kämen wir zu gar nichts“, sagt Kristo Sagor, der neue Leiter der Kinder- und Jugendsparte. Und doch, bei jeder Produktion schwingt unweigerlich die Frage mit: Könnte man das auch in einem anderen Raum spielen? Wären etwa bei der Uraufführung von Kristo Sagors eigenem Werk „Nibelungenleader“ Schutzanzüge als Kostüme denkbar? Wie steht es um die Sicherheitsabstände?

Premiere verschoben

Zumindest in einer Hinsicht wurde bereits Klarheit geschaffen. Das im Programmheft angeführte Stück „Unser Lehrer ist ein Troll“ hat erst in der darauffolgenden Spielzeit Premiere, ein Zugeständnis an die Stadt in krisenbedingten Finanzierungsnöten. „Wir wollten über die Art der notwendigen Einsparungen selbst entscheiden, bevor uns dazu von anderer Seite Vorgaben erreichen“, sagt Karin Becker. Zugleich stellt sie klar: Der Beitrag des Theaters zur Bewältigung der finanziellen Auswirkungen von Corona müsse klare Grenzen haben, und zwar im Interesse der ganzen Stadt. „Wenn wir jetzt in den Bereichen Kultur und Bildung sparen, fällt uns das später allen auf die Füße.“

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Kultur versteht die künftige Intendantin nämlich als Sprachrohr der Gesellschaft, eine Definition die auch im neuen Logo – eine schlichte Klammer, die sich auch als Flüstertüte deuten lässt – ihren Ausdruck findet. Dieses Sprachrohr ist ihrer Ansicht nach schon deshalb wichtig, weil die Gesellschaft das Diskutieren und Streiten verlernt habe.

Zum Einüben in eine Kultur des öffentlichen Disputs gibt es deshalb so politisch brisante Stücke wie Hans Falladas „Jeder stirbt für sich allein“, Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum„ oder George Orwells „Farm der Tiere“. Bei alle drei Stoffen handelt es sich ursprünglich um Prosatexte, die aber in den vergangenen Jahren schon mehrfach auf Theaterbühnen zu sehen waren.

Aufstand der Anständigen

Von der Notwendigkeit einer „klaren politischen Haltung“ und einem „Aufstand der Anständigen“ ist im Programmheft diesbezüglich die Rede. Das wirft Fragen auf. Sitte und Anstand als zentrale Kategorien der Bühnenkunst, das wäre nach Jahrzehnten des rebellischen Regietheaters von Peter Zadek bis Frank Castorf jedenfalls ein ganz neuer Ansatz. Und „klare politische Haltung“ klingt eher nach dem Gegenteil von Streit und Diskurs.

„Der Begriff der Anständigkeit ist im diskursiven Raum natürlich problematisch“, gibt Kristo Sagor zu. „Zwar tauchen auf der Bühne immer Figuren auf, die wir in Gut und Böse unterscheiden. Aber interessant wird es nur, wenn der Bösewicht auch gute Seiten offenbart und umgekehrt.“ Anständig sein, das bedeute deshalb nicht, eine bestimmte Meinung zu vertreten. Es gehe vielmehr um die Akzeptanz eines Gesprächsraums, wie ihn das Theater schon immer geboten hat.

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Genau auf dieser Trennlinie verortet auch Karin Becker die Grenze der Gesprächsbereitschaft. Zwar wolle sie die Bürger wieder zum Diskutieren bringen und dabei alle Menschen unabhängig von ihrer politischen Meinung einbinden: „Mit der Reihe ‚Lasst uns reinen Tisch machen!‘ haben wir uns dafür sogar extra ein neues Format ausgedacht.“ Geplant ist, Konstanzer Bürger an einen großen Tisch zusammenzubringen, um mit ihnen über ausgewählte Themen zu streiten. Doch mit Personen, die nur Parolen vortragen wollen und keine Bereitschaft zum Zuhören zeigen, werde sie sich nicht an diesen Tisch setzen, stellt Becker klar.

Und hier wird deutlich, was sie meint, mit der Komik, die in uns ein Schamgefühl vermitteln soll. Es ist die Erkenntnis, dass alles seine zwei Seiten hat, dass in jeder Komödie auch eine Tragödie steckt und umgekehrt: Diesen Widerspruch zu erkennen, sagt Becker, lehre uns Demut. „Wer sich schämt, hinterfragt sich selbst und auch die Art, wie wir miteinander umgehen.“

Oscar Wilde und Alfred Hitchock

In der ersten Spielzeit soll das mit Stücken wie Oscar Wildes „Der ideale Mann“, Hitchcocks Krimikomödie „Die 39 Stufen“ oder der Freilichtproduktion auf dem Münsterplatz mit Shakespeares „Viel Lärm um nichts“ gelingen. Und entgegen manchen Spekulationen in den vergangenen Monaten, wonach dabei fast ausschließlich neue Gesichter zu sehen seien, werden dabei auch zahlreiche Schauspieler der alten Garde mitwirken.

Auffälliger als die Fluktuation ist die Geschlechterverteilung in den Abteilungen hinter den Kulissen. Wohin man auch blickt, überall Frauen. Wahre Chancengleichheit bedeutet eben nicht zwangsläufig Parität, sondern dass nach Jahrhunderten eines männlich dominierten Theaters auch mal das glatte Gegenteil möglich und ganz normal sein kann. Das Konstanzer Stadttheater wird sich verändern: eine Revolution aber gibt es nicht.