Vielleicht wird Konstanz die erste Stadt Deutschlands, in der nach Beginn der Coronakrise wieder Theater gespielt wird. Nicht im stillen Kämmerlein, sondern mitten auf dem zentralen Münsterplatz. „Hermann der Krumme oder die Erde ist rund“ ist ein Stück über den Mönch, Wissenschaftler und Künstler Hermann von Altshausen, der im 11. Jahrhundert im Kloster Reichenau lebte. Geschrieben hat es Christoph Nix, Intendant des Konstanzer Stadttheaters.

Coronakrise stoppt Theaterbetrieb

Das Werk hatte ursprünglich den Schlusspunkt bilden sollen zu seiner 14 Jahre währenden Amtszeit – im Sommer geht diese Ära zu Ende. Doch dann kam die Coronakrise und mit ihr die Schließung sämtlicher Bühnen von Flensburg bis zum Bodensee. Schauspielpremieren, so glaubt man seither in Hamburg, Berlin und München, seien allenfalls im Herbst wieder möglich und auch dann nur unter strengen Auflagen.

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Nix will das Gegenteil beweisen und gemeinsam mit der Choreographin Zenta Haerter, Schauspielchef Mark Zurmühle und Lorenz Haas sein „Freilichtspektakel“ (so die offizielle Bezeichnung) zur Aufführung bringen. Damit es so kommt, braucht er aber die Unterstützung des Gemeinderats. Und dort, darüber macht er sich keine Illusionen, dürfte es auch kritische Stimmen geben.

Christoph Nix, Intendant Theater Konstanz.
Christoph Nix, Intendant Theater Konstanz. | Bild: Scherrer, Aurelia

„Natürlich wird mancher behaupten, mir gehe es nur darum, es noch mal allen zu zeigen“, sagt er bei der Vorstellung des neuen Konzepts gestern im Stadttheater. In Wahrheit stecke weitaus mehr hinter den Plänen: die Notwendigkeit, nach Auto- und Kaufhäusern endlich auch Kultur wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Und zwar nicht nur auf Computerbildschirmen, sondern in der analogen Wirklichkeit. Bei aller Wertschätzung für Streamingangebote im Internet: „Theater ist kein Medium, sondern die letzte Bastion der Unmittelbarkeit menschlicher Begegnung!“ Wie also kann diese Unmittelbarkeit gelingen unter Einhaltung von Abstandsregeln und strengen Hygienevorschriften?

Tribünen von drei Seiten

Holger Bueb, technischer Direktor des Hauses, hat einen Plan erarbeitet. Dieser sieht auf den ersten Blick gar nicht so viel anders aus als die Konzepte zu den bisherigen Produktionen auf dem Münsterplatz: eine Bühne vor dem Kirchengebäude, eine Tribüne gegenüber. Erst bei näherem Hinsehen zeigen sich die Unterschiede, denn zusätzlich zur frontal platzierten Tribüne wird die Bühne auch seitlich von Zuschauerreihen umschlossen.

Der Plan zum Konzept: Die langen Linien zeigen an, auf welchem Weg die fünf verschiedenen Zuschauergruppen ihre Plätze ansteuern sollen.
Der Plan zum Konzept: Die langen Linien zeigen an, auf welchem Weg die fünf verschiedenen Zuschauergruppen ihre Plätze ansteuern sollen. | Bild: Theater Konstanz

Die Sitzplätze sind großzügig verteilt und von Reihe zu Reihe versetzt angeordnet. Außerdem wird das Publikum in fünf Gruppen aufgeteilt, die über jeweils eigene, räumlich voneinander getrennte Zugänge eingelassen werden. Insgesamt, so lautet die Rechnung, könnten auf diese Weise bei etwa 20 Vorstellungen rund 6000 Zuschauer auf dem Münsterplatz Theater erleben, 290 pro Abend. Auf die übliche Bewirtung freilich müssten sie ebenso verzichten wie auf Pausen.

Strenge Abstandregeln

Für die Schauspieler soll es strenge Abstandsregeln geben, für die Einhaltung sorgen unter anderem Requisiten, bei einzelnen Szenen könnte es zum Einsatz von Atemschutzmasken kommen. Das Schminken übernimmt jeder Schauspieler selbst, eine Maskenbildnerin gibt ihm entsprechende Anweisungen. Auch an Infektionstests ist gedacht, vor Probenbeginn werden alle Akteure entsprechend untersucht.

Reicht das, um in einer Pandemie guten Gewissens Theater zu spielen? Zumindest, erklären die Verantwortlichen, habe Hartmut Hengel, Chef des Instituts für Virologie am Freiburger Uniklinikum, ihr Konzept als „schlüssig“ beurteilt. Jetzt sei der Gemeinderat am Zug.

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Dessen Mitglieder, betont Nix, sollten sich nicht unter Druck gesetzt fühlen, es handele sich bei dem Konzept um eine freundliche Gesprächsgrundlage, keinen Appell. Niemand brauche zu befürchten, mit seiner Zustimmung bei der kommenden Sitzung am 7. Mai unumkehrbare Fakten zu schaffen. Verändert sich am Abend vor der Premiere die Lage, etwa durch dramatisch steigende Infektionszahlen, „dann machen wir‘s halt nicht“. Eines sei klar: „Wenn das stattfindet, wird es ein Kraftakt.“

Schwierige Abwägung

Rein künstlerisch zumindest passt das Projekt gut in unsere Zeit. Es geht um so aktuelle Fragen wie den Umgang mit gesundheitlich benachteiligten Menschen und neues Leben nach einer Epidemie. Allerdings dürfte das Inszenierungskonzept allenfalls eine Nebenrolle spielen, wenn Gemeinderatsmitglieder eine schwierige Abwägung treffen müssen: zwischen den Bedürfnissen nach geringstmöglichem Risiko und dringend nötigen kulturellen Impulsen.