Lieber Herr Badawi,

dass Ihr Name nur wenigen Lesern etwas sagen dürfte, beschreibt das Problem: Wir achten zu viel auf Schreihälse und Selbstdarsteller. Wer sich in Umsicht und Verantwortung übt, erntet wenig Ruhm. Und wo ich bei diesen Tugenden schon einmal bin: Die Studentinnen und Studenten der Muslimischen Hochschulgruppe Konstanz dürfen sich von meiner Lobrede ebenfalls angesprochen fühlen.

Mohamed Badawi ist promovierter Sprachwissenschaftler, Sänger und Komponist. Seit 2019 sitzt er für die Freie Grüne Liste im Konstanzer ...
Mohamed Badawi ist promovierter Sprachwissenschaftler, Sänger und Komponist. Seit 2019 sitzt er für die Freie Grüne Liste im Konstanzer Gemeinderat. | Bild: Scherrer, Aurelia

Worum geht es? Ein Konstanzer Hochschulprofessor hat in einer Statistik-Klausur den Anteil radikaler Muslime in einer Moschee thematisiert. Schon die Idee, ein so heikles Thema als geeignet für Rechenaufgaben anzusehen, muss irritieren. Der Wortlaut selbst wirkt mindestens unsensibel, wenn nicht gar islamfeindlich.

Zu erwarten wäre nun das Übliche: Erst mal ein Aufschrei auf Twitter, Forderung nach disziplinarischen Konsequenzen. Der überrumpelte Hochschullehrer keilt spontan zurück – noch mehr Empörung, erste Demonstrationen. Bald entdeckt die AfD das Thema für sich: Stimmt doch, dass es radikale Muslime gibt! Endlich sagt‘s mal einer, Solidarität mit dem Professor!

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Eskalation entsteht, wenn man sie will. In Konstanz gibt es stattdessen eine freundliche Mail an den Beschuldigten. „Wir freuen uns, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen, um Missverständnissen keinen Raum zu geben“, schreiben die Studenten. Man wolle die Tat verurteilen, nicht die Person.

Üblich geworden ist, anderen Menschen nur die schlimmsten Absichten zu unterstellen. In Konstanz zeigt sich, was passiert, wenn man das Gegenteil probiert. Der Professor überprüft seine Formulierung, versteht den Unmut, bittet für „mangelnde Sensibilität“ um Entschuldigung.

Gut und Böse

Was aber sagt der muslimische Stadtrat zu dieser Geschichte? Sie, Herr Badawi, könnten sich jetzt für Profilierung entscheiden. Hollywood hat uns beigebracht, dass Gut und Böse immer ganz leicht voneinander zu unterscheiden sind. Hier die alten weißen Männer mit Lehrstuhl, dort die strukturell diskriminierte Minderheit: Folgen Sie dieser scharfen Trennlinie, und der Beifall ist Ihnen gewiss.

Sie fühlen sich aber gar nicht diskriminiert. „Auf dieser Ebene lasse ich mich nicht angreifen“, sagen Sie. Huch?

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Es ist nicht so, dass der Vorgang Sie kalt lässt, im Gegenteil. Sie sorgen sich um die Gesellschaft und zwar aus folgenden Gründen. Erstens: Radikalisierung in deutschen Moscheen gibt es tatsächlich (AfD rollt Transparente wieder ein). Zweitens: In Statistik-Klausuren tauchen solche Themen offenbar deshalb auf, weil wir nicht mehr in der Lage sind, über sie sachlich zu diskutieren. Drittens: Was wir nicht im Dialog verarbeiten, erzeugt Ängste und damit neue Probleme. Sie vergessen nicht, Rechtsextremismus einzubeziehen (wenngleich fast schon etwas zu beiläufig).

Herr Badawi, ich bin mir nicht sicher, ob ich von einem Stadtrat jemals Klügeres vernommen habe. Jetzt gilt es, den von Ihnen geforderten Raum für Begegnungen und offene Gespräche auch zu schaffen. Im Internet war er bislang nicht zu finden.

Mein Vorschlag: Versuchen wir es baldmöglichst wieder mit echten Orten. Theater bewähren sich dafür seit 2000 Jahren.