Wer die Angewohnheit hat, sich im Konzertsaal erst einmal zurückzulehnen mit einem kurzen Durchatmen, der hatte am Freitagabend bei der Südwestdeutschen Philharmonie nicht viel Gelegenheit. Es galt, einen echten Sir zu bestaunen, eines der großen Meisterwerke der Klaviermusik, einen jungen, herzerwärmenden Dirigenten.
Und es gab einen Start ohne Anlauf: In Johannes Brahms‘ zweitem Klavierkonzert, B-Dur, op. 83, spannt das Horn zu Beginn einen Bogen, der in die überwältigende Melodik des Kopfsatzes mündet. Auf der Bühne Sir Stephen Hough am großen Flügel, Alexander Prior am Pult – und natürlich die Südwestdeutsche Philharmonie. Flapsig formuliert könnte man im Diskurs dieser Tage von einem klanglichen Doppel-Wumms sprechen. Schlichter betrachtet ging es um die wie stets spannende Höchstleistung, ein virtuoses 60-Minuten-Werk zum Leben zu erwecken.
Hough ist einer jener Hochleistungs-Pianisten, denen das mit einer staunenswerten Brillanz und Klarheit gelingt, mit einer Energie, die stets die Klimax sucht, die den Flügel noch größer zu machen scheint, den Raum höher (was in diesem Fall wirklich wünschenswert gewesen wäre). Auch im Pianissimo, in den Arpeggien und Läufen behält er die Kontrolle. Zauber durch Präzision.
Der Brite ist ein Universal-Künstler, Musiker, Komponist, Autor, noch in diesem Jahr von der Queen für seine Verdienste geadelt. Seine Texte im Übrigen sind höchst vergnüglich und bieten erhellende Einblicke ins Musikerleben. Und sein Konstanzer Auftritt ist eine seltene Gelegenheit ihn in Deutschland zu hören. Man sollte sie nicht verpassen.
Unter seinen Händen, gemeinsam mit dem erst 30-jährigen Prior und den ausgesprochen klangvoll agierenden Philharmonikern gelingt es, einen Sog zu entwickeln; vom kraftvollen Kopfsatz, in dem der Brite das Geschehen durchaus energisch dominiert, dem zweiten Satz mit seiner wuchtigen Brahms-Melodik bis zum satten Finale mit ungarischer Anmutung. Das Andante gestaltet der Pianist gemeinsam mit dem Solo-Cello zu einem jener Konzertsaal-Momente, in denen die Zeit stehen bleibt. Zauberhaft auch die Zugabe, die sich auf Nachfrage als früher Schumann entpuppt.
Nikolai Rimski-Korsakows Suite aus der Oper „Die Nacht vor Weihnachten“ kündigt der Dirigent als „Lieblingsstück“ an. Halb Brite sei er, so Prior in seiner Anmoderation, und zu je einem Viertel Russe und Ukrainer. Prior findet in zerstörerischen Zeiten so warmherzige Worte wie Klänge, sein ganzes Wesen scheint Musik und Menschen zu umarmen.
Und mit den Philharmonikern gelingt ihm die Weihnachts-Suite dann tatsächlich zu einem märchenhaften Winter-Wunderland, getragen von einem farbig-durchsichtigen Klang, von hervorragenden Solisten im Orchester, von immer wieder mitreißenden, rhythmischen Tutti. Ein kurzweiliges Vergnügen. „Musik ist der schönste Teil der Menschlichkeit“, sagt Prior. Man möchte nichts hinzufügen.