Turbulent und fulminant startete die Bodensee Philharmonie vergangen Freitag in die Saison 2024/2025. Unter der neuen Intendanz von Hans-Georg Hofmann hat das Orchester einen neuen Namen bekommen, es möge damit die gesamte Region umarmen und ein exzellenter Kulturbotschafter sein. „Fasten Seat Belt“ (Anschnallen), lautet das Motto der ersten Staffel, und das zahlreich erschienene Publikum wurde denn auch auf eine musikalische Reise mitgenommen, die gleich einem Vogelflug in unergründliche Höhen und Tiefen führte.
Von Chefdirigent Gabriel Venzago ist man schon gewöhnt, dass er am Pult alles gibt, er gehört zu der Sorte Dirigenten, die mit aller Kraft und Elan die Musiker durch mitunter schwierigste Partituren führen.
Eine Zugfahrt wird zu Musik
Langjährige und treue Besucher der Philharmonie kennen das, wenn der Schwarzwaldexpress draußen vor dem Konzil durch ein Adagio rauscht, mittlerweile stört das die wenigsten, doch die Diskussion um eine neue Bleibe für das Orchester wird weiterhin geführt. Venzago lässt sie nun auf spielerische Art buchstäblich anklingen: Das erste Werk des Abends war eine Tondichtung des französisch-schweizerischen Komponisten Arthur Honegger. „Pacific 231“ soll die Fahrt einer Eisenbahn in Musik umsetzen. Mit Volldampf und Karacho ging es da nun zur Sache. Ein Zug mal nicht vor dem, sondern mitten im Konzil.
Ursprünglich wurde das 1924 uraufgeführte Werk von Publikum und Kritik mit viel Lob und ebenso großem Unverständnis aufgenommen. Die schwierige Aufgabe, wie man die Fahrt einer Eisenbahn musikalisch umsetzt, scheint dem Orchester jedenfalls Herausforderung zu sein. Celli und gedämpfte Trompeten beginnen leise und langsam, die Lokomotive muss erst Fahrt aufnehmen, sie muss arbeiten, schnaufen, rackern.
Musik als Experiment wird hörbar, Streicher geben den Rhythmus vor, die Melodieführung war zu Zeiten der Uraufführung modern, und sie ist es bis heute geblieben. Dynamische Crescendi steuern auf einen Höhepunkt, der Komponist wollte seiner Hörerschaft ein physisches Wohlbefinden vermitteln. Fabelhaft.
Das zweite Werk des Abends dann die Symphonie Nr. 1 von Ludwig van Beethoven. Der große Komponist konnte alleine von seinen Werken nicht leben, er musste als Pianist und Dirigent arbeiten und die Legende besagt, er habe sogar selbst den Kartenverkauf für seine Auftritte in die Hand genommen. Heutzutage für einen Künstler von Weltformat undenkbar. Beethovens Erste galt damals als Paukenschlag, gar als eine kompositorische Revolution, denn er begann den Kopfsatz gegen jede Konvention mit einem Septakkord, also einer Dissonanz.
Konventionen hatte der große Meister immer ignoriert. Das Orchester ließ denn auch das Stück zu einem klanglichen Fest werden, einer Ohrenweide für Harmonie und Rhythmus. Mit einer langsamen Ouvertüre im Adagio geht es hin zu kraftvoller Emphase, dieses Werk passt trefflichst zu einem lauen Spätsommerabend. Das Orchester steigert sich in ein brachiales Donnerwetter, Beethoven ist immer auch monumental.
Im zweiten Satz vermutet man das Gesicht eines bleichen Mondes, bewegt und tragend, ein Ereignis für ein Publikum, das Musik mehr mit dem Herzen und weniger mit dem Kopf aufnimmt. Streicher und Bläser spielen sich die Themen gegenseitig zu, der dritte Satz bietet dann wieder mehr Tempo, zum Schluss geht es ins bewegte und temporeiche Adagio mit kräftigen Blechbläsern, das Orchester trifft exakt den Mut des Komponisten. Großartig.
Bei „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ von Richard Strauss rät Venzago in der Werkseinführung den Zuhörern, „das Kopfkino einzuschalten“. Eulenspiegel als umherstreifender Schalk des 14. Jahrhunderts stellte sich dumm, spielte aber seinen Mitmenschen immer wieder intelligente Streiche. Er zertrümmerte Tongefäße der Marktfrauen, er foppte Philosophen und Wissenschaftler. Drei und drei gibt fünf, war seine Devise. Er endete schlussendlich am Galgen, lebt aber in der Legende bis heute weiter.
Strauss gelang es, die Darstellung von Witz und Schalk musikalisch umzusetzen. Der Komponist haderte zeit seines Lebens mit seinem leiblichen Vater, die beiden hatten eine schwierige Beziehung. In Sachen Dirigieren mutierte der Spätromantiker vom dirigierenden Vulkan hin zu einem der langsamsten Dirigenten der Geschichte, so erzählen es die Biografen. In seinen späten Jahren arbeitete Strauss mit dem Schriftsteller Stefan Zweig zusammen, was ihn bei den Nationalsozialisten zur Persona non grata werden ließ.
Das Orchester lässt die „lustigen Streiche“ denn locker und spielerisch beginnen, eine leichte Melancholie ist spürbar, mal vermutet man Schreie, mal Zeter und Mordio. Die Streicher scheinen zu kreischen, die Bläser stimmen ein kräftiges Tohuwabohu an. Das Finale geht dann wieder an den Anfang zurück, also gewissermaßen ein kompositorisches Happy End.
Selbiges funktionierte dann auch beim letzten Werk des Abends, dem „Boléro“ von Maurice Ravel. Er gehört zu den am meisten gespielten Werken des 20. Jahrhunderts. Man muss ihn einfach lieben, den „Boléro“, man möchte ihn immer wieder hören, ein Meisterwerk an dynamischer Komposition, ein musikalisches Kleinod, witzig und pointiert, ursprünglich als Ballettmusik gedacht.
Von Ravel ist wenig Privates überliefert, er lebte sehr zurückgezogen. Sein „Boléro“ wurde bei der Uraufführung in New York von Arturo Toscanini dirigiert. Die beiden gerieten in einen heftigen Streit, vermutlich hatten sie verschiedene Auffassungen über die Art, wie eine Komposition auf die Bühne kommt.
Der „Boléro“ beginnt langsam mit der Trommel, es ist erst einmal nur Rhythmus, dann kommen Klarinette, Fagott, Flöte und Oboe hinzu, dann die Streicher im Pizzicato, die Harfe und das Celesta. Ravels Meisterschaft lag im Aufbau von Spannung, langsam kommt das Crescendo, dann die Blechbläser, und die 169 Wiederholungen des rhythmischen Motivs gipfeln in einem wahren Klanggewitter. Herrlich.
Während draußen die Möwen um die Imperia kreisen, erfährt das Orchester drinnen einen tosenden Applaus. So kann es weitergehen mit der Spielzeit. Bravissimo!
Eine weitere Aufführung von „Fasten Seat Belt“ gibt es am Mittwoch, 25. September 2024, um 19.30 Uhr im Konstanzer Konzil. Informationen dazu finden Sie hier.