Frau Becker, am Konstanzer Münsterplatz wird zurzeit eifrig gearbeitet: Wird die Tribüne auf- oder wieder abgebaut?

Becker: Sie wird aufgebaut. Zwar sieht die neue Landesverordnung vor, dass der Spielbetrieb bis 16. Mai eingestellt bleiben muss. Unsere Produktion „Farm der Tiere“ müssen wir deshalb absagen, die Premiere hätte ja am 8. Mai stattfinden sollen. Aber zum einen war das Material für die Tribüne bereits auf dem Weg zu uns, als wir von der Verlängerung des Lockdowns erfahren haben. Zum anderen wollen wir trotz allem weiter proben, damit wir startklar sind, sobald Vorstellungen, zumindest im Freien, wieder erlaubt sind.

Im Monat Mai werde alles besser, haben Sie vor einem Monat erklärt...

Becker: Ja, ich bin deshalb sehr traurig. Aber die Gesundheit der Menschen hat absolute Priorität. Sollte ein harter Lockdown kommen, werden wir ihn deshalb tatkräftig unterstützen. Nur wünschte ich mir, dass so ein Lockdown auch tatsächlich kommt.

Was stellen Sie sich konkret vor?

Becker: Strenger Lockdown, aber bitte durch alle Bereiche. In vielen Großraumbüros wird mangels Verpflichtung noch immer nicht getestet, aber Freilichttheater darf nicht stattfinden. Da kann ich nur bitter lachen.

Termin im leeren, auf die Corona-Verordnung abgestimmten Zuschauerraum des Konstanzer Stadttheaters: Karin Becker (Mitte) und Insa ...
Termin im leeren, auf die Corona-Verordnung abgestimmten Zuschauerraum des Konstanzer Stadttheaters: Karin Becker (Mitte) und Insa Pijanka (rechts) im Gespräch mit SÜDKURIER-Kulturchef Johannes Bruggaier. | Bild: Scherrer, Aurelia

Fühlen Sie sich ungerecht behandelt?

Pijanka: Jedenfalls sind unsere Einrichtungen seit November geschlossen. Sechs Monate, in denen man die jetzt diskutierten Maßnahmen längst hätte vornehmen können. Vor diesem Hintergrund frage ich mich schon: Wenn die aktuelle Situation so dramatisch ist – und das will ich nicht leugnen – warum schränken wir die Kontakte dann nicht endlich mal wirklich konsequent ein?

Becker: In schwierigen Herausforderungen wie einer Pandemie wird es immer Fehlentscheidungen geben, und ich selbst wollte aktuell auch nicht politische Verantwortung tragen müssen. Was ich aber nicht verstehe, ist die mangelhafte Kommunikation. In der Kultur arbeiten so viele Menschen, da würde ich mir schon wünschen, bei einer neuen Landesverordnung auch mal früher einen Wink mit dem Zaunpfahl zu bekommen. Wir wären dann zum Beispiel für „Farm der Tiere“ gar nicht erst in den Kartenvorverkauf gegangen.

Zu den Personen

Pijanka: Die Politik gibt uns im Zwei-Wochen-Rhythmus jeweils eine neue Entscheidungsgrundlage. Mit dieser Taktung können wir nicht arbeiten. So müssen wir den gesamten Betrieb permanent auf „stand by“ halten, was auf die Dauer sehr belastend ist.

Becker: Wir schlagen deshalb dem Gemeinderat und dem Oberbürgermeister vor, Theater und Philharmonie gleich bis Mitte Juni zu schließen – jedenfalls, was Veranstaltungen in Innenräumen betrifft.

„Die mangelhafte Kommunikation verstehe ich nicht“: Karin Becker, Intendantin des Theaters Konstanz, fühlt sich oft zu spät ...
„Die mangelhafte Kommunikation verstehe ich nicht“: Karin Becker, Intendantin des Theaters Konstanz, fühlt sich oft zu spät informiert. | Bild: Aurelia Scherrer

Auf Freiluft-Veranstaltungen hoffen Sie weiter?

Becker: Ja, ich hoffe sogar noch auf die letzte Maiwoche und Shakespeares „Viel Lärm um nichts“.

Pijanka: Es gibt noch die Chance auf eine Openair-Saison. Unter freiem Himmel sind die Bedingungen anders, mit deutlich geringerer Ansteckungsgefahr durch Aerosole. Wir hoffen, dass hier Differenzierung hinsichtlich der Genehmigungen zwischen innen und außen erfolgt.

Wie planen Sie angesichts dieser Umstände für die kommende Spielzeit?

Pijanka: Wir werden bald unseren Spielplan für die Philharmonischen Konzerte vorstellen. Neben diesem existiert für die Zeit bis Jahresende ein Plan B. Ich muss ja damit rechnen, dass uns im Herbst das Gleiche blüht wie zuletzt im Herbst 2020, mit Abstandsregeln und strengen Hygienemaßnahmen. Das würde unter anderem bedeuten, dass wir die Abos wieder aussetzen müssen und auch Änderung am Repertoire vornehmen müssen.

„Müde, genervt, verunsichert“: So beschreibt Philharmonie-Chefin Insa Pijanka die Stimmungslage bei den Musikern.
„Müde, genervt, verunsichert“: So beschreibt Philharmonie-Chefin Insa Pijanka die Stimmungslage bei den Musikern. | Bild: Aurelia Scherrer

Stellt sich der Spielplan im Theater von allein auf, weil es ohnehin noch so viel nachzuholen gibt?

Becker: Wir mussten zwar in der Tat einiges in die neue Spielzeit verschieben, haben aber auch an vielen neuen Projekten gearbeitet. Es ist deshalb wieder ein sehr spannender Spielplan entstanden. Für die Abonnements planen wir jeweils sieben bis neun Vorstellungen mehr ein – ich gehe nicht davon aus, dass wir zur vollen Bestuhlung zurückkehren können.

Dann wird das Publikum auch Stücke zu sehen bekommen, deren Proben zum großen Teil fast ein Jahr zurückliegen. Lässt sich nach so langer Zeit wirklich wieder so leicht der Faden aufnehmen?

Becker: Es ist ein Gewaltakt. Die Texte im Gedächtnis zu behalten, ist für Schauspielprofis dabei noch das geringste Problem. Die Herausforderung besteht darin, sich wieder hineinfallen zu lassen in die konkrete Probensituation: Welche Spur haben wir damals verfolgt? Wie finden wir den gemeinsamen Rhythmus wieder?

Wie ist der Seelenzustand der Orchestermusiker?

Pijanka: Müde, genervt, verunsichert. Sie vermissen die Perspektive. Zum Beispiel planen wir zurzeit eine aufwendige Openair-Saison. Wenn es klappt, spielen wir zum Beispiel auf der Mainau und im Bodenseestadion. Für die geplanten Kammerkonzerte bereiten unsere Musiker Programme vor. Ständig muss ich ihnen dabei aber sagen: „Dass du es am Ende auch wirklich spielen wirst, kann ich dir nicht versprechen.“ So etwas frustriert.

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Der Chef des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, prophezeit: Die Politik werde schon bald versuchen, möglichst vielen Institutionen schlecht dotierte Hausverträge aufzuzwingen. Merken Sie davon bereits etwas?

Pijanka: Natürlich spürt man die Bedenken, wenn vom Haushalt 2022/23 die Rede ist. Es ist ja absehbar, dass es für die gegenwärtigen Finanzhilfen eine Kompensation geben muss. Bislang nehme ich aber sowohl in Konstanz als auch im Land von politischer Seite Unterstützung wahr – jedenfalls gilt das für mein Haus.

Becker: Diese Einschätzung teile ich. Allerdings ist Theater auch ein Wirtschaftsbetrieb, der zurzeit einen massiven Einnahmenverlust erleidet. Den Verlust müssen wir irgendwie auffangen.

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Es fällt aber auch manches weg: Druckkosten, Reisekosten, Gagen...

Becker: Bei null kommen Sie am Ende aber nicht raus!

Pijanka: Das unterscheidet sich von der Situation bei der Philharmonie. Als kleinerer, weniger komplexer Betrieb können wir über die Kurzarbeit das Haus zurzeit wirtschaftlich entlasten. Das wird sich allerdings ändern, wenn wir im Herbst zwar wieder spielen dürfen, aber wegen der starken Einschränkungen nicht in unsere Abonnements einsteigen können. Dann fehlt es uns wieder an Einnahmen. Und nicht zuletzt ist offen, ob das Publikum wieder im gleichen Umfang zurück kommen wird wie 2019.

Die einen sagen: Nach Corona kommen die Goldenen Zwanziger mit einem geradezu explodierenden Kulturleben. Die anderen warnen: Viele haben sich bis dahin an Netflix auf dem Sofa gewöhnt. Was sagen Sie?

Pijanka: Ich vermute, wir werden beide Effekte sehen. Die Goldenen Zwanziger dürften zuerst bei der Gastronomie ankommen. Ob sie auch die Kultur erreichen, da wäre ich mir nicht so sicher. Lieber gehe ich von einem schlechteren Szenario aus und lasse mich später positiv überraschen als umgekehrt. Ich bin übrigens auch skeptisch, was die zahlreichen Versuche betrifft, Publikum über Streamingangebote zu gewinnen.

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Warum?

Pijanka: Zu viel eingesetzt, erweckt es den Eindruck, die Kultur sei umsonst zu haben und permanent verfügbar. Das Signal ist: Leute, bleibt auf eurem Sofa sitzen, hört euch dort die Berliner Philharmoniker an! Wozu noch das eigene Orchester vor Ort live besuchen? Unsere Hauptkompetenz muss deshalb das Live-Erlebnis bleiben.

Becker: Die digitalen Formate können nur dazu dienen, den Menschen zu zeigen: Wir sind noch da! Ich setze darauf, dass die Menschen einen Bewusstseinswandel durchleben. Vielen wird gerade bewusst, was es bedeutet, wenn echte Erlebnisse fehlen. Deshalb glaube ich: Das Publikum kommt ins Theater zurück.