Ausstellungen sind so etwas wie die Spitze des Eisbergs: Man sieht nur den minimalen Teil der Bilder und Schätze. Die überwältigende Masse einer Sammlung schlummert in Depots und fensterlosen Magazinen. Wenn man sie ausgräbt, stellen sich erst einmal Fragen: Woher kommt dieses Stück? Wie alt ist dieses Bild, die Uhr, der Tisch?

Aus diesem Vorgang, aus dem Fragen und Rätseln über die skurrilen Stücke hat die Stadt Überlingen eine Sonderausstellung gemacht. „Rätsel der Geschichte“ nennt sich diese wunderliche Schau, in der die Fragezeichen selbst ins Bild gerückt werden.

Überlingen überschlägt sich in diesem Jahr förmlich mit Ausstellungen – alle aus eigenen Beständen geschöpft. Zum pompösen Herzeigen hat die ehemalige Reichstadt auch allen Grund: Sie feiert die Tatsache, dass sie vor 1250 Jahren zum ersten Mal erwähnt wurde.

Das geschah in einer Urkunde aus dem Kloster St. Gallen, wenn auch eher beiläufig. Aber immerhin, ein Mönch schrieb mit seiner Feder das Wort „iburinga“ (Überlingen) auf ein Pergament. Damit war der Ort erstmals schriftkundig geworden und dokumentiert. Schon das Mittelalter hatte eine Schwäche für Akten (siehe Infokasten). Was man nicht Schwarz auf Weiß hat, das gibt es auch nicht.

Ist der Schädel echt oder nicht ?

Michael Brunner, Leiter des Überlinger Kulturreferats, staunt immer wieder, wie viele Geheimnisse in den verzweigten Beständen der Stadt stecken. Sie lagern in Kellern, hängen an Wänden oder verbergen sich in den alten Büchern, die in der Leopold-Sophien-Bibliothek in schweren Rollschränken aufbewahrt werden. Für den runden und seltenen Geburtstag hat Bibliothekarin Claudia Vogel die Schätze durchgegangen. Auch davon sieht man eine Auswahl in diesem Jahr.

Makaber wirkt ein Mumienkopf, den ein übereifriger Sammler vom Rumpf trennte und nach Überlingen brachte. Auch er warf Rätsel auf, berichtet Brunner. „Wir wussten nicht, ober dieses Stück wirklich so alt ist. Deshalb ließen wir es wissenschaftlich untersuchen“, sagt er.

Ein Relikt der Pharaonenzeit ist es ohne Zweifel. Doch wem genau dieser Kopf aus dem alten Ägypten gehörte, liegt im Dunkeln.
Ein Relikt der Pharaonenzeit ist es ohne Zweifel. Doch wem genau dieser Kopf aus dem alten Ägypten gehörte, liegt im Dunkeln. | Bild: Überlingen Museum

Das Ergebnis lässt die freudig gestimmte Kommune aufatmen: Der Schädel mit dem markanten Kiefer stammt tatsächlich aus der Epoche der „Dritten Zwischenzeit“ (um 800 vor Christus). Für ägyptische Verhältnisse ist das jung, und doch gehört das verwitterte Haupt noch immer der Pharaonenzeit an.

Ein Bild wirft Fragen auf

Heiterer kann ein anderes Stück der Ausstellung stimmen: Ein Druck der Mona Lisa von Leonardo da Vinci. Der Porträt ist seit seiner Entstehung (1503) von quälenden Fragen umgeben. Bis heute vermögen auch Experten nicht zu sagen, wen die vieldeutig lächelnde Dame auf dem Bild darstellt. Eine Adlige, eine reicher Bürgerliche? Oder eine Muse in Leonardos Werkstatt? Schon früh wurde das Bild nachgepinselt, wobei keine der Kopien die dunkle Qualität von Leonardos Porträt erreichte. Eine der bekanntesten Nachahmungen hängt in der Alten Pinakothek in München.

Der Hintergrund des Bildes ist freilich stark abgewandelt. Der unbekannte Maler hat die ursprünglich italienische Landschaft durch die Berge des Hegau ersetzt. Ein Artikel im SÜDKURIER thematisierte diese südbadische Variante des originalen Bildes. „Wie kommt die Mona Lisa in den Hegau?“ lautete die Überschrift damals.

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Wie es sich für ein echtes Rätsel gehört, konnte die Frage damals nicht beantwortet werden. Michael Brunner wurde damals auf den Artikel aufmerksam und begann selbst zu forschen. Die Stadt hatte selbst einen Nachdruck der Hegau-Lisa erworben. Ist das nun der Hegau im Hintergrund? So sympathisch und heimelig ein „Ja“ auch wäre, muss Brunner die Frage doch verneinen.

Die landschaftlichen Buckel hinter der guten Mona Lisa sind eine ideale Landschaft, keine reale Geografie. Zudem scheint der vermeintliche Hohentwiel unbebaut, obwohl die Festung um 1500 noch intakt und imposant auf dem Vulkankegel thronte. Damit scheint das Geheimnis um die rätselhafte Unbekannte gelöst – wenigstens bis zum nächsten Jubiläum und bis zum nächsten Gutachten. Eines steht fest: Der Besucher kann sich selbst ein Bild von den Raritäten und Geheimnissen der Stadt am Bodensee machen.