„So hatten wir uns diesen Abend nicht vorgestellt“, sagt Michael Csar, künstlerischer Betriebsdirektor der Bregenzer Festspiele vor dem verbliebenen Teil des Premierpublikums im Festspielhaus. „Nach immerhin viereinhalb Jahren Vorbereitung“, schiebt er noch nach. Am Premierenabend von Giacomo Puccinis „Madame Butterfly“ hatte die Vorstellung auf der Bregenzer Seebühne wegen eines anziehenden Unwetters nach etwa einer Stunde abgebrochen werden müssen.
Für den größeren Teil des Publikums bedeutet das: Der Abend ist zu Ende, sie können sich auf den Heimweg machen, die restlichen 1700 Zuschauer dürfen nach innen ins Festspielhaus wechseln, wo die Wiener Symphoniker ohnehin sitzen und spielen. Dort wird dann das Stück halbszenisch zu Ende gespielt. Die nun leere Seebühne, in Bregenz ja stets so etwas wie der heimliche Hauptakteur der Festspiele und für jeweils zwei Jahre das Wahrzeichen der Stadt, bleibt auf einer Leinwand hinter dem Orchester immerhin noch sichtbar.
Wer einen solchen Spielabbruch noch nie erlebt hat, dem sei versichert: Auch das ist eine Erfahrung wert. Und zwar vor allem wegen des ausbleibenden Chaos. Das Unwetter ist noch gar nicht da, da erfolgt der Abbruch per Lautsprecherdurchsage mit konkreten Ansagen, wie es weitergeht: Wie man erkennt, ob man ins Festspielhaus wechseln darf, wie ansonsten die Rückerstattung des Ticketpreises funktioniert. Selbst die Abfahrtszeiten der nächsten öffentlichen Verkehrsmittel werden durchgesagt.
Immerhin 7000 Menschen erheben sich gleichzeitig von ihren Plätzen, kein Wirrwarr, nichts. Wer ins Festspielhaus wechseln darf, erreicht dieses noch trockenen Fußes. Später, die Aufführung ist längst wieder im Gange, hört man es von draußen einige Male kräftig rumpeln. Das Unwetter ist offenbar angekommen.

Die beruhigende Erkenntnis nach dem zweigeteilten Abend: Es geht auch mal ohne Seebühne. Ohnehin geht im Grunde nichts über einen unverfälschten Orchesterklang sowie Opernsänger und -sängerinnen ohne Mikrofon – da mag das Bregenzer Tonsystem BOA mit den hunderten auch im Bühnenbild verbauten Lautsprechern noch so ausgeklügelt sein.
Die feinen Details im Ausdruck erlebt man eigentlich erst hier im Saal so richtig hautnah – Enrique Mazzolas schwungvolles Dirigat und besonders natürlich die Differenzierungskunst von Barno Ismatullaeva. Sie ist die wundervolle Butterfly des Abends, mit einer Stimme, die auch im Piano eine tolle Präsenz hat, selbst wenn sie in der Intonation nicht immer ganz richtig liegt. Mit Annalisa Stroppa als ihre Vertraute Suzuki bildet sie ein harmonisches Duo. Edgaras Montvidas gibt einen soliden, eher unspektakulären Pinkterton.
Er ist der amerikanische Marineleutnant, der in der japanischen Butterfly mehr ein Spielzeug denn eine Ehefrau sieht und sie bald wieder verlässt. Butterfly will das nicht wahrhaben und wartet drei Jahre lang auf seine Rückkehr. Die Versuche des Konsuls Sharpless (Brian Mulligan), ihr die Wahrheit schonend beizubringen, schlagen fehl. Pinkerton kehrt dann tatsächlich zurück – jedoch mit seiner amerikanischen Ehefrau (Hamida Kristoffersen) und nur, um das gemeinsame Kind von ihm und Butterfly abzuholen. Diese nimmt den vom Vater geerbten Dolch – das einzige Mittel, um ihre Ehre wieder herzustellen – und begeht Suizid.

Dass all dies auch halbszenisch gut funktioniert, liegt zum einen an den wundervollen japanisierenden Kostümen, die Antony McDonald entworfen hat, zum anderen aber auch an dem Stück selbst, das zwar emotional aufwühlend, aber im Grunde ein handlungsarmes Kammerspiel ist. Es auf die große Seebühne zu hieven, ist also von vornherein ein Wagnis, denn große Tableaus oder Ansatzpunkte für Bühnenspektakel muss man in dem Stück suchen gehen.
Ohnehin wäre Andreas Homoki, der Regisseur der „Madame Butterfly“ und Intendant der Zürcher Oper, nicht der richtige Mann dafür. Die Seebühne von Michael Levine, die sich leicht wie ein Stück Japanpapier mit filigranen Tuschezeichnungen über den See zu legen scheint, mag nach den vergangenen Spielzeiten mit all den überlebensgroßen Köpfen, Händen und Augen auf den ersten Blick eher unspektakulär wirken. Sie hat es trotzdem in sich.
Homoki schafft hier mit ruhiger Hand Bilder voller Poesie – etwa wenn sich die Geishas mit ihren japanischen Schirmchen von der obersten Kante des steil aufwärts ragenden Bühnen-Papiers einen Pfad hinab bahnen. Mit Lichtwechseln (Licht: Franck Evin) erzeugt Homoki zudem immer neue stimmungsvolle Landschaftsbilder. Und um Stimmung, um die großen Emotionen geht es in diesem Stück schließlich.
Das schließt übrigens spektakuläre Einlagen nicht aus – etwa den Fluch des Onkel Bonzo, dessen Gesicht sich wie ein steinerner Gast riesengroß aus der Wand zu formen scheint. Was bei der Premiere nicht zu erleben war, ist der obligatorische Sprung oder Fall einer Figur ins Wasser sowie das Schiff, das ebenfalls in keiner Inszenierung fehlen darf und im Fall der „Butterfly“ sogar Bestandteil des Librettos ist.
Auch die Sänfte, auf der Fürst Yamadori durchs Wasser getragen wird, blieb unbenutzt. Dem Vernehmen nach soll es am Ende nochmal richtig spektakulär werden auf der Seebühne. Über die Leinwand im Festspielhaus ließ sich davon immerhin etwas erahnen.
Am Sonntag, 24. Juli, überträgt das ZDF die Seebühnen-Aufführung ab 22.15 Uhr.